Das Passiv ist ein Genus Verbi, bei dem die Perspektive nicht auf dem Handlungsträger liegt. Das Vorgangspassiv wird mit dem Hilfsverb werden und dem Partizip II (Partizipien) gebildet, das Zustandspassiv mit dem Hilfsverb sein und dem Partizip II. Beim sogenannten Rezipienten- oder Dativpassiv ist das Dativobjekt des Aktivsatzes Subjekt. Es wird meist mit dem Hilfsverb bekommen und Partizip II gebildet.
In den Beispielen sind passive Formen gefettet, der Handlungsträger ist jeweils rot, der Handlungsgegenstand grün und der Handlungsbetroffene (Rezipient) blau hervorgehoben.
Das Passiv steht als die in Bezug auf die Kategorie Genus Verbi markierte Verbform dem unmarkierten Aktiv gegenüber. Die Passivbildung wird daher ausgehend vom Aktiv beschrieben. Das Passiv wird durch einen Verbalkomplex realisiert, in dem das Vollverb Partizip II ist und ein Hilfsverb zur Passivbildung verwendet wird (werden für das Vorgangspassiv, sein für das Zustandspassiv und bekommen/kriegen für das Rezpientenpassiv).
Zum Kernbereich des Passivs zählen traditionell das Vorgangs- und das Zustandspassiv, aber auch das Rezipientenpassiv ist eine systematisch gebildete Passivform. Gemeinsam ist diesen Formen, dass sie den Handlungsträger, der bei Handlungsverben im Aktiv als Subjekt auftritt, nicht bzw. nur als fakultative Präpositionalgruppe realisieren, siehe die rote Markierung in (1-4). Für das Vorgangs-, und das Zustandspassiv gilt: Das Akkusativobjekt des entsprechenden Aktivsatzes ist Subjekt des Passivsatzes, siehe die grüne Markierung in den Beispielen (2-3 im Vergleich zum Aktivsatz 1). Beim Rezipientenpassiv wird das Dativobjekt des Aktivsatzes zum Subjekt des Passivsatzes, siehe die hellblaue Markierung in (4) im Vergleich zu (1).
Passive sind zu unterscheiden von sogenannten Passiv-Ersatzformen (z. B. Man schneidet dem Jungen die Haare. oder Die Haare lassen sich gut schneiden/sind gut schneidbar/sind gut zu schneiden.). Hierbei handelt es sich nicht um Passivsätze, sondern um Aktivkonstruktionen, bei denen der Handlungsträger nicht genannt wird.
Zur Bestimmung des Genus Verbi ist es entscheidend, Passivsätze (die markierte Form von Genus Verbi) zu identifizieren. Formal ist das gemeinsame Merkmal aller Passive die Bildung des Verbalkomplexes mit Passiv-Hilfsverb (werden/sein/bekommen) und dem Partizip II. Aktivsätze im Futur sind durch die Bildung mit dem Tempus-Hilfsverb werden Passivsätzen formal ähnlich, allerdings verbindet sich das Hilfsverb in diesen Fällen mit einem Infinitiv.
Handlungsträger-Probe: Zur Unterscheidung von Aktiv- und Passivsätzen kann in Sätzen mit Handlungsverb zudem überprüft werden, ob der Handlungsträger als Subjekt realisiert ist:
Ist dies der Fall wie die Lehrerin in (5), handelt es sich um einen Aktivsatz, wohingegen in (6) der Handlungsträger als Präpositionalgruppe ausgedrückt werden kann, aber nicht muss. Umgekehrt kann aus dem Fehlen eines Handlungsträgers aber nicht auf einen Passivsatz geschlossen werden, da es auch Aktivsätze gibt, in denen andere semantische Rollen die Subjektposition besetzen.
Für die Passivvarianten existieren viele unterschiedliche Bezeichnungen. Neben den oben verwendeten Bezeichnungen wird teilweise auch die Angabe des an der Bildung beteiligten Verbs zur Bezeichnung der Passivvariante verwendet:
‚werden-Passiv‘, ‚sein-Passiv‘, ‚bekommen-Passiv‘, ‚gehören-Passiv‘
Insbesondere für das Zustandspassiv existieren viele unterschiedliche Bezeichnungen, teilweise verbunden mit einer unterschiedlichen Analyse der grammatischen Struktur: ‚sein-Passiv‘, ‚sein-Resultativ‘, ‚sein-Konverse‘, ‚sein-Stativ‘ (mit stativen Basisverben wie abbilden: Der Hund ist auf S. 3 abgebildet.), ‚sein-Reflexiv‘ (mit reflexiven Basisverben wie sich erkälten: Anna ist erkältet.).
Weiterführendes:
Neben den Kernbereichen Vorgangs-, Zustands- und Rezipientenpassiv ist eine weitere, eher periphere Passiv-Variante das sogenannte ‚modale Passiv‘. Beim modalen Passiv wird das Ereignis im Vergleich zum Aktivsatz modal eingebettet, d. h., das Ereignis wird als notwendig charakterisiert: Die Haare gehören (von einem Profi) geschnitten!
Die Einordnung des Zustandspassivs (Bsp. Der Tisch ist gedeckt.) als Genus Verbi hat eine lange schulgrammatische Tradition. In der Linguistik haben sich mittlerweile aber auch alternative Konzepte zur Einordnung von sein + Partizip II etabliert. So kann die Verbindung auch als Kopulaverb + Adjektiv betrachtet werden: Wie die Adjektive in Kopula-Adjektivsätzen können die Partizipien beim Zustandspassiv (nicht aber beim Vorgangspassiv) gesteigert (Komparation) werden (Die Straße ist befahrener als eine Autobahn.) und mit dem Negationspräfix un- auftreten (Die Packung ist ungeöffnet.). Die Partizipien können zudem mit genuinen Adjektiven koordiniert werden (Die Teller waren sauber und gespült.).
Aktiv-/Passiv-Umformungen:
Beim Umgang mit Umformübungen ist zu beachten, dass diese nicht immer funktionieren, weil es zahlreiche Bildungsbeschränkungen für Passive gibt: So können z.B. Verben ohne Akkusativobjekt (z. B. arbeiten) und reflexive Verben (z. B. sich schämen) nur eingeschränkt das Passiv bilden, da kein Akkusativobjekt zur Überführung in die Subjektfunktion (Subjekt) zur Verfügung steht. Die gebildeten Passive sind dann subjektlos (Bsp. Jetzt wird sich geschämt./Es gehört sich geschämt.), die Passivbildung ist teilweise blockiert (*Jetzt ist sich geschämt./*Es ist gearbeitet.) oder markiert (?Es gehört weiter gearbeitet.). Die Blockierung kann aber teilweise durch einen geeigneten Kontext aufgehoben werden (Es ist genug gearbeitet.).