Folgerungstest

Der Folgerungstest (F-Test) filtert bei negativer Entscheidung Supplemente heraus, bei positiver Entscheidung Komplement-Kandidaten, deren endgültiger Status durch den folgenden Anschlusstest festgelegt wird.

Es gibt Sätze, die in Bezug auf die Valenz des Verbs minimal ausgestattet sind (genauer: die Ausdruck einer elementaren Proposition sind), und die - um eine Phrase reduziert - dennoch einen vollständigen Satz darstellen (genauer sagen wir mit der GDS: auch der reduzierte Satz ist Ausdruck einer Proposition).

Der Folgerungstest muss also folgende Frage beantworten: Trifft es zu, dass aus dem reduzierten Ausdruck (in bestimmten Zusammenhängen und bestimmten Verwendungsweisen des Verbs) auf einen Ausdruck mit indefiniter Besetzung der fraglichen Stelle gefolgert werden kann?

Der Inhalt dieser kompakten Formulierung wird am Beispiel sofort deutlich:

(a) Edmund isst Saumagen.
(b) Edmund isst.

Auch Satz b), in dem Saumagen entfernt wurde, drückt einen nachvollziehbaren Sachverhalt aus.

An Stelle dieser eliminierten Phrase Saumagen kann man eine unbestimmte Phrase, eine Art Variable, einsetzen. Aus Edmund isst. kann man folgern:

(c) Edmund isst etwas.

Dass Edmund etwas isst, also eine bestimmte Nahrung zu sich nimmt, kann man aus der spezifischen Verbbedeutung von essen folgern. Auch wenn der "Gegenstand", das Nahrungsmittel nicht explizit als Komplement im Satz erscheint, kann man es bei Verben wie essen offensichtlich mitverstehen, so dass Edmund isst. ein sinnvoller Satz des Deutschen ist.

Weitere Beispiele:

(a) Opa liest die Morgenzeitung.
(b) Opa liest.
(a) Der DAX ist um 63 Punkte gestiegen.
(b) Der DAX ist gestiegen.


In diesen Fällen ist die Phrase, um die der ursprüngliche Satz reduziert wurde (z.B. die Morgenzeitung) ein Komplement-Kandidat.

Dass Edmund etwas isst, also eine bestimmte Nahrung zu sich nimmt, dass Opa etwas Geschriebenes z.B. ein Druckerzeugnis liest, dass der DAX um einen bestimmten Betrag gestiegen ist kann man aus der spezifischen Verbbedeutung von essen, lesen und steigen folgern. Dass Ausdrücke (Sätze) von elementaren Propositionen um eine Komponente reduziert werden können und dennoch Propositionsausdrücke bleiben, wirkt auf den ersten Blick paradox. Das erklärt sich aber daraus, dass - bei bestimmten Verben - betroffene Gegenstände oder Umstände über Schlussfolgerungen zugänglich sein können, auch wenn sie nicht benannt sind.

In den folgenden Beispielen könnten irgendwann und an ihrem Schreibtisch in den b)-Sätzen ebenfalls Komplemente sein.

(a) Wir fahren an die Nordsee.
(b) Wir fahren irgendwann an die Nordsee.
(a) Sie dachte an ihrem Schreibtisch nach.
(b) Sie dachte nach.

Sie sind es aber nicht und zwar aus folgendem Grund:

Wichtig bei diesem Test ist, dass die Folgerung für eine spezifische Satzbedeutung gilt. Nur dann handelt es sich um einen Komplement-Kandidaten. Bei Folgerungen, die für beliebige Satzbedeutungen gelten, ist die Phrase, um die der ursprüngliche Satz reduziert wurde, ein Supplement. Die Folgerung Es geschieht irgendwann. gilt nicht nur für Wir fahren an die Nordsee. sondern z.B. auch für Wir steigen ins Flugzeug.

Die Phrase irgendwann oder in drei Wochen ist also nicht so stark in der Verbbedeutung von fahren angelegt bzw. kann aus ihr erschlossen werden wie bei essen die Tatsache, dass man immer etwas isst, wenn man isst oder bei steigen, dass Preise, wenn sie steigen, immer um einen bestimmten Betrag steigen. Letzteres gehört mit zur Bedeutungsbeschreibung dieser beiden Verben. Zur Bedeutungsbeschreibung von fahren gehört aber nicht die Angabe des Zeitpunkts, weil alle Ereignisse in der Zeit (und im Raum) stattfinden.

Die ergänzbare Variable bezieht sich auf einen Gegenstand, der an der Konstruktion des in der Satzbedeutung realisierten Sachverhalts beteiligt ist, auch wenn er "an der Oberfläche" nicht realisiert ist. Es handelt sich dabei um einen von der Verbbedeutung gesteuerten und erschließbaren Beitrag zum Kern der Satzbedeutung (Proposition). Das beinhaltet die stärkere Variante des Folgerungstests. Bei der schwächeren Variante insbesondere bei Dativphrasen handelt es sich eher um Beteiligte eines "kontextualisierenden" Ereignisses, das z.B. auch den Vor- oder Folgezustand mit ins Spiel bringt. Wir haben bisher die stärkere Variante des Folgerungstests besprochen.

Fazit

Phrasenklassen, für die der F-Test negativ verläuft, sind Supplemente.

Phrasenklassen, für die der F-Test uneingeschränkt positiv verläuft, sind Komplement-Kandidaten. Wenn die Testfrage nur in bestimmten Zusammenhängenen oder Verwendungsweisen mit ja beantwortet werden kann, sagen wir, dass der Test eingeschränkt positiv verläuft und eingeschränkt zu einem Komplement-Kandidaten fährt.

Die positiven Ergebnisse des F-Tests erweitern den Bereich der potentiellen Komplemente gegenüber traditionelleren Definitionen. Ob es sich wirklich um Komplemente handelt, muss der folgende Anschlusstest erweisen.

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