Was Argumente leisten
Argumente sind - nicht anders als Prädikate - primär nicht über ihre Ausdruckssubstanz, sondern über ihre Funktion zu bestimmen: Sie sind, was Prädikate zu Propositionen vervollständigt. Sie erfüllen diese Funktion, indem sie Verrechnungsorte für Prädikate bestimmen. Mit Argumenten eröffnen Sprecher Verrechnungsorte, indem sie adressatenorientiert
- Gegenstände entwerfen
- Gegenstände nennen
- Verweise auf Gegenstände anlegen
- Gegenstandsentwürfe fortführen oder Entwürfe antizipieren
Gegenstände entwerfen
Gegenstandsentwürfe werden realisiert in Form einer Spezifikation der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit etwas als der und der Gegenstand gelten kann. Da im Rahmen einer Proposition - wie Wittgenstein in seinem Tractatus logico-philosophicus § 4.031 ausführt - 'eine Sachlage probeweise zusammengestellt' wird und nicht etwa real gegeben sein muss, kann ein Gegenstandsentwurf die Bestimmung eines Verrechnungsorts für ein Prädikat leisten, denn in diesem Rahmen sind allein die Bedingungen zu spezifizieren, unter denen die Proposition als wahr oder zutreffend gelten kann.
"Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probweise zusammengestellt. Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar." |
Grundsätzlich sind zwei Typen von Gegenstandsentwürfen möglich: ein Entwurf, der einen oder mehrere Gegenstände als von bestimmter Art repräsentiert, und ein Entwurf von Gegenständen, die als singulär in ihrer Art angelegt sind. Entwürfe der ersten Art bezeichnen wir als 'indefinite Gegenstandsentwürfe'. Sie werden in Form indefiniter Charakterisierungen realisiert. Entwürfe der zweiten Art nennen wir 'definite Gegenstandsentwürfe'. Sie werden in Form definiter Charakterisierungen realisiert.
Argumente können Gegenstände entwerfen, doch das legt Gegenstandsentwürfe nicht darauf fest, Argumente zu sein. Gegenstandsentwürfe können im Rahmen von Propositionen auch andere Funktionen als die eines Arguments übernehmen. Insbesondere können sie zur Modifikation von Gegenstandsentwürfen eingesetzt werden. Da sie nicht per se argumentspezifisch sind, bleibt im Zusammenhang einer Betrachtung der Argumente an sich nur noch zu klären, was die verschiedenen Entwürfe argumenttauglich macht. Mögliche Gegenstandsentwürfe sind, so gesehen, nicht im Rahmen einer Behandlung der Argumente zu erfassen. Doch die Argumentfunktion ist sicher die Hauptfunktion von Gegenstandsentwürfen und an keinem anderen Ort in der Grammatik werden Ausdrücke unter dem Gesichtspunkt des Entwerfens von Gegenständen gesehen, weshalb es auch keine zusammenhängende Darstellung entsprechender Ausdrucksklassen an anderer Stelle gibt.
Exemplarisch mögliche Formen sind etwa minimale oder erweiterte Nominalphrasen oder Komplementsätze. Eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten, Gegenstände mit sprachlichen Mitteln zu entwerfen, findet sich in Was als Argument in Frage kommt.
Minimale oder erweiterte Nominalphrase
(Frankfurter Rundschau 13.3.1998, 5)
Von Anfang an, seit das ganze öffentliche Gebrumms um die Verpackereien losging, ging mir ein Märchen aus uralten Zeiten nicht mehr aus dem Sinn - doch kein Müllschiffer blickte zu mir, wie ich es so für mich hin sang und mein güldenes Gelöck kämmte, und ging also leider auch keiner unter, (sondern schifft sein' Müll in die armen Länder).
(die tageszeitung 8.9.1993, 15)
Der Sinn dieser Stunde ist das teilnehmende Denken an die deutschen Menschen, deren Glauben an das Recht auf Freiheit, an ihr Recht auf ihre Freiheit, mit dem Tode bezahlt wurden.
(Theodor Heuss am 21. 6. 1953 im Deutschen Bundestag)
Komplementsatz
baut sich keines mehr.
(Rilke: Das Buch der Bilder. In: Digitale Bibliothek 1: Deutsche Literatur, 80488)
Und da sagt er: Uii, das wird schwer werden.
(Harry Rowohlt in SWR1 Leute 98)
Und wir hatten nicht gewusst, dass man sich für die Kantine eintragen muss.
(ebd.)
Gegenstände nennen
Auch durch Nennung eines Gegenstands kann ein Verrechnungsort eingerichtet werden. Dabei wird zum Beispiel ein Name für einen Gegenstand eingeführt.
(Der Spiegel 21/1993, 216)
Biburg, ein Dorf in der Nähe von Fürstenfeldbruck mit nicht einmal tausend Einwohnern und noch wesentlich weniger Abbiegemöglichkeiten, gilt unter Einheimischen als völlig sicher vor Fahrfehlern.
(die tageszeitung 24.11.2001, 12)
Die Fans sind gelderwerbsmäßig also vermutlich angekommen und repräsentieren, hört man die Gespräche, sieht man in die Gesichter, Berliner Führungsschicht: "Darf ich Ihnen Herrn Turner vorstellen?
(die tageszeitung 6.7.1989, 21)
Auch wird auf eine zuvor durchgeführte Benennung des Gegenstands zurückgegriffen.
(Die Zeit 18.2.1999, 51)
Die Dienstlimousine von Konrad Adenauer war ebenfalls mit dabei.
(Vorarlberger Nachrichten 20.7.2000, o. S.)
Verweise auf Gegenstände anlegen
Ist man sich als Sprecher oder Schreiber nicht sicher, ob ein Name für die Partner bereits eingeführt wurde, sind auch Kombinationen wie diese möglich. Mehr hierzu in Was als Argument in Frage kommt.
(Die Zeit 12. 2. 2004, o. S.)
Ist der Gegenstand, der charakterisiert werden soll, im Zeigfeld der Gesprächspartner zugegen, kann der Verrechungsort auch mit gestischen und deiktischen Mitteln bestimmt werden. Dazu dienen Kommunikanten- und Demonstrativ-Pronomina sowie direktionale deiktische Adverbien.
Kommunikanten-Pronomina
(Böll 1963, 11)
Aber so richtig als - als Ossis habt ihreuch ja nie gefühlt eigentlich, so tatsächlich, so die Nachteile des Systems habt ihr ja nie so richtig mitbekommen.
(Matthias Holtmann im Gespräch mit den 'Prinzen' in SDR3 Leute 1995)
So, Frau Häberle, wo sprenget Sie jetzt na?
(Rosemarie Fendel in SDR3 Leute 1996)
Demonstrativ-Pronomina
(die tageszeitung 27.9.1997, 9)
Das hab ich wiederum nicht gesagt. Das ham Sie gesagt.
(Heiner Lauterbach in SDR3 Leute 1997)
Die, die da durch Tag und Wind reiten, gehören zu der bundesweit inzwischen rund 200 AnhängerInnen zählenden Initiative "Reiter/innen für den Frieden".
(die tageszeitung 3.8.1987, 5)
In hundert Jahren werden mehr Menschen wissen, wer diese da gewesen ist, als sich an mich erinnern werden.
(die tageszeitung 1.8.1994, 23)
Siehe weiter Was als Argument in Frage kommt.
Direktionale deiktische Adverbien
(die tageszeitung 19.4.1999, 11)
"Wohin gehen Sie mit Ihrem Außerirdischen?" hätte die Frage lauten müssen, und die Sternstunde wäre ein Highlight geworden wie der Papstbesuch bei Jacques Dutronc.
(die tageszeitung 21.6.1997, 27)
Gegenstandsentwürfe fortführen oder Entwürfe antizipieren
Wurde ein Gegenstand bereits gesprächsweise eingeführt oder steht seine Einführung noch aus, kann ein Verrechnungsort für ihn mit anaphorischen oder kataphorischen Personalpronomina wiederaufgenommen und fortgeführt beziehungsweise angekündigt werden.
(Michel Ries und Loki Schmidt in SDR3 Leute 1997)
"Kognak im Eisschrank", sagte mein Vater verächtlich, "wußtes Du es wirklich nicht oder tust Du nur so? Man weiß ja nie, wo man mit Dir dran ist!" "Ich wußte es nicht", sagte ich.
(Böll 1963, 172)
Bekannt wurde sie als Moderatorin von VIVA, jetzt vesucht sie sich als Schauspielerin, aber ganz aufgegeben hat sie ihren Jugendtraum, Journalistin zu werden, Heike Makatsch.
(Wolfgang Heim im Gespräch mit Heike Makatsch in SDR3 Leute 1997)
Mehr hierzu in Was als Argument in Frage kommt.