Wortstellung im Nachfeld
Das Nachfeld umfasst den Satzabschnitt nach dem (realisierten oder realisierbaren) rechten Satzklammerteil (Satzklammer und Stellungsfelder).
Vorfeld | lSkl | Mittelfeld | rSkl | Nachfeld |
Es | gerät | einiges aus den Fugen | - | in diesen Tagen. |
Es | ist | einiges aus den Fugen | geraten | in diesen Tagen. |
Das Nachfeld kann in allen drei Verbstellungstypen (1-3) besetzt sein, muss aber prinzipiell in keinem realisiert sein: Im Unterschied zum Vorfeld in Verbzweitsätzen gilt das Nachfeld prinzipiell als strukturell fakultative Position. Das Nachfeld kann sowohl Hintergrund- als auch Vordergrund-Informationen enthalten:
(2a) Wo schauen sich die Vereinigten Staaten noch immer am liebsten um auf der Suche nach globalen Partnern? (FAZ, 09.10.2009)
(2b) Für ein paar Stunden ist der Präsident der Bundesbank zurückgekehrt in sein altes Leben. (Die Zeit, 25.10.2009)
(3) …, weil eine Berufsausbildung in Deutschland eben nicht gleichbedeutend ist mit einer Hochschulzugangsberechtigung. (Die Zeit, 10.09.2009)
Unter gewissen Bedingungen kann die Besetzung des Nachfeldes aber auch als „notwendig“ betrachtet werden. Dies ist z. B. der Fall bei bestimmten satzförmigen Einheiten: Wenn Komplementsätze nicht im Vorfeld stehen, kommt als alternative Satzposition nur das Nachfeld in Frage; ihre Nachfeldstellung stellt hierbei in der Regel einen unmarkierten Fall dar, wie Beispiel (4) zeigt. Auf Nachfeldposition beschränkt sind jedoch bestimmte Supplementsätze wie u.a. Konsekutivsätze (5):
(5) Viele Bewohner verbrennen ihren Müll selbst, so dass immer dichter Rauch über der Stadt hängt. (Hamburger Morgenpost, 07.01.2008)
Zur Struktur des Nachfeldes
Das Nachfeld kann durch ein relativ breites Spektrum von (primären bzw. sekundären) Komponenten des Satzes besetzt werden. Anders als für die Beschreibung des Vorfeldes und des Mittelfeldes ist der syntaktische Status der Komponenten weniger relevant für die Nachfeldbesetzung: Das wichtigste Kriterium für Nachfeldfähigkeit sind die formbezogenen Eigenschaften der jeweiligen Einheit und nicht so sehr ihre syntaktische Funktion im Satz. Sowohl Komplemente (6-8) als auch Supplemente (9-11) können das Nachfeld besetzen, allerdings mit je nach Textsorte deutlicher, insbesondere formal motivierter Vorkommenshäufigkeit und mit zum Teil umstrittenen Akzeptabilitätskriterien (siehe Sätze im Nachfeld und Phrasen im Nachfeld):
(7) Die neue Koalition muss die Menschen aufklären über den Preis der Gesundheit.
(Süddeutsche Zeitung, 14.10.2009)
(8) Die Macht gehört nicht in die Hände eines Einzelnen (Applaus) oder ein paar weniger oder eines Apparats oder einer Partei. Alle, alle müssen teilhaben an dieser Macht. Und wer immer sie ausübt und wo immer, muss unterworfen sein der Kontrolle der Bürger (Applaus).
(Rede von Stefan Heym, 04.11.1989. Großkundgebung am Berliner Alexanderplatz)
(9) Die Drogenfahnder hatten blitzschnell zugeschlagen, nachdem sie einen Tipp bekommen hatten, dass die Ernte unmittelbar bevorstand.
(Hamburger Morgenpost, 28.02.2008)
(10) Eine Schere tut sich auf in der Kunstwelt: Während die öffentlichen Häuser unter Etatkürzungen leiden, gibt es auf der anderen Seite einen Boom der Privatmuseen. (FAZ, 05.06.2010)
(11) haben sie denn auf den konventionellen Wegen alles probiert zuvor?
(Talkshow-Dialog, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen, 09.07.2004)
Als nicht-nachfeldfähig gelten prinzipiell:
- Pronomina (sie,
ihn, ...)
- die Teile des Verbalkomplexes
- Prädikativkomplemente
- Abtönungspartikeln und
Negationspartikeln
- Komplemente von Nominalisierungsverben (innerhalb von
Nominalisierungs- /
Funktionsverbgefügen).
Beispiele für Pronomina im Nachfeld findet man gelegentlich in Gedichten als „poetische Freiheit“ des Dichters, so z. B. in Uhlands Gedicht Schäfers Sonntagslied (vgl. Lenerz (1979)):
Der Himmel, nah und fern,
Er ist so klar und
feierlich,
So ganz, als wollt' er öffnen
sich.
Das ist der Tag des Herrn!
Möglichkeiten der Nachfeldbesetzung
Das Nachfeld kann durch satzförmige Komponenten – wie in (4), (5), (6) und (9) – und durch nicht-satzförmige Komponenten wie in (1)-(3), (7), (8) und (10), (11) – besetzt werden. Als Bestandteil des Satzes zeichnen sich Nachfeldeinheiten durch ihre syntaktische Integration im Satz aus; zusätzliche Beispiele für nicht-satzförmige Nachfeldeinheiten stellen (12) und (13) dar. Die syntaktisch nicht integrierten Einheiten hinter dem rechten Satzklammerteil werden dem rechten Außenfeld zugeordnet; vgl. z. B. (14) und (15). Im Unterschied zu den nicht-satzförmigen Nachfeldeinheiten, die entsprechend ihrer syntaktischen Funktion weiter links im Satz stehen könnten (in unmarkierter Abfolge), ist dies bei den im rechten Außenfeld auftretenden phrasenförmigen Komponenten nicht der Fall:
Nachfeldeinheiten :
(Rede von Otto Graf Lambsdorff, FDP-Bundesparteitag, 11-12.08.1990)
(13) Der grelle Schein der Sonne sollte die Abgeordneten nicht blind machen [für die ökonomische Wirklichkeit]. (FAZ, 03.03.2010)
Einheiten des rechten Außenfeldes:
(15) Übrigens: den nächsten Treff könnten wir zu viert auf der Baustelle abhalten, okay?
(Kleine Zeitung, 25.09.1996)
Am häufigsten stehen satzförmige Einheiten im Nachfeld (16) ebenso Infinitivkonstruktionen mit zu (17):
(17) Der Plan der großen Versicherer sieht vor, die Trennung von privaten und gesetzlichen Kassen abzuschaffen. (Hamburger Morgenpost, 11.06.2008)
Mit absteigender Häufigkeit folgen dann die verschiedenen Phrasentypen, die in der Einheit Phrasen im Nachfeld genauer beschrieben werden: Adjunktorphrase (18), Präpositionalphrase (19), Nominalphrase (20), Adjektiv-/Adverbphrase (21):
(19) Die Menschen können nämlich sehr wohl unterscheiden zwischen Ungleichheit und Unfairness. (Die Zeit, 06.11.2009)
(20) Symbolisch soll es darstellen den Kampf zwischen Gut und Böse.
(21) mich würde auch mal interessieren, was für nen thema du hattest. haben die dich auch viel gefragt nachher? (http://www.uni-protokolle.de/foren/viewt/72840,0.html, 26.06.2006)
Am Sonntag wird gewählt im Land. Und wie wird gefühlt? (Der Tagesspiegel, 25.09.2009)
Frank Marohn hat viel zu tun dieser Tage. Er rennt zwischen Neuem Museum und seinen Depots hin und her, die in alle Teile der Stadt verstreut sind. (Der Tagesspiegel, 15.10.2009)
Koordinierte (22) und appositive (23) Phrasen können getrennt von ihrer Bezugseinheit auch hinter dem rechten Satzklammerteil stehen; es handelt sich um weitere phrasenförmige Besetzungsformen des Nachfeldes:
(B. Vanderbecke (2001): Das Muschelessen. S. 20.)
(23) Zu Hause hat sie [die Mutter] das abgespannte, erschöpfte Gesicht gehabt, das Haushaltsgesicht, wenn sie mittags aus der Schule kam. (B. Vanderbecke (2001): Das Muschelessen. S. 19.)
Bei Mehrfachbesetzung des Nachfeldes gibt es bestimmte, vor allem strukturell bedingte, Kombinationsmöglichkeiten zwischen satzförmigen und phrasenförmigen Einheiten, z. B.:
Phrase + Phrase:
Phrase + Satz:
Bei mehrfachbesetztem Nachfeld mit „Phrase + Satz“ – wie in (25) – wird die Abfolge im Nachfeld u. a. durch syntaktisch-strukturelle Faktoren bestimmt: In der Regel stehen Untersätze (hier der weil-Subjunktorsatz) als Teilsatz des Obersatzes nach phrasenförmigen Nachfeldeinheiten. Die phrasenförmige Nachfeldeinheit selbst ist hierbei Teil des Obersatzes (Die Ernte fällt knapper aus als im Vorjahr), zu dem die satzförmige Nachfeldeinheit einen Untersatz bildet. Aus dieser Abfolgeregularität ergibt sich eine zweistufige innere Struktur des Nachfeldes: „enges Nachfeld“ und „weites Nachfeld“.
Kommunikativ-pragmatische Funktionen
Da die Realisierung des Nachfeldes prinzipiell strukturell nicht notwendig ist, kann das Nachfeld besonders für kommunikative Zwecke genutzt werden. Im Rahmen der Informationsstruktur ermöglicht es, die Informationsmenge in kleinere Informationsblöcke so aufzuteilen, dass die Satzstruktur überschaubar und als besonders hörer-/leserfreundlich empfunden wird. Die informationsstrukturelle Grundfunktion des Nachfeldes ist somit die Informationsentflechtung:
Weitere, spezifischere Funktionen, die ggf. mit der Prosodie zusammenhängen, sind z. B.: Nachtrag (27) und Hervorhebung (28). Die (prinzipiell fakultative) Besetzung des Nachfeldes ist teilweise auch in bestimmten Kommunikationssituationen Teil eines bereits quasi konventionalisierten Sprech-Stils, z. B. in Danksagungen (29)-(30):
(28) Es sind umgekommen insgesamt vier Personen.
(29) Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich meiner Kollegin Ruth Feldgrill danken für die gute Zusammenarbeit. (Kleine Zeitung, 06.02.1998)
(30) Nach nur 30 Minuten schloss Ratsvorsitzender und Bürgermeister Heinz-Jürgen Wiechens die Sitzung, nicht ohne den Mitgliedern zu danken für ihre Zusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahren. (Braunschweiger Zeitung, 06.10.2006)
Ausführliches zu den kommunikativ-pragmatischen Funktionen in der Einheit Informationsstruktur des Nachfeldes.
Kombination hinter dem rechten Satzklammerteil: Einheiten des Nachfeldes und Einheiten des rechten Außenfeldes
Nachfeldeinheiten können zusammen mit Einheiten des rechten Außenfeldes vorkommen und stehen vor diesen:
Im Rahmen der Wortstellung im Nachfeld wird auf strukturelle Aspekte der (einfachen bzw. mehrfachen) Besetzung des Nachfeldes in den folgenden Einheiten näher eingegangen: Sätze im Nachfeld, Phrasen im Nachfeld ebenso wie Mehrfachbesetzung des Nachfeldes. In der Einheit Informationsstruktur des Nachfeldes werden die kommunikativ-pragmatischen Funktionen der Nachfeldbesetzung genauer beschrieben.
Übung: Wortstellung im Nachfeld
Literatur: Behaghel 1932; Rath 1965; Starke 1965; Benes 1968; Engel 1970a; Engel 1970b; Engel 1972; Kromann 1974; Lambert 1976; Makovec 1983; Starke 1983; Larsen 1987; Schindler 1990; Zahn 1991; Marillier 1993; Filpus 1994; Engel u.a. 1999; Vinckel 2006a.
Aus gesprächsanalytischer Sicht z. B.: Auer 1991, 1996, 2006; Selting 1994; Uhmann 1997; Kern/Selting 2006.