Aufbau von Wortformen
Wortformen lassen sich bei flektierbaren Wortarten semantisch als Kombinationen aus der Lexembedeutung und der wortformspezifischen grammatischen Funktion analysieren. Die Unterscheidbarkeit der verschiedenen Wortformen, die zu einem Lexem gehören, muss formal gesichert sein. Dafür sorgen im Deutschen:
1. so genannte Flexionsaffixe, die am Ende bzw. - selten - am Anfang einer Wortform erscheinen können, z. B.:
rein-erversus rein
schreib-stversus schreib-e
ge-seh-en versus seh-en
2. Wechsel der Stammvokale, z. B.:
sang versus sing
Dementsprechend sind im Deutschen prinzipiell zwei Mittel der Wortformbildung zu unterscheiden: die Affigierung und der Vokalwechsel. Sie können beide in ein und derselben Wortform zum Einsatz kommen (vgl. Kombination von Vokalwechsel und Affigierung), z. B.: Mütter-n, sang-en.
Einheiten, an die Flexionsaffixe angehängt werden können, sowie Einheiten, die keine Flexionsaffixe enthalten und Wortformen darstellen, werden Stammformen genannt. Betrachtet man die bisherigen Beispiele, so sind Wohnung(-), schreib(-), seh-, Mütter(-) sang(-), sing(-) einerseits und Mutter andererseits Stammformen. Wie schon diese Beispiele zeigen, kann es innerhalb eines Paradigmas mehrere Stammformen geben. Stammformen können dabei auch Einheiten sein, die bereits durch Affigierung entstanden sind wie Kind-er(-n).
Bei Affigierung an eine Stammform, die keine Flexionsaffixe enthält und keinen Vokalwechsel zeigt, scheint der Aufbau der Wortform mit der angenommenen Inhaltsstruktur einherzugehen:
Lexembedeutung | + | wortformspezifische grammatische Funktion | = | Wortforminhalt |
Stammform ohne Affixe | + | Affix(e) | = | Wortform |
Kind | + | -er; -n | = | Kindern |
Die Wortform lässt sich in zwei linear geschlossene Einheiten gliedern, von welchen die eine, die nach Abzug der Flexionsaffixe verbleibende Stammform, mit der Lexembedeutung korreliert werden kann. Die andere, das Flexionsaffix bzw. die Flexionsaffixe, symbolisiert zwar alleine noch keine spezifische grammatische Funktion, sie bildet aber das spezifische formale Merkmal der Wortform, das diese in ihrem Paradigma auszeichnet und es erlaubt, der Wortform als Ganzem eine bestimmte grammatische Funktion zuzuordnen. Die Wortformbildung ist hier als ein gewissermaßen kompositionelles Verfahren anzusehen, und man kann die Affigierung als das syntagmatische Mittel der Flexionsmorphologie bezeichnen.
Bei Vokalwechsel ist der Bezug zur angenommenen Inhaltsstruktur weniger transparent. Der Vokalwechsel vollzieht sich eigentlich nur zwischen Stammformen ohne Flexionsaffixe, z. B.: sing > sang, Mutter > Mütter und führt zu einer Einheit, die nicht in zwei linear geschlossene Teileinheiten gegliedert werden kann. Daher kann man den Vokalwechsel als das paradigmatische Mittel der Flexionsmorphologie bezeichnen.
Wortformen werden herkömmlicherweise in Morpheme analysiert, die man etwa folgendermaßen definieren kann:
Demnach sind (nicht weiter untergliederbare) Stammformen ohne Flexionsaffixe, z. B. seh- oder Fisch und die einzelnen Flexionsaffixe, z. B. -en oder -e Morpheme. Dabei werden die Stammformen ohne Flexionsaffixe, die Träger der Lexembedeutung sind, als Grundmorpheme (auch Basismorpheme) und die Flexionsaffixe als Flexionsmorpheme (auch Relationsmorpheme, Flexive) bezeichnet. Gibt es bei einem Lexem mehrere Stammformen ohne Flexionsaffixe, z. B. Mutter und Mütter, so werden sie als verschiedene Grundmorpheme betrachtet, die zu ein und demselben Lexem gehören. Alternativ können sie - mit Zulassung geringfügiger Bedeutungsschwankungen bei einem Morphem - als zu ein und demselben Morphem gehörende Varianten, sog. Allomorphe, gesehen werden.
Die Verwendung des Terminus "Morphem" für die Flexionsaffixe im Deutschen erscheint allerdings problematisch, denn eine eindeutige Zuordnung von Form und grammatischer Bedeutung/Funktion ist bei Flexionsaffixen kaum gegeben. Betrachtet man nur die Deklination der Nomina, so zeigt sich, dass die Endungen -e und -(e)n, die den Plural markieren können (Tische, Frauen, Zungen), auch andere Verwendungen haben: Die eine kann im veraltenden Gebrauch auch im Dativ Singular der Maskulina und Neutra (z. B. Manne, Kinde) auftreten, die andere markiert auch den Nicht-Nominativ der sog. schwachen Maskulina (des/dem/den Menschen) und den Dativ im Plural (Hunden, Kindern, Gänsen). Es empfiehlt sich daher, die Flexionsaffixe im Deutschen weniger als Morpheme mit fester Bedeutung/Funktion zu betrachten, sondern vielmehr als formale Unterscheidungsmerkmale der Wortformen.
Nachfolgend werden hauptsächlich die relevanten Mittel und Einheiten der Wortformbildung im Allgemeinen beschrieben. Die Wortformbildung aus der Perspektive der einzelnen Wortarten wird dagegen in der Informationeinheit Wortarten behandelt.