Einfache vs. zusammengesetzte Tempora
Neben der morphologischen Unterscheidung von synthetisch und analytisch gebildeten Tempusformen kann noch ein weiterer Unterschied zur Beschreibung der Tempora herangezogen werden, nämlich der zwischen semantisch einfachen (Präsens, Präteritum, Futur) und zusammengesetzten Formen (Präsensperfekt, Präteritumperfekt, Futurperfekt):
einfach | zusammengesetzt | |
synthetisch | Präsens Präteritum | — |
analytisch | Futur | Präsensperfekt Präteritumperfekt Futurperfekt |
Diese Unterscheidung kann bei Analysen der Bedeutung von Tempora genutzt werden. Die Bedeutung zusammengesetzter Tempora lässt sich kompositional aus der Bedeutung des finiten Hilfsverbs und des infiniten Bestandteils der analytischen Tempusform gewinnen.
Beim Futur handelt es sich – im Gegensatz zum Präsens und zum Präteritum – um eine analytische Form. Dennoch ordnen wir es unter die einfachen Tempora, denn:
- Die Bedeutung lässt sich nicht in einfacher Weise kompositional gewinnen aus der Bedeutung des Hilfsverbs werden im Präsens und der Bedeutung des Infinitivs.
- Das Konjugationsparadigma ist im Vergleich zu den beiden anderen
Tempushilfsverben haben und sein unvollständig.
Die Hilfsverben haben und sein kommen bei den
analytisch gebildeten Tempusformen Präsensperfekt und Präteritumperfekt einerseits
im Präsens, andererseits auch im Präteritum vor. Für das Hilfverb
werden gibt es keine entsprechende Form:
Ich habe gesehen – Ich hatte gesehen
Ich bin gekommen - Ich war gekommen
versus
Ich werde kommen - * Ich wurde kommen. - Das analytische Futur verhält sich zum Futurperfekt in seiner Bedeutung wie die einfachen Tempora Präsens und Präteritum zu ihren zusammengesetzten Tempusformen Präsensperfekt und Präteritumperfekt.
Die Bildung des Kompositums Präsensperfekt ist z. B. motiviert, da das Tempus Präsensperfekt aus einem Hilfsverb im Präsens und einem Partizip Perfekt gebildet wird. Die Summe der Bedeutung beider Konstituenten des Kompositums trägt zur Analyse der temporalen Bedeutung bei.