Satzklammer und Stellungsfelder
Hier wird zunächst definiert, was unter Stellungseinheiten zu verstehen ist, dann folgt eine Beschreibung der Satzklammer und Stellungsfelder, in denen die Stellungseinheiten vorkommen, und schließlich werden die Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil dargestellt.
Stellungseinheiten
Die Wörter in einem Satz werden beim Sprechen oder beim Schreiben linear angeordnet. Mehrere zusammenhängende Wörter können eine Phrase (blau gekennzeichnet) oder einen Verbalkomplex (rot) bilden. Normalerweise steht das, was inhaltlich und grammatisch eng zusammengehört, beieinander und bildet eine Stellungseinheit (eckige Klammern):
(...), [weil ] [er ] [den Vorschlag ] [abgelehnt hatte].
Aber das ist nicht immer so:
[An die Parteispitze ] [gewählt ] [wurde ] [einstimmig ] [der frühere Fraktionsvorsitzende ].
[Er ] [lehnte ] [den Vorschlag ] [ab ].
[Zeit ] [hatte] [er ] [immer ] [viel ].
Wegen dieser Möglichkeit, zusammengehörige Elemente getrennt zu positionieren, entspricht eine primäre Komponente des Satzes (d. h. ein Komplement, Supplement oder der Verbalkomplex) nicht automatisch auch einer Stellungseinheit. Im letzten Beispiel sind Zeit und viel zusammen ein Akkusativkomplement, das aber auf zwei Stellungseinheiten verteilt ist.
Satzklammer
Die Satzklammer besteht aus einem linken und einem rechten Satzklammerteil. Der linke Satzklammerteil (lSkl) ist immer besetzt, der rechte (rSkl) je nach Satztyp obligatorisch oder fakultativ. Fakultativ ist er in Verberst- (1, 2, 3) und Verbzweitsätzen (4, 5) besetzt, obligatorisch in Verbletztsätzen (6, 7):
lSkl | rSkl | ||||
[1] | Holst | du mir bitte den Mantel? | — | ||
[2] | Hast | du den Mantel | abgeholt? | ||
[3] | Holst | du den Mantel | ab? | ||
[4] | Gestern | war | ich in Köln. | — | |
[5] | Er | hatte | — | gewusst, | dass sie in Köln war. |
[6] | ... | , ohne dass | wir es | gemerkt hatten. | |
[7] | Wer | es nicht | hat glauben wollen, | ... |
Die Beispiele (1) - (5) zeigen, dass der linke Satzklammerteil in Verberst- und Verbzweitsätzen immer nur durch ein Verb, und zwar in einer finiten Form, besetzt sein kann. In (6, 7) ist der linke Satzklammerteil durch ein einen Verbletztsatz einleitendes Element besetzt, das aber nicht immer aus nur einem Wort bestehen muss (6).
Die Besetzung des rechten Satzklammerteils ist viel komplexer und unterliegt bestimmten Abfolgeregularitäten. Ist er besetzt, wird er ausschließlich durch ein (2, 3, 5) oder mehrere verbale Elemente (6, 7), zu denen auch die Präverben ("trennbare Verbpräfixe") zählen (3), realisiert. Im Verbletztsatz bildet das einleitende Element den linken Klammerteil und der gesamte Verbalkomplex – also auch das finite Verb – den rechten.
In Verberst- und Verbzweitsätzen, in denen nur der linke Satzklammerteil realisiert ist (Beispiel 8), kann der fakultative – d. h. potenziell realisierbare – rechte Satzklammerteil als 'virtuell' bezeichnet werden. Seine Position ist fest, die Besetzung der Stellungsfelder bleibt von seiner Nicht-Realisierung bzw. Realisierung (durch die Bildung eines mehrteiligen Verbalkomplexes) unberührt (9):
lSkl | rSkl | ||||
[8] | Es | geriet | einiges aus den Fugen | — | in diesen Tagen. |
[9] | Es | ist | einiges aus den Fugen | geraten | in diesen Tagen. |
Zur Bezeichnung der „Satzklammer“ finden sich auch andere Termini wie beispielsweise "Verbalklammer" oder "Satzrahmen". In ProGr@mm wird der Ausdruck „Satzklammer“ als angemessener betrachtet und entsprechend auch verwendet, weil der linke Satzklammerteil nicht zwingend durch eine Verbform belegt sein muss.
Besetzungsmöglichkeiten der Satzklammer:
linker Satzklammerteil | rechter Satzklammerteil | |||
Verberstsatz Verbzweitsatz | finite Verbform | … | (Partizip II, Infinitiv, Präverb) | |
Verbletztsatz | Subjunktor, Relativ-Element | … | (Partizip II, Infinitiv), finite Verbform |
lSkl = linker Satzklammerteil, rSkl = rechter
Satzklammerteil V-1 = Verberst-, V-2 = Verbzweit-, V-L = Verbletztsatz Vfin = finite Verbform, Vinf = infinite Verbform, V-L Einl. = Verbletztsatz einleitendes Element |
|
Stellungsfelder
Die Stellungsfelder ergeben sich aus der relativen Position zum linken und rechten Satzklammerteil. Aufgrund der Satzklammer ergeben sich die drei Stellungsfelder Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld:
Vorfeld | lSkl | Mittelfeld | rSkl | Nachfeld | |
[10] | Der zweifache Europameister | hat | heute nicht so gut | gespielt | wie sonst. |
[11] | Gestern | ist | er wesentlich schneller | gelaufen | als heute. |
[12] | Unsere Mannschaft | siegt. | — | — | — |
[13] | Er | reiste | letzten Dienstag | ab. | — |
[14] | Wollen | sie morgen früh | abreisen? | — | |
[15] | Mach | mal ein bisschen schneller! | — | — | |
[16] | weil | er heute nicht so gut | gespielt hat | wie sonst. | |
[17] | die | gestern in besserer Laune | gewesen ist. | — |
Zu den einzelnen Stellungsfeldern:
Vorfeld
Beispiel:
Mittelfeld
Beispiele:
(20) Darf sich der Staat auf Geschäfte mit Kriminellen einlassen, um der Steuergerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen?
(21) Oder muss er ein paar Millionen sausen lassen, weil es die Moral gebietet? (heute.de, 01.02.2010)
Nachfeld
Beispiele:
(23) "Ich habe eigentlich das ganze Turnier über nicht so gut gespielt wie sonst." (Nürnberger Zeitung, 07.09.2007)
(24) "Die Spannung tut mir gut. Sie gibt mir die Energie, um gewinnen zu können. (die tageszeitung, 04.06.2005) []
(25) Die Welt hält die Luft an, und mancher Realpolitiker spricht von einem schlechten Witz. Was von dem, was dieser Präsident versprochen hat, konnte er erreichen in der eben neun Monate währenden Amtszeit? (zeit.de, 10.10.2009)
Im Unterschied zum Vorfeld in Verbzweitsätzen gilt das Nachfeld als strukturell fakultative Position (s. Wortstellung im Nachfeld). Seine Besetzung ist aber unabhängig vom Vorhandensein des rechten Satzklammerteils, wie die Beispiele (8) und (9) oben zeigen.
Vorfeld | lSkl | Mittelfeld | rSkl | Nachfeld |
Es | geriet | einiges aus den Fugen | — | in diesen Tagen. |
Es | ist | einiges aus den Fugen | geraten | in diesen Tagen. |
Außenfelder
Folgende Beispiele illustrieren die Besetzung im linken Außenfeld (26) und im rechten Außenfeld (27):
(27) Sie sagten doch zu, uns zu helfen, Herr Müller!
Detailliertere Informationen zum linken und rechten Außenfeld befinden sich in der Einheit Außenfelder.
Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil
Die Abfolge der verbalen Elemente im rechten Satzklammerteil bildet die hierarchische Ordnung der Teile des Verbalkomplexes ab:
Noch deutlicher wird das in Verbletztsätzen, da bei diesen der gesamte Verbalkomplex im rechten Satzklammerteil steht. Im Extremfall können das vier Verbformen sein, deren richtige Anordnung auch für Muttersprachler nicht immer ganz unproblematisch ist. Dabei gilt, mit bestimmten Ausnahmen, die Regel "Finitum am Ende":
Beispiele für die Abfolge der Verbformen im Passiv im rechten Satzklammerteil von Verbletztsätzen:
| ![]() |
Das Finitum kann ein Hilfsverb (vgl. auch die Beispiele im Passiv), modal gebrauchtes Vollverb oder Modalverb sein (finite Verbteile rot, infinite fett markiert), z. B.:
(...) , bevor sie abgefahren sind.
(...), weil er damals viel zu arbeiten schien.
(...), weil es ihr natürlich auch geschenkt worden sein kann.
Bei zusammengesetzten Tempusformen von Modalverben, deren Partizip II durch den Infinitiv Präsens ersetzt wird ("Ersatzinfinitiv"), folgen zwei (oder drei) Infinitive im rechten Satzklammerteil aufeinander. In diesen Fällen steht die finite Form des Hilfsverbs haben am Anfang des gesamten Verbalkomplexes:
* (...), weil er nicht kommen dürfen hat.
(...), weil er nicht hat kommen dürfen sollen.
Bei Komplementen, die als Infinitive realisiert werden (s. Überblick über die Komplementklassen und ihre Realisierungsformen), kann die Abfolge der Infinitive und der finiten Verbform innerhalb des rechten Satzklammerteils bzw. um diesen herum variieren:
Bei den finiten Formen des Hilfsverbs werden kann fakultativ umgestellt werden:
(...), dass sie das Flugzeug wird landen sehen.
Bei den finiten Formen der Modalverben ist die Umstellung bei drei Infinitiven möglich:
(...), weil Sonja ihn will kommen sehen haben.
(...), weil Sonja ihn will haben kommen sehen.
Tendenziell wird bei zwei Infinitiven das finite Modalverb nicht vorangestellt, wenngleich dessen Voranstellung in literarischen Texten durchaus belegt ist:
Weiterführende Literatur: Bech (1983), Vogel (2009).