Phrasen im Nachfeld
Folgende Phrasentypen können im Nachfeld stehen, allerdings mit unterschiedlicher Vorkommenshäufigkeit: Adjunktorphrasen, Präpositionalphrasen, Nominalphrasen, Adjektiv-/Adverbphrasen, außerdem können Phrasen koordiniert oder als Appositionen im Nachfeld auftreten.
Die (fakultative) Besetzung des Nachfeldes insbesondere durch eine Präpositionalphrase, eine Nominalphrase oder eine Adjektiv-/Adverbphrase stellt einen Fall der strukturell markierten Linearisierungsabfolge dar. Über strukturelle Gründe (z. B. Komplexität, Länge der Phrase) oder semantische Motivationen, wie das Prinzip der direkten Stellungsnachbarschaft von Zusammengehörigem, hinaus lässt sich die Nachfeldstellung dieser Phrasentypen vor allem auf kommunikativ-pragmatische Faktoren zurückführen. So ist die Besetzung des Nachfeldes durch Präpositionalphrasen, Nominalphrasen oder Adjektiv-/Adverbphrasen meistens mit bestimmten stilistischen bzw. kommunikativen Effekten – z. B. besondere Fokussierung – verbunden (ausführlich: Informationsstruktur des Nachfeldes).
In gesprächsanalytisch orientierten Studien werden solche Erscheinungen zu den Expansionen bzw. Formen von Mittelfeldentleerung, turn continuations gerechnet (z. B. Auer (1991), (1996), (2005); Uhmann (1997); Kern/Selting (2006); Vorreiter (2003)).
Adjunktorphrasen
Wie Attributsätze (vgl. Sätze im Nachfeld) können Adjunktorphrasen in Vergleichsstrukturen getrennt von ihrem Bezugsausdruck im Nachfeld stehen. Die Distanzstellung ist vor allem dann möglich, wenn der Bezugsausdruck im Mittelfeld steht. Die Nachfeldstellung von Adjunktorphrasen ist ein sehr häufiges lineares Phänomen und gilt als unmarkiert:
(2) Ein neuer FSME-Impfstoff soll in der kommenden Zecken-Saison noch besser schützen als bisher. (Die Presse, 21.01.2000)
(3) Die Stimmen, die ein erstmals antretender Kandidat in einer Vorwahl erhält, sollen etwa doppelt so viel zählen wie jene für einen amtierenden Mandatar. (Die Presse, 04.02.1995)
(4) Die US-Hochgeschwindigkeitszüge können auf den US-Trassen nicht so schnell fahren wie in Frankreich, weil diese nicht für die hohen Geschwindigkeiten ausgelegt sind.
(Die Presse, 13.12.2000)
Präpositionalphrasen
Präpositionalphrasen sind durch ihre besondere Nachfeldfreundlichkeit gekennzeichnet. Die Nachfeldstellung von Präpositionalphrasen ist zwar strukturell markiert, sie stellt aber ein relativ häufig auftretendes Phänomen dar.
Syntaktisch gesehen können Präpositionalphrasen als Supplemente/Adverbialia (5, 6) als Präpositivkomplemente (7, 8) oder als Adverbialkomplemente (9-10) im Nachfeld auftreten.
Supplemente zeichnen sich quantitativ durch eine höhere Vorkommenshäufigkeit im Nachfeld aus:
(6) Der eine oder andere im Saal hat nicht geklatscht nach Wulffs Rede, weil er sich selber für einen besseren Redner hält, vielleicht auch für einen besseren Präsidenten halten möchte. (Süddeutsche Zeitung, 04.10.2010)
(7) Ist denn die Kunst nicht immer so? Sie entkommt nicht ihrem Privileg und ihrem Fluch, niemals das Leben selbst sein zu können. Sie kann das Handeln nur verhandeln und niemals selbst zur Tat schreiten, sonst wäre sie keine Kunst mehr. Doch eben davon, von dieser Begrenztheit, will die Ausstellung nichts wissen. Sie ruft auf zur Tat, zum Widerstand, will kämpfen gegen das kapitalistische System! (Die Zeit, 22.09.2009)
(8) Die neue Koalition muss die Menschen aufklären über den Preis der Gesundheit. (Süddeutsche Zeitung, 14.10.2009)
(9) Die Bahnstrecke wurde zeitweise stillgelegt. Später konnte der Zug weiterfahren nach Antwerpen. (Rhein-Zeitung, 01.03.1996)
(10) Ende April 1945 geht Estrongo Nachama auf seinen zweiten Todesmarsch. "Das hat gedauert bis 3. Mai, mein Freund. Wieder Erschießungen, kein Essen, kalt. Die Verbrecher …" (Berliner Zeitung, 02.05.1998)
Zwei Präpositionalphrasen mit verschiedener syntaktischer Funktion können auch kombiniert im Nachfeld vorkommen:
Präpositionalphrasen im Nachfeld in der Funktion von Supplementen:
Wie wird doch in deutschen Städten gebaggert und geteert in diesen Tagen! Millionen fließen aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung in den Straßenbau. (Süddeutsche Zeitung, 5.11.2009)
Der Film ‚Invictus‘ zeigt, nach welchen Spielregeln man agieren muss auf dem Feld der Politik. (Süddeutsche Zeitung, 17.02.2010)
Präpositionalphrasen im Nachfeld in der Funktion von Komplementen:
Kathrin Schmidt hat sich noch nicht ganz eingefunden in ihre Rolle als Buchpreisträgerin. (Süddeutsche Zeitung, 15.10.2009)
Das Heranwachsen des modernen Steuerstaates ging einher mit dem Kampf um die Demokratie. (FAZ, 7.11.2009)
Freuen Sie sich auf Urlaub in Fuschl am See – heben Sie ab und tauchen Sie ein in die wunderschöne Landschaft des Salzkammerguts. (Internetbeleg; Werbung)
Wie manch ein Beispiel zeigt, bewirkt die Auslagerung einer längeren Einheit ins Nachfeld insbesondere bei Verben mit abtrennbarem Präverb einen besonders günstigen stilistisch-pragmatischen Effekt: So wird in Verberst- und Verbzweitsätzen verhindert, dass das Präverb zu lange auf sich warten lässt; vgl. bei unmarkierter Linearisierungsabfolge:
Man vergleiche zudem die folgenden Varianten:
Der Außenminister stimmt in den Chor jener, welche die Londoner Konferenz als Wendepunkt preisen, ein.
Der Außenminister stimmt in den Chor jener ein, welche die Londoner Konferenz als Wendepunkt preisen.
Zur informationsstrukturellen Funktion der Informationsentflechtung s. Informationsstruktur des Nachfeldes
Die Gründe für die besonders hohe Anzahl von Präpositionalphrasen im Nachfeld gegenüber NPs sind unterschiedlicher Art; über strukturelle und syntaktische Beweggründe hinaus spielen insbesondere semantische Faktoren eine zentrale Rolle. So lässt sich die Ausklammerung von Präpositionalphrasen, besonders Präpositivkomplemente, die im heutigen Deutsch relativ häufig im Nachfeld auftreten, in vielen Fällen durch das Prinzip der direkten Stellungsnachbarschaft von Zusammengehörigem erklären. Dieses Prinzip kann unter zwei Aspekten betrachtet werden: (i) Entweder stehen das Verb (als Partizip II in Verbzweitsätzen) und die vom Verb regierte Präposition direkt nebeneinander, was sich in der Nachfeldstellung des Präpositivkomplements niederschlägt; oder (ii) die nominale Erweiterung der PP fungiert als Bezugseinheit eines Relativsatzes und die Ganzheit „Präposition + NP + Attributsatz“ werden gemäß einem „Attraktionsprinzip“ (Munsa (1972), 39; Kromann (1974), 67; Zahn (1991), 217; Vinckel (2006a))nach rechts verschoben.
i) Tendenz zur Nachfeldstellung am Beispiel von verbunden mit
Ähnlich wie die (im heutigen Sprachgebrauch quasi regelmäßige) Nachstellung der von-PP in Partizipialkonstruktionen des Typs abgesehen von kommen bestimmte PP in Verbindung mit dem entsprechenden regierenden Verb besonders häufig im Nachfeld vor, so dass ein gewisser Lexikalisierungsprozess anzunehmen ist. Stellvertretend hierfür ist die Verbindung verbunden mit in Verbzweitsätzen, das Partizip II (als rechter Satzklammerteil) und die regierte Präposition stehen in direkter Kontaktstellung. Ähnliches gilt für Verbindungen wie: geprägt von, eingebettet in usw. Die Nachfeldstellung des Präpositivkomplements ist eine gängige Erscheinung:
Mitgliederversammlungen bei Fußball-Vereinen sind geprägt von viel Emotionalität. (Hamburger Morgenpost, 20.11.2007)
Deutschland ist tief geprägt von seiner christlichen Geschichte. Staat und Kirche sind in einem Maße miteinander verwoben, wie es in vielen anderen europäischen Ländern unvorstellbar ist. (Süddeutsche Zeitung, 07.03.2010)
ii) Attraktionsprinzip: Nachfeldstellung von Bezugseinheit + Attributsatz
Dem Prinzip der direkten Stellungsnachbarschaft von Zusammengehörigem (vgl. das "Gesetz der Zusammenordnung von geistig eng Zusammengehörigem" in Behaghel (1932), 4) kann andererseits ein gewisses „Attraktionsprinzip“ zugrunde liegen. Dieses Prinzip betrifft in erhöhtem Maße Präpositionalphrasen, deren (Pro-)Nominalkomponente einen Attributsatz in Form eines Relativsatzes enthält. Relativsätze gelten im heutigen Deutsch als besonders beliebte, weitgehend grammatikalisierte Besetzungsformen des Nachfelds (siehe Sätze im Nachfeld). Statt aber allein im Nachfeld und somit getrennt von ihrer Bezugseinheit zu stehen, ziehen sie diese zu sich. Dies trifft auch zu für dass-Subjunktorsätze und uneingeleitete Nebensätze: Als satzförmige Nachfeldkandidaten führen sie die Auslagerung der Gesamtheit „Präposition + NP + Attributsatz“ ins Nachfeld herbei. Bezugseinheit und Erweiterung stehen nicht nur inhaltlich-semantisch, sondern auch syntagmatisch nebeneinander:
Hier wird von Herrn Mappus nur auf Zeit gespielt in der Hoffnung, dass sich die Proteste totlaufen. (www.focus.de, 10.10.2010)
Auch als Komplemente des Funktionsverbgefüges (12) bzw. als Adjektivkomplemente (13-14) können Präpositionalphrasen das Nachfeld besetzen:
(13) Franck Ribéry war wie erwartet nicht rechtzeitig fit geworden für die Begegnung. (Süddeutsche Zeitung, 9.12.2009)
(14) Heute ist ein historischer Tag, liebe Freunde, für die Liberalen und für Deutschland. Wir können stolz sein auf unsere deutschlandpolitische Vorreiterrolle. Wir können stolz sein auf unsere liberalen Ideale. (Rede von Otto Graf Lambsdorff, 08.1990)
Steht die Präpositionalphrase unter dem Wirkungsbereich einer Fokuspartikel, kommt die Gesamtheit Fokuspartikel + Präpositionalphrase im Nachfeld vor:
Nominalphrasen
Nominalphrasen kommen generell nur eingeschränkt im Nachfeld vor. Ihre Nachfeldstellung gilt als besonders markiert und wird mit unterschiedlichen Akzeptabilitätskriterien beurteilt.
Nominalphrasen stehen am ehesten im Nachfeld, wenn sie stark erweitert sind (16) oder wenn sie syndetisch gehäuft auftreten (17-18). Sie haben dann Komplement-Status:
(17) Eine Kopie dieses Schreibens haben erhalten die Zentrale, der BDI und das Finanzministerium.
(18) Haben wir nichts einzubringen in die deutsche Einheit? Und wir antworten: Doch, wir haben! Wir bringen ein unser Land und unsere Menschen. (Regierungserklärung von Lothar de Maizière, 19.04.1990)
Allerdings sind weniger ausgebaute Nominalphrasen im Nachfeld nicht ausgeschlossen, sie kommen vor allem in mündlichen Kommunikationssituationen vor, z. B.:
[19] | 01 A.D. | genau" * also ich hatt= eigentlich gepla:"nt |
02 | ein grillen mit freu"nden– und äh ** | |
03 | ja gu"t * →das hab ich dann au"ch gemacht← | |
(Talkshow, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen 25.06.2004) |
Außerhalb dieser spezifisch mündlichen Kommunikationssituationen gelten Nominalphrasen eher als nachfeldfeindlich. Ihr Auftreten im Nachfeld ist teilweise auch textsortenspezifisch: Zu finden sind sie – wenn auch in sehr geringerem Maße – z. B. in politischen Reden (21) oder in schriftlichen Texten wie Zeitungsartikeln (22):
Syntaktisch gesehen fungieren Nominalphrasen im Nachfeld prinzipiell als primäre Komponente (Kasuskomplemente – 19 und 21 –, seltener als Supplement (Adverbialia – 20 und 22 –)); in eingeschränktem Maße treten sie als sekundäre Komponente in Form eines Genitivattributs im Nachfeld auf, z. B.:
Adjektiv-/Adverbphrasen
Adjektiv- und Adverbphrasen sind aufgrund ihrer einfachen Bauform und ihrer begrenzten Erweiterungsmöglichkeiten wenig nachfeldgeeignet. In der Funktion von satz- oder verbgruppenbezogenen Adverbialia kommen sie – überwiegend in mündlichen Kommunikationssituationen – gelegentlich in Nachfeldstellung vor:
(25) aber haben sie denn auf der straße einen job gefunden dann↑
(Talkshow-Dialog, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen, 09.07.2004)
(24) haben sie denn auf den konventionellen wegen alles probiert zuvor ↑
(Talkshow-Dialog, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen, 09.07.2004)
Koordinierte Phrasen
Die unmarkierte Stellung von koordinierten Phrasen ist direkt rechts von ihrem Bezugsausdruck:
Alternativ können koordinierte Phrasen getrennt von ihrem Bezugsausdruck auch (und nur) im Nachfeld stehen – sowohl in mündlichen als auch in schriftlichen Texten. Die sich daraus ergebende Linearisierungsabfolge ist strukturell markiert. Durch die Trennung koordinativer Phrasen entsteht die stilistische Figur des Hyperbatons, was nicht nur eine interessante rhythmische Wirkung bewirkt, sondern auch zur Hervorhebung beiträgt (ausführlich in Informationsstruktur des Nachfeldes):
(Rede von Otto Graf Lambsdorff, FDP-Bundesparteitag, 11.-12.08.1990)
(29) "Wir haben abends sonst immer Tee getrunken und Milch, nur mein Vater hat Bier getrunken und manchmal Kognac." (B. Vanderbecke, Das Muschelessen. 2001, 42)
Appositive Phrasen
Ähnlich wie bei den koordinierten Phrasen ist die unmarkierte Stellung von appositiven Phrasen unmittelbar nach ihrer Bezugseinheit:
(FAZ, 17.02.2010)
Appositive Phrasen können aber auch im Nachfeld stehen, sie sind dann intonatorisch und grafisch abgesetzt; die Nachfeldstellung gilt als markiert. Umstritten ist aber, ob es sich bei solchen appositiven Phrasen um Einheiten des Nachfeldes oder um Einheiten des rechten Außenfeldes handelt. In ProGr@mm werden appositive Phrasen rechts des zweiten Klammerteils aufgrund ihres engeren Komponentenbezugs als integrativer Bestandteil des Satzes zum Nachfeld gerechnet:
(32) Ohne Widersprüche also ist das israelische Wunder nicht, doch jeder Fortschritt lebt vom Widerspruch und dem Willen, ihn zu überwinden. Die Israelis haben das nicht zuletzt von Theodor Herzl gelernt, dem Begründer ihrer modernen Staatsidee. (Süddeutsche Zeitung, 21.03.2010)
Die Position von appositiven Phrasen nach dem rechten Satzklammerteil wird in der Literatur unterschiedlich behandelt. Von Meinungsunterschieden und Divergenzen zeugt allein die vielfältige Begrifflichkeit und Terminologie: z. B. nachgestellte Apposition, Apposition als Herausstellungstyp (Altmann (1981)), Zusatz bzw. satzgliedbezogener Nachtrag (Schindler (1990)), adjungierte Nachfeldkonstituente (Vinckel (2006a)). In ProGr@mm werden appositive Phrasen rechts des zweiten Klammerteils aufgrund ihres engeren Komponentenbezugs als integrativer Bestandteil des Satzes zum Nachfeld gerechnet und nicht als desintegrierter Zusatz im Außenfeld angesehen.