Verbflexion nach Person und Numerus
Die finiten Verbformen in verbalen Flexionsparadigmen werden aus Stammformen in Verbindung mit Flexionsaffixen gebildet. Diese auch Personal-/Numerussuffixe oder -endungen genannten, fusionierenden Flexionsmarker kennzeichnen Person und Verbnumerus und werden an die jeweilige Stammform suffigiert. Person und Verbnumerus werden teilweise auch in den jeweiligen Stammformen durch einen Vokalwechsel (e/i-Wechsel oder Umlaut) kodiert.
Die Kombination aus den Kategorisierungen Person (1., 2., 3.) und Verbnumerus (Singular, Plural) ergibt das traditionelle sechsteilige Flexionsparadigma der Verben, das in jeder Position über typische Personal-/Numerussuffixe verfügt. Die Distribution der Suffixe weist je nach Flexionsklasse tempus- und modusabhängige Unterschiede auf.
Die folgenden Beispiele (1) und (2) zeigen vier mögliche Distributionen der Personal-/Numerussuffixe finiter Verben im traditionellen sechsteiligen Flexionsparadigma, ohne sie in Relation zu den Flexionsklassen zu setzen. Dabei wird zunächst nicht berücksichtigt, dass der Schwa-Laut der Suffixe bei der Verbflexion in der gesprochenen Sprache tendenziell wegfallen kann, wenn dadurch keine phonologischen Regularitäten verletzt werden und ihm keine intendierte flexionsmorphologische Markierungsfunktion zukommt. In (1) werden die Flexionsparadigmen für die unmarkierten Kategorien Präsens Indikativ wiedergegeben, in (2) für die markierten Kategorien Präteritum und Konjunktiv. Das Verb reden in (1) dient als Beispiel für einen Verbstamm, der auf einen Dental endet (red-):
(1) lachen vs.
reden Präs. Ind. |
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(2) singen vs.
lachen Prät. Ind. vs. Präs. Konj.(I) |
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Distribution der Personal-/Numerussuffixe
Die verbalen Personal-/Numerussuffixe im Deutschen gelten traditionell als fusionierende Suffixe, da sie zugleich Personal- und Numerusmarker sind.
-, -(e), -(e)n, -(e)t, -(e)st
Ähnlich wie bei der Kasusklassifikation in der Nominalflexion lassen sich auch verbale Personalkategorien dort zu Gruppen zusammenfassen, wo in den Teilparadigmen einzelne Positionen aufgrund von Synkretismen formal nicht mehr unterschieden werden. Wie die Beispiele (1) und (2) zeigen, werden nur im unmarkierten Teilparadigma des Singular Indikativ Präsens formal die drei Personalkategorien 1., 2. und 3. Person ausdifferenziert. In allen anderen finiten Teilparadigmen werden nur zwei Personalkategorien unterschieden, der Zusammenfall der 1. und der 3. Person führt dazu, dass hier prinzipiell nur zwischen Adressat (ihr geht; du gingst) und Nicht-Adressat (wir/sie gehen; ich//er/sie/es ging) formal unterschieden wird.
Singular Indikativ Präsens |
| andere Teilparadigmen |
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Im Teilparadigma der unmarkierten Kategorien Singular Indikativ Präsens (nur dort!) sind alle drei Personalkategorien formal ausdifferenziert, d. h. die 1., 2. und 3. Person werden flexionsmorphologisch unterschieden.
Neben dem Personalmerkmal des Adressatenbezugs (die 2. Person ist adressierend), das bei Verben mit Hilfe der Personal-/Numerussuffixe durchgängig markiert wird, spielt bei Stammformen auch die Unterscheidung zwischen Sprecher (1. Ps.) und Nicht-Sprecher (2. und 3. Ps.) eine Rolle. Im Singular Indikativ Präsens zeichnen sich die Formen der Nicht-Sprecher bei den meisten starken Verben (ebenso: haben, werden) durch eine eigene, mit einen Vokalwechsel gekennzeichnete (sekundäre) Präsensstammform aus (z. B. ich sehe – du siehst – er sieht). Im den anderen Teilparadigmen gibt es für Sprecher und Nicht-Sprecher keine spezifischen Stammformen.
Bei den nicht-adressierenden Verbformen ist der Verbnumerus besonders gekennzeichnet. Pluralformen erhalten den auch in der Nominalflexion vorkommenden Pluralmarker -(e)n, die singularischen Formen hingegen bleiben suffixlos oder enden auf Schwa, z. B. ging – gingen (mit Ausnahme der 3. Ps. Sg. Ind. Präs.). Die adressierenden Verbformen erhalten hingegen die besonders gekennzeichnten Personalsuffixe -(e)st/-(e)t. Die Verbnumeruszugehörigkeit ist implizit für -(e)st immer und für -(e)t dann eindeutig festgelegt, wenn sekundäre Stammformen die Singular- von den Pluralformen unterscheiden, z. B.:
Imperativformen sind semifinit und flektieren nur nach Verbnumerus, nicht nach Person. Die Singularformen des Imperativs weisen flexionsklassenabhängig Endungslosigkeit (bei starken Verben mit e/i-Wechsel) oder das (e)-Suffix auf. Die Pluralform des Imperativs ist formgleich mit der Adressatenform im Plural auf -(e)t:
Imperativ |
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Das Hilfsverb sein besitzt im Präsens Indikativ eine auch hinsichtlich der Personal-/Numerussuffixe unregelmäßige Konjugation (Suppletivformen): bin, bist, ist, sind, seid, sind. In den anderen Teilparadigmen besitzt sein suppletive Stammformen (war-, wär-, sei-, wes-), aber regelmäßige Endungen.
Infinite Verbformen (Infinitive, Partizipien) flektieren im Deutschen weder nach Person noch nach Verbnumerus.
Schwahaltige und schwalose Suffixe
Das Vorhandensein/Fehlen von Schwa am Flexionsmarker kann wie in Beispiel (1) phonologisch gesteuert sein, z. B.:
Schwa kann aber auch wie in (2) morphologisch signifikant sein und der Kennzeichnung von Flexionskategorien dienen, z. B.:
lacht (Präsens) — lachte(Präteritum).
In der gesprochenen Sprache wird das morphologisch signifikante Schwa zur Kennzeichnung des Konjunktivs allerdings häufig nicht gesetzt.
Ausführlichere Informationen in Bezug auf die Distribution schwahaltiger und schwaloser Suffixe: Schwa bei den Flexionsmarkern der Verbflexion.
Vokalwechsel
Flexionsklassenabhängig gibt es im Präsens Singular teilweise auch gemeinsame Stammformen für die 2./3. Person Singular, also die Nicht-Sprecher-Formen, die aber durch ihre Personal-/Numerussuffixe distinkt bleiben (z.B. spreche – sprichst - spricht). Diese sekundären Stammformen werden mit Hilfe eines Vokalwechsels, nämlich entweder durch einen e/i-Wechsel oder Umlaut gebildet und fungieren als Personal- und Numerusmarker.
Der Umlaut in der Verbflexion erfüllt bei unterschiedlichen Stammformen unterschiedliche Aufgaben (zum Umlaut als Modusmarker siehe Flexion nach Tempus und Modus). Im Präsens Indikativ dient er wie der e/i-Wechsel der Kennzeichnung des Indikativ 2./3. Person Singular, z. B.:
Der e/i-Wechsel betrifft die Präsensstammform (Indikativ) und die Imperativstammform einer Reihe von starken Verben. Er begründet eine sekundäre Stammform, die für Singular Indikativ Präsens gilt (Beispiel 4) und - anders als bei der sekundären Präsensstammform mit Umlaut - auch für den Imperativ im Singular (5). Der Imperativ Singular der Verben mit e/i-Wechsel ist suffixlos. Der e/i-Wechsel kennzeichnet also die Formen der Nicht-Sprecher (2./3. Ps.) und legt zudem die Verwendung auf den Singular fest (6), z. B.:
Vokalwechsel | Verb | |
e, eh → ie, i | [e:]→[i:], [ɪ] | lese – lies nehme – nimm |
e → i | [ɛ]→[ɪ] | esse – iss |
Einzelfälle: | ||
ö → i | [œ]→[ɪ] | erlösche – erlisch |
ä → ie | [ɛ:]→[i:] | gebäre – gebier |
Dem Umlaut kommt auch eine Bedeutung als Modusmarker zu, der Ablaut übernimmt keine Personal-/Numerusmarkierungen sondern fungiert als Tempus- und Modusmarker. Auf Stammformen(paradigmen) und die damit verbundenen Vokalwechsel als Tempus- und Modusmarker wird in Flexion nach Tempus und Modus eingegangen.
Korrespondenz zwischen Subjekt und finitem Verb
Auf Satzebene werden die Personal-/Numerusmarker am Verb benötigt, um Korrepondenz zwischen Subjekt und finitem Verb herzustellen. Die Personalkategorie der Verbform wird vom Subjekt regiert, der Verbnumerus kongruiert mit dem Numerus des Subjekts. Welche Personal- und Numerusmarker ein finites Verb erhält, hängt somit vom Subjekt des Satzes ab.
Subjekte, die durch Kommunikanten-Pronomina (Sprecher-/Hörer-Pronomina) ausgedrückt werden, regieren bei Sprecherbezug (ich/wir) die 1. Person, bei Hörerbezug (du/ihr, mit Ausnahme der Distanzform Sie) die 2. Person des Verbs, jeweils im entsprechenden Verbnumerus, z. B.:
Subjekte, die durch andere Pronomina (z. B. anaphorische Personalpronomina er/sie/es //sie) oder Nomina/Nominalphrasen ausgedrückt werden, regieren die 3. Person des Verbs, jeweils im entsprechenden Verbnumerus, z. B.:
Die Distanzform Sie mit Hörerbezug regiert wie das anaphorische Personalpronomen sie (Pl.) die 3. Person Plural, z. B.:
Die 3. Person Singular wird darüber hinaus auch bei Sätzen als Subjekt (Dass er kommt freut uns sehr.), in subjektlosen Sätzen (z. B. Ihm wurde kalt.), in Verbindung mit fixem es als formal leerem Subjekt (Es regnet.) und mit expletivem es beim subjektlosen Passiv (Es darf gelacht werden.), verwendet.
Übersicht:
Subjekt | Person | Singular | Plural |
Sprecher-Pronomen | → 1. | ich gehe | wir gehen |
Hörer-Pronomen | → 2. | du gehst | ihr geht |
anaph. Personalpronomen Nomen/NP | → 3. | er/sie/es
geht X geht | sie/Sie
gehen XX gehen |
Bei bestimmten Konstruktionen gelten besondere Regeln:
Auch mehrere Pronomina, Nomina oder Nominalphrasen können gemeinsam ein Subjekt bilden, z. B. du und deine Frau, der Hund und sein Herrchen, was zu Schwierigkeiten bei der Korrespondenz zwischen solchen koordinierten Subjekten und finiten Verben führen kann. Dabei hängt es von der Bedeutung der koordinierten Phrase und des jeweiligen Konjunktors ab, welche Korrespondenz (insbesondere die Numerus/Verbnumerus-Kongruenz) mit dem finiten Verb hergestellt wird.
Zur Verbnumeruskongruenz bei koordinierten Subjektenmit oder siehe auch: Für Rückfragen stehen/steht Ihnen die Kundenberatung oder Ihr Ansprechpartner im Außendienst zur Verfügung — Einzahl oder Mehrzahl beim Verb.
Auch bei Maßkonstruktionen (vgl. auch Flexion bei erweiterten Nominalphrasen), die als Nominalphrasen beim Verb die 3. Person regieren, gelten besondere Regeln, was die Kongruenz mit dem Verbnumerus betrifft.
Maßkonstruktionen sind Nominalphrasen mit einen Maßausdruck als Kopf, die prototypisch folgende Struktur haben:
Zahladjektiv | Maßausdruck | Stoffname/artikelloser Plural |
zwei | Pfund | Mehl |
(Attribut) | (Kopf) | (Attribut) |
Maßausdrücke sind stets Singularformen (z. B. zwei Stück, drei Dutzend), auch wenn die Maßkonstruktion pluralisch ist. Der Numerus ist dann nur am Zahladjektiv und an der Kongruenz mit dem finiten Verb erkennbar, z. B.:
Das finite Verb kann aber auch mit dem Stoffnamen/artikellosen Plural statt mit dem Zahladjektiv und dem Kopf der Maßkonstruktion im Numerus kongruieren, z. B.:
Mehrere Möglichkeiten der Numerus/Verbnumerus-Kongruenz ergeben sich bei Maßkonstruktionen des Typs Zahladjektiv ein + Maßausdruck + artikelloser Plural. Das finite Verb kann in diesem Fall mit dem pluralischen Nomen oder dem singularischen Rest der Maßkonstruktion kongruieren, z. B.: