Sonderfälle

Subjektive Zeitempfindung

Die Zeit messen wir nicht nur (mehr oder weniger) objektiv mit einer Uhr, sondern wir empfinden sie auch subjektiv. Unsere subjektive Zeitempfindung können wir z.B. durch Fokuspartikeln und durch Satzadverbien ausdrücken.

Fokuspartikeln (erst, schon, noch)

(1) Der Laden macht um 9:30 Uhr auf.
(2) Der Laden macht schon um 9:30 Uhr auf. [Das ist sehr früh bzw. es dauert nicht mehr lange bis dahin]
(3) Der Laden macht erst um 9:30 Uhr auf. [Das ist sehr spät bzw. es dauert sehr lange bis dahin]

Die Sätze (1) bis (3) vermitteln alle die gleiche Grundinformation, d.h. wann der Laden aufmacht. Die Sätze (2) und (3) vermitteln eine zusätzliche Information durch die Fokuspartikeln schon, erst. Diese teilen mit, ob der Sprecher diesen Zeitpunkt als früh (schon) oder spät (erst) empfindet.

Fokuspartikeln mit temporaler Bedeutung werden immer in Kombination mit Temporaladverbialia (Temporaladverbien, Präpositionalphrasen, Temporalsätzen) verwendet:
(4) Sein Geburtstag war schon gestern, doch richtig gefeiert wird erst morgen (Mannheimer Morgen, 18.01.2013, S. 17) [Für den Sprecher wird der Geburtstag spät gefeiert]
(5) Er arbeitet schon seit 1973 im Krankenhaus, seit 1989 leitet der die Küche. (Rhein-Zeitung, 08.12.2000) [Für den Sprecher ist 1973 ein sehr früher Zeitpunkt in der Vergangenheit]
(6) Der Kunde zahlt erst, nachdem er die Ware erhalten hat. (Hannoversche Allgemeine, 11.12.2008, S. 23) [Für den Sprecher ist der Zeitpunkt der Zahlung spät]
(7) Schon bevor das Schauspiel begann, gähnte das Publikum. (Die Rheinpfalz, 03.09.2014) [Für den Sprecher hat das Publikum sehr früh angefangen, zu gähnen]
Die Fokuspartikel noch kann verschiedene Bedeutungen haben. Hier einige Beispiele:
(8) Gestern Abend begann das Volksfest. Noch bis Montag wird gefeiert. (Rhein-Zeitung, 09.08.2008) [Für den Sprecher endet das Volksfest lange nach der Sprechzeit – Samstag, 09.08.2008]
(9) Jeder im Hotel kannte mein Auto, noch bevor ich angekommen war. (Niederösterreichische Nachrichten, 31.01.2007, S. 43) [Der Sprecher ist überrascht, dass Ereignis A vor Ereignis B stattfindet]

Satzadverbien (schon, noch, immer noch, endlich)

Satzadverbien verwenden wir nicht in Kombination mit Temporaladverbialia, sondern als selbstständige Satzteile.

Auch Satzadverbien können subjektive Zeitempfindungen ausdrücken::

(1) Lisa war sehr aufgeregt, denn sie hatte heute Geburtstag. Ihre Eltern schliefen noch. (Berliner Zeitung, 31.08.2022, S. 7) [Lisa ist sehr früh aufgewacht und/oder es kann lange dauern, bis ihre Eltern aufwachen]
(2) "Ich schlafe schon, wenn er nach Hause kommt" (Berliner Zeitung, 09.10.2007, S.1) [Ich gehe früh schlafen und/oder er kann lange dauern, bis er nach Hause kommt]
(3) „Heute Nacht konnten wir endlich schlafen“ (Braunschweiger Zeitung, 19.01.2009) [Wir konnten lange nicht schlafen]
(4) Es gibt Kaffee, Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne. Ein lustiger Nachmittag war heute wieder. Carlos hat das alles nicht gestört, er schläft immer noch. (Braunschweiger Zeitung, 22.07.2006) [Der Sprecher weiß, dass Carlos vor dem Nachmittag schlief. Das hat sich bisher nicht geändert]

Nicht früher/Nicht später als …

Nicht zu jedem Ereignis kann ein eindeutiger Zeitpunkt festgelegt werden. Manchmal ist es so, dass wir nur sagen können, dass ein Ereignis nicht früher oder nicht später als eine gewisse Zeit stattgefunden hat oder stattfinden wird. Dies können wir durch frühestens, spätestens in Kombination mit einem Temporaladverbial (Temporaladverb, Präpositionalphrasen, Temporalsatz) ausdrücken:

(1) Ich warte auf eine Antwort aus Hamburg. Spätestens morgen soll sie kommen. (Nürnberger Nachrichten, 07.08.1996, S. 1) [Die Antwort soll nicht später als morgen kommen]
(2) „… Das schaffe ich im Moment aber selten", erzählt Ursula Lindl, die spätestens um neun Uhr morgens am Schreibtisch sitzt. (Nürnberger Nachrichten, 26.01.1999) [nicht später als neun Uhr morgens]
(3) Die Polizei kann Frühestens heute mit den Ermittlungen beginnen. (Hannoversche Allgemeine, 05.06.2009) [nicht früher als heute]
(4) „Wir können frühestens im September anfangen“ (Braunschweiger Zeitung, 06.03.2009) [nicht früher als September]

heutig, zweitägig, täglich, zweiwöchentlich: Wortbildung und Zeitausdruck

Aus Nomen zu Temporaleinheiten (z.B. die Stunde, der Tag, die Woche, der Monat, das Jahr) und aus Temporaladverbien wie heute, gestern, morgen, vorher, bisher können wir auch Adjektive mit temporaler Bedeutung bilden, und zwar mit den Suffixen -ig und -lich.

Mit dem Suffix -ig bildet man:

Adjektive aus Adverbien, z.B. heute➙heutig, gestern➙gestrig, bisher➙bisherig, vorher➙vorherig
(1) Die heutige Sitzung soll gegen 19.15 Uhr enden. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Landtag Niedersachsen am 12.09.2007) [Die Sitzung von heute]
(2) Viele Spieler fehlten beim gestrigen Training. (Braunschweiger Zeitung, 05.11.2012) [beim Training von gestern]
(3) Meine bisherigen Erfahrungen mit dem Projekt sind positiv. (Berliner Zeitung, 10.02.2001, S. 18) [Die Erafahrungen, die ich bisher hatte]
(4) Eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich. (Rhein-Zeitung, 21.07.2021, S. 21) [Es ist nicht erforderlich, sich vorher anzumelden]
Adjektive aus Nominalphrasen, z.B. zwei Tagezweitägig, eine Stunde➙einstündig, drei Monate➙dreimonatig

Diese Adjektive geben Informationen über die Dauer von Ereignissen:

(5) An der zweitägigen Konferenz in Los Angeles nehmen Wissenschaftler, Umweltschützer, Industrievertreter und Regierungsbeamte teil. (Hannoversche Allgemeine, 20.11.2008, S. 2) [An der Konferenz, die zwei Tage lang dauert]
(6) Mit zweistündiger Verspätung konnte das Konzert beginnnen. (Braunschweiger Zeitung, 23.01.2013) [Mit zwei Stunden Verspätung]
(7) Pro Person kostet die viermonatige Reise 1800 Euro. (Braunschweiger zeitung, 05.10.2005) [die Reise, die 4 Monate dauert]

Mit dem Suffix -lich bildet man:

Adjektive aus Nominalphrasen z.B. Tag➙täglich, Monat➙monatlich, zwei Wochen➙zweiwöchentlich

Diese Adjektive geben Informationen über die Häufigkeit von Ereignissen:

(8) Wer täglich Zeitung liest, ist gut informiert… (Rhein-Zeitung, 03.06.2015) [jeden Tag]
(9) Auf seine dreimonatlichen Besuche in Berlin will der 33-Jährige jedoch nicht verzichten. (Berliner Zeitung, 28.12.1999, S. 16) [Auf seine Besuche alle drei Monate]
(10) Ab dem 23. September finden die Treffen zweiwöchentlich freitags von 16 bis 18 Uhr statt. (Mannheimer Morgen, 06.09.2016, S. 20) [alle zwei Wochen]

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Autor(en)
Giorgio Antonioli
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