Flexionsmorphologie

Wenn in der Sprachwissenschaft von Morphologie (aus dem Griechischen für "Formenlehre") die Rede ist, wird die Wortstruktur ins Auge gefasst, genauer gesagt, die Relation zwischen der formalen Struktur und der Bedeutungsstruktur des Wortes. Hier kann "Wort" zweierlei bedeuten, wobei es sich in beiden Fällen bereits um eine Abstraktion von der konkreten, gesprochenen oder geschriebenen Ausdruckseinheit handelt:

1. Wortform, die inhaltlich und formal zusammengehörige Ausdruckseinheiten repräsentiert, welche keine grammatisch interpretierbaren Formunterschiede aufweisen.

Somit sind Aussprachevarianten von Stockfisch wie [ʃtɔkfɪʃ], [stɔkfɪʃ] oder [ʃtɔkfɪʃj] an sich nur unterschiedliche Realisierungen derselben Wortform - die formalen Unterschiede zwischen den Einheiten sind nicht grammatisch interpretierbar. Dagegen stellen Stockfisch, Stockfisches, Stockfische, Stockfischen verschiedene Wortformen dar. Wortformen sind sozusagen Matrizen, deren man sich bei der Produktion und der Rezeption konkreter Äußerungen bedient.

2. Lexem, das inhaltlich und formal zusammengehörige Ausdruckseinheiten repräsentiert, welche unterschiedliche grammatisch interpretierbare Formmerkmale aufweisen können.

Die Wortformen Stockfisch, Stockfisches, Stockfische und Stockfischen lassen sich somit ein und demselben Lexem zuordnen. Auf der anderen Seite gibt es Lexeme, denen nur eine Wortform zugeordnet werden kann, z. B. leider, also, und. Gibt es mehrere zusammengehörige Wortformen, wird auf das Lexem mithilfe einer konventionalisierten Nennform (z. B. "Stockfisch") Bezug genommen. Lexeme sind als Basiseinheiten des Wortschatzes zu betrachten. In den Wörterbüchern werden üblicherweise Lexeme verzeichnet.

Eine Wortform kann auch als Klasse/Menge von Ausdruckseinheiten aufgefasst werden, die keine grammatisch interpretierbaren Formunterschiede aufweisen, ein Lexem auch als Klasse/Menge von Wortformen.

Wortformen und Lexeme

Mit der Bildung von Lexemen aus vorhandenem Sprachmaterial beschäftigt sich die Wortbildungslehre. In der Flexionsmorphologie rücken dagegen die Wortformen in den Vordergrund. Hier geht es nämlich um die grammatisch relevanten Veränderungen der formalen Struktur des Wortes unterhalb der Lexemebene und um seinen internen Aufbau. Dabei sind nur Wortformen solcher Lexeme interessant, die überhaupt über mehrere Wortformen verfügen.

Welcher Art sind die Unterschiede zwischen Wortformen, die zu ein und demselben Lexem gehören? Sie können nicht den Bedeutungskern betreffen, denn dieser ist bei einem Lexem konstant (vgl. Wortformfunktion). Sie betreffen nur die grammatischen Merkmale der Wortformen, die sich durch Zuordnung der Wortformen zu bestimmten Kategorien beschreiben lassen. Auf verschiedene Wortformen eines Lexems können unterschiedliche Kategorien einer grammatischen Kategorisierung (Menge von Kategorien) zutreffen, z. B. trifft auf Apfel die Kategorie Singular und auf Äpfel die Kategorie Plural der Kategorisierung Numerus zu.

Die Kategorisierungen, die in der Flexionsmorphologie traditionell als relevant gelten, sind Numerus, Genus, Kasus, Person, Tempus, Verbmodus und Komparationsstufe. Den dazugehörigen Kategorien liegen generelle semantische Konzepte zugrunde, die im Prinzip eine klare interne Ausdifferenzierung der Kategorisierungen erlauben. Die systematische formale Markierung solcher grammatischer Kategorien in den Wortformen wird Flexion genannt. Die grammatischen Kategorien können dann auch Flexionskategorien genannt werden.

Alle Wortformen, die zu einem Lexem gehören, bilden sein Flexionsparadigma. Flexionsparadigmen verbaler Lexeme werden durch analytische bzw. periphrastische Bildungen ergänzt wie habe gerufen, werde rufen und werde gerufen. Da diese aber aus mehreren Wortformen bestehen, sind sie syntaktische und nicht morphologische Konstruktionen und als solche nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen (vgl. aber Verb, Verbalkomplex, Tempus, Genus Verbi).

Den Gegenstand der Flexionsmorphologie bildet aus syntagmatischer Sicht der Aufbau von Wortformen, aus paradigmatischer Sicht der Aufbau von Flexionsparadigmen.

Syntagmatische und paradigmatische Sicht

In der aktuellen Informationseinheit und ihren Untereinheiten tritt oft die syntagmatische Perspektive, der Aufbau von Wortformen aus konstanten und variablen Bestandteilen, in den Vordergrund. Nichtsdestoweniger werden hier auch paradigmatische Aspekte behandelt. Dies erklärt sich daraus, dass die Flexion - ungeachtet ihrer syntagmatischen Realisierung - letztlich paradigmatisch motiviert ist: Eine Wortform wird durch Unterschiede zu anderen Wortformen desselben Lexems konstituiert.

Die paradigmatische Perspektive ist zentrales Thema der Einheit Paradigmatische Beziehungen, wenn die einzelnen Kategorisierungen näher betrachtet werden (vgl. z. B. Genus, Tempus, Verbmodus).

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Autor(en)
Marek Konopka
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