Verbflexion
Die Flexion der Verben bezeichnet man als Konjugation. Deutsche und polnische Verben werden hinsichtlich Verbnumerus, Person, Tempus, Modus und Genus verbi konjugiert.
Zusätzlich können die Flexionsformen polnischer Verben in einem begrenzten Ausmaß die Kategorie Genus nominale markieren. Es geht um die Präteritumformen, die übrigens bei der Bildung mehrerer Tempora (nicht nur Präteritum, sondern auch noch imperfektives Futur und Plusquamperfekt) gebraucht werden. Der Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum wird durch die entsprechenden Marker zum Ausdruck gebracht, z. B.: tańczyłem vs. tańczyłam (1. Person Singular), tańczyłeś vs. tańczyłaś (2. Person Singular). Im Plural werden die maskulinen und femininen Formen (1. Pers.: tańczyliśmy vs. tańczyłyśmy, 2. Pers.: tańczyliście vs. tańczyłyście, 3. Pers.: tańczyli vs. tańczyły) gewöhnlich als personal bzw. nichtpersonal bezeichnet. In der 3. Person Singular wird außer Maskulinum (tańczył) und Femininum (tańczyła) auch Neutrum markiert (tańczyło).
In einigen – eher wenigen – Grammatiken wird auch die Kategorie des Aspekts als eine Flexionskategorie des polnischen Verbs betrachtet. Vielmehr wird jedoch der Aspekt durch die Mittel der Wortbildung zum Ausdruck gebracht, z. B.: das perfektive kupić vs. das imperfektive kupować (Infigierung, auch als themabildendne Suffigierung bezeichnet), das imperfektive budować vs. das perfektive zbudować (Präfigierung). So wie die Substantive – sowohl im Deutschen wie auch im Polnischen – über ein bestimmtes Genus verfügen, ohne (im Gegenteil zu Adjektiven) nach Genus flektiert zu werden, verfügen auch die polnischen Verben über einen bestimmten Aspekt, ohne nach Aspekt flektiert zu werden. So wie dt. Lehrer / poln. nauczyciel und dt. Lehrerin / poln. nauczycielka jeweils zwei verschiedene Substantive sind (die maskuline Form Lehrer / nauczyciel wird durch das eine feminine Form markierende Wortbildungssuffix -in / -ka erweitert), sind auch das perfektive polnische kupić und das imperfektive polnische kupować zwei verschiedene Verben, die jeweils einen anderen Aspekt markieren. Der Aspekt ist somit – wie in anderen slawischen Sprachen – eine obligatorische Kategorie jedes polnischen Verbs. Die meisten polnischen Verben sind entweder perfektiv oder imperfektiv. Es gibt aber auch eine relativ begrenzte Gruppe von Verben, die je nach dem Kontext als perfektiv bzw. imperfektiv fungieren können (z. B.: importować, ślubować, urlopować).
Verben lassen sich in verschiedene Subklassen einteilen. Die Subklassifizierung orientiert sich an der Funktion, die Vertreter einer verbalen Subklasse beim Aufbau des Verbalkomplexes erfüllen. In ProGr@mm / ProGr@mm kontrastiv werden die Subklassen Vollverb, Hilfsverb, Modalverb, Kopulaverb und Nominalisierungs-/Funktionsverb unterschieden. Zwischen dieser funktionalen Subklassifizierung und den Flexionsklassen der Verben besteht nur teilweise ein Zusammenhang: Vollverben lassen sich zwei Hauptklassen zuordnen, Modalverben bilden eine eigene Flexionsklasse, Hilfs- bzw. Kopulaverben flektieren uneinheitlich und sind durch besonders viele Suppletivformen geprägt.
Es besteht im Polnischen kein systematischer Zusammenhang zwischen der Funktion eines Verbs innerhalb des Verbalkomplexes und seiner Zuordnung in eine der Flexionsklassen.
Aufbau von Verbformen
Mehrteilige Verbformen
Die meisten Tempus-Kategorien sowie die Genus verbi-Kategorie Passiv werden ausschließlich analytisch gebildet, d. h. sie bilden mehrteilige Verbformen und sind deshalb keine Flexionskategorien im engeren Sinne. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die verbalen Kategorisierungen und Flexionskategorien, die traditionell für das Deutsche postuliert werden:
Kategorisierung | Flexionskategorien | (Kategorien mit analytischer Bildung) |
Person | 1., 2., 3. | |
Verbnumerus | Singular, Plural | |
Tempus | Präsens, Präteritum | (Präsensperfekt), (Präteritumperfekt), (Futur), (Futurperfekt) |
Modus | Indikativ, Imperativ, Konjunktiv | |
(Genus verbi) | (Aktiv)*, (Passiv) | |
* Die unmarkierte Kategorie Aktiv wird weder durch analytische Bildung noch durch Flexionsmarker gekennzeichnet. |
Die für die Flexion der Verben im Deutschen relevanten Kategorisierungen sind nur Person, Verbnumerus, Tempus und Modus, nicht aber Genus verbi. Einige verbale Kategorien werden im Deutschen nicht durch die Mittel der Flexion im engeren Sinne, sondern analytisch (periphrastisch) gebildet. Sie bilden mehrteilige Verbformen aus finiten Hilfsverben (im Falle des Passivs auch: bekommen) und infiniten Verbformen. Analytisch gebildete Kategorien selbst sind keine Flexionskategorien, sie bedienen sich aber flektierter Hilfsverben bei ihrem Aufbau. Folgende Kategorien werden im Deutschen analytisch gebildet:
- die Genus verbi-Kategorie Passiv, z. B.: Das Auto wird
repariert.
Auch die unmarkierte Kategorie Aktiv ist keine Flexionskategorie im engeren Sinne, da sie keine eigenen Flexionsmarker besitzt. - die Tempus-Kategorien (Tempora) Präsensperfekt, Präteritumperfekt, Futur und Futurperfekt, z. B.: Sie hat/hatte das Auto repariert. / Sie wird das Auto reparieren/repariert haben.
- die konjunktivische würde-Form, die u. a. als Ersatz für den Konjunktiv II mit Hilfe von würde+ Infinitiv gebildet wird, z. B.: Sie würde das Auto reparieren.
Die analytisch gebildeten mehrteiligen Verbformen kommen auch im Polnischen vor. Die polnischen Passivkonstruktionen werden mit den finiten Hilfsverben być oder zostać (im Präsens, Präteritum oder perfektiven Futur) und den entsprechenden infiniten Verbformen (Partizip Passiv eines perfektiven bzw. imperfektiven Verbs) gebildet, z. B.: wódka będzie pita, wódka będzie wypita, wódka zostanie wypita.
Dieselbe Konstruktion finites Hilfsverb + infinite Verbform gilt auch für eine analytische Tempusform. Das imperfektive Futur kann nämlich mit finitem Hilfsverb być (in Form des synthetischen perfektiven Futurs) und einem Infinitiv gebildet werden, z. B.Za godzinę będziemy jeść kolację. Dasselbe imperfektive Futur kann aber auch an der Stelle des Infinitvs eine finite Präteritumform des Verbs haben, z. B. Za godzinę będziemy jedli kolację. Nur noch das im heutigen Polnisch relativ selten gebrauchte Plusquamperfekt ist eine weitere mehrteilige Tempusform, die aber aus zwei finiten Präteritumformen besteht: einer nach Person, Numerus und Genus nominale flektierten Form des Hauptverbs und einer in der Regel in der 3. Person (jedoch flektiert nach Numerus und Genus nominale) stehenden Form des Hilfsverbs być, z. B.:wyjechał był, wyjechała była, wyjechało było, wyjechali byli, wyjechały były.
Der polnische Konjunktivmarker ist das by-Suffix, das gewöhnlich an Präteritumstamm des Verbs angefügt wird (z. B. Napiłbym się piwa.). Allerdings kann das by-Suffix getrennt von der Verbform im Satz (z. B. Chętnie bym się napił piwa.) oder mit einem Subjunktor verbunden (z. B. Namawiała mnie, żebym się napił piwa.) stehen, was einer mehrteiligen Verbform ähnelt.
Finitheit
Verbformen, die nach Person, Verbnumerus, Tempus, Modus und Genus verbi differenziert sind, werden als finit bezeichnet. Das finite Verb ist das strukturale Zentrum eines Satzes, es stellt den unverzichtbaren Bestandteil des Verbalkomplexes dar, der eine der Primären Komponenten des Satzes ist. Finite Verbformen können einfach (synthetisch) aufgebaut oder Teil einer mehrteiligen Verbform sein.
Als semifinit werden Imperativformen bezeichnet, weil sie nur nach einer der verbalen Kategorisierungen flektieren, nämlich nach dem Verbnumerus (z. B. iss vs. esst). Sie sind nicht nach Person und Tempus differenziert.
Auch die polnischen Imperativformen können aus denselben Gründen als semifinit bezeichnet werden.
Der Infinitiv (z. B. stehlen) und das Partizip II (Partizip Perfekt, z. B. gestohlen) sind keine finiten Verbformen, da sie nicht nach den genannten Kategorisierungen flektieren. Infinite Verbformen spielen eine wesentliche Rolle bei der Bildung mehrteiliger Verbformen wie des Passivs und einiger Tempora und werden dann vom finiten Verb regiert. Es können auch mehrteilige infinite Verbformen nach Tempus und/oder Genus verbi gebildet werden, ohne dass es sich dabei um Flexion im engeren Sinne handeln würde, z. B. gestohlen werden (Infinitiv Passiv von stehlen). Infinite Verbformen bleiben unflektiert. Flektiert (genauer: dekliniert) werden lediglich Formen, die in Flexionsklassen anderer Wortarten übergangen sind, also nominalisierte Infinitive (z. B. die Kunst des Stehlens) und Partizipien als attributive Adjektive (z. B. das gestohlene Auto).
Das Partizip I (Partizip Präsens) wird in ProGr@mm / ProGr@mm kontrastiv als ein durch Wortbildung aus einem Verb entstandenes Adjektiv angesehen und ist somit der Flexion der Adjektive zuzurechnen. Es wird durch Anhängen von -d an den Infinitiv des Verbs gebildet und dann wie ein Adjektiv dekliniert, z. B. stehlende Kinder.
Im Polnischen wird das Partizip I nur in der attributiven Verwendung als Adjektiv dekliniert (z. B. Kradnących polityków rzadko spotyka zasłużona kara.). Als Adjunkt (z. B. Dorobił się kradnąc.) oder als Apposition (z. B. kradnąc z wyrachowaniem) bleibt es unflektiert und verhält sich damit adverbial.
Dem Infinitiv kann ein von ihm getrennt geschriebenes, sich aber sonst wie ein Affix verhaltendes zu vorausgehen, das nie vom Infinitiv getrennt wird. Bei Verben mit abtrennbarem Präverb wird zu zwischen Präverb und Verbstamm eingefügt (z. B. abzufahren). Bei Infinitiven, die Teil des Verbalkomplexes sind, hängt es (valenzbedingt) vom regierenden Verb ab, ob dem Infinitiv ein zu vorausgeht oder nicht (z. B. Er kann nicht kommen, er hat viel zu tun).
Den reinen Infinitiv (ohne zu) können regieren:
- Modalverben: er darf/kann/mag/muss/soll/will arbeiten
- Hilfsverb werden I (zur Bildung des Futurs): er wird arbeiten
- AcI-Verben, z. B. heißen, lassen und die Wahrnehmungsverben hören, sehen etc.: man ließ ihn arbeiten; man sah ihn arbeiten
- Bewegungsverben, z. B. gehen, fahren, schicken etc. und statisches bleiben: er geht arbeiten; er bleibt stehen
Einige andere Verben können neben dem reinen Infinitiv auch den mit zu regieren, z. B. (nicht) brauchen in modaler Verwendung (er braucht nicht (zu) arbeiten) sowie helfen, lehren, lernen, üben etc. (er lernt (zu) schreiben). Vgl. Grammatik in Fragen und Antworten: Ich helfe dir das Päckchen (zu) tragen. Du brauchst nicht (zu) kommen. - Verben mit einem Infinitiv mit oder ohne zu
Nur den zu-Infinitiv regieren:
- Die Verben drohen, pflegen, scheinen, die modalverbähnlich verwendet werden (sog. Halbmodale): er schien zu arbeiten
- sein und haben in modaler Verwendung: er hat zu arbeiten; die Arbeit ist zu erledigen
Der reine Infinitiv kommt im Polnischen ebenfalls wie im Deutschen nach den Modalverben (z. B. Muszę pracować.), nach den Bewegungsverben (z. B. Idę pływać.), nach Verben wie pomagać dt. helfen (z. B. Pomagam mu zmywać.), uczyć (się) dt. lehren/lernen (z. B. Uczę ją/się szyć.), zostać dt. bleiben (z. B. Została sprzątać.), potrzebować dt. brauchen (z. B. Dziecko potrzebuje latem dużo pić.), kazać /pozwolić dt. lassen (z. B. Kazał /Pozwolił mi tu zostać.).
Zur Bildung des imperfektiven Futurs wird nach dem Hilfsverb być neben dem Infinitiv auch eine finite Präteritumform verwendet (z. B. Będziemy grać/grali w piłkę.).
Im Polnischen gibt es dagegen keine AcI-Konstruktion mit Wahrnehmungsverben. An Stelle eines deutschen Infinitivs steht im Polnischen ein attributives Partizip I (z. B. Widziałem przelatujące ptaki.) oder ein mit dem jak-Subjunktor eingeleiteter Nebensatz (z. B. Widziałem, jak przelatywały ptaki.).
In der Regel gibt es im Polnischen auch keine Infinitivkonstruktion mit einem Äquivalent des deutschen zu. Nach den Verben być dt. sein (in der 3. Person Singular) und mieć dt. haben werden allerdings die potentiellen Infinitive nominalisiert, z. B.: Tu jest jeszcze dużo do zrobienia; Mamy tu jeszcze dużo do zrobienia. Nach dem Verb mieć etwa in der Bedeutung von müssen steht ein reiner Infinitiv, z. B.: Masz to koniecznie jeszcze dzisiaj zrobić.
Polnisch verfügt noch über die im Deutschen nicht vorkommenden Formen, die als Inflektiva bezeichnet werden. Sie fungieren im Satz als Prädikative und können einen reinen Infinitiv regieren, z. B.: Trzeba iść; Warto rozmawiać; Wolno palić; Wypada się uśmiechnąć.
Für Beispiele zu Infinitiven mit/ohne zu in Komplementfunktion siehe auch Überblick über die Komplementklassen und ihre Realisierungsformen. Für weiterführende Informationen zu Infinitivkonstruktionen vgl. auch Grammatik in Fragen und Antworten: Alles verstehen heißt alles verzeihen oder Alles zu verstehen heißt alles zu verzeihen? — Infinitivkonstruktionen mit und ohne zu.
Stammformen der Verben
Die Kennzeichnung der Kategorien von Verbnumerus, Person, Tempus und Modus wird bei Verben durch Affigierung, Vokalwechsel und Suppletion geleistet. Mit Hilfe der Flexionsmarker werden verschiedene verbale Stammformen gebildet, die weitere kategoriespezifische Flexionsmarker in Form von Suffixen erhalten.
Die Stammformen eines Verbs können im Deutschen flexionsklassenabhängig bis zu fünf verschiedene formale Ausprägungen besitzen, die ein verbspezifisches Stammparadigma bilden, z. B.:
sprech-, sprich-, sproch-, sprach-, spräch-
Die einzelnen Stammformen unterscheiden sich hauptsächlich durch ihren Stammvokal, weshalb der Vokalwechsel auch als das paradigmatische Mittel der Flexionsmorphologie angesehen wird. Dabei kann ein Konsonantenwechsel begleitend erscheinen, der phonologisch gesteuert ist (Allophone wie bei sprech-[ç]/sproch-[χ] usw.) oder ein Charakteristikum einiger starker und gemischter Verben darstellt (z. B. bring-/brach-).
Viel häufiger als Vokalwechsel kommen innerhalb eines Stammes polnischer Verben Konsonantenalternationen vor (sie können sogar zum Kriterium einer Einteilung in die Konjugationsklassen werden: die historisch bedingten phonologischen Prozesse im konsonantischen Stammauslaut verursachen, dass dieser Auslaut entweder als palatal / palatalisiert / funktional palatal oder nicht palatal betrachtet wird).
Da die polnischen Koartikulationsprozesse in der Regel – umgekehrt als im Deutschen – regressiv agieren, kann der konsonantische Stammauslaut eines Verbs z. B. unter dem Einfluss eines hohen prädorsalen /i/ (mittelhohe prädorsale Vokale, z. B. /e/, sind im Polnischen – im Gegensatz zum Deutschen – nicht palatalisierungsfähig) im Konjugationssuffix palatalisiert werden, z. B. noszę → nosisz, ein nicht palatales [ʃ] wird zu einem palatalen [ɕ].
Ein anderes (im heutigen Polnisch aus historischen Gründen nicht konsequent vorkommendes) Phänomen – die Tendenz einen vokalischen Wohlklang zwischen dem Stamm und dem Suffix zu tilgen (in der Umgangssprache nicht immer respektiert) – kann doch einen Vokalwechsel im Verbstamm generieren, z. B. kląłem → klęłam.
Im Beispiel leźli [lɛʑʎi] → lazłeś [lazwɛɕ] sind die beiden oben angedeuteten Phänomene zu beobachten.
Den einzelnen Stammformen kommt (in Verbindung mit den Flexionssuffixen) die Aufgabe zu, die Flexionskategorien finiter Verformen zu markieren bzw. infinite Verbformen (Infinitiv/Partizip II) zu bilden. Dementsprechend gibt es Präsens-, Präterital-, Partizipial-, Infinitiv- und Imperativstammformen. Präsens- und Präteritalstammformen können flexionsklassenabhängig jeweils primäre und sekundäre Varianten besitzen, die sich durch einen Vokalwechsel unterscheiden.
Die Funktion des polnischen Verbstammes finite Formen einzelner Flexionskategorien zu markieren ist – im Gegenteil zum Deutschen – deutlich minimalisiert. Unter den vereinzelten Beispielen ist z. B. der Vokalwechsel zwischen dem Imperativstamm rób mit /u/ und sonstigen Stämmen rob- mit /o/ beim Verb robić zu nennen. Einige Verben (być, iść) weisen in dieser Hinsicht die Suppletivformen auf.
Flexionsaffixe der Verben
Die Beschreibung der Flexionsaffixe in den Einheiten zur Verbflexion befasst sich mit folgenden Punkten:
- die Funktion der Flexionsaffixe als Personal-, Numerus-, Tempus- und Modusmarker
- die flexionsklassenabhängige Distribution der Flexionsaffixe
- die Rolle des Schwa-Lauts der Suffixe und der daraus resultierenden Varianten
Die folgenden Beispiele (1) - (3) zeigen die im Deutschen möglichen Distributionen von Flexionssuffixen bzw. -suffixketten finiter Verben im traditionellen sechsteiligen Flexionsparadigma. Die auf den Verbstamm folgenden Suffixe sind rot markiert und (noch) nicht weiter segmentiert. Das nicht nach Person ausdifferenzierte Imperativparadigma bleibt hier unberücksichtigt. In (1) werden die Flexionsparadigmen für die unmarkierten Kategorien Präsens Indikativ wiedergegeben, in (2) für die markierten Kategorien Präteritum und Konjunktiv, in (3) für die markierten Kategorien Präteritum Indikativ/Konjunktiv(II). Das Verb reden in (1) und (3) dient als Beispiel für einen Verbstamm, der auf einen Dental endet (red-). :
(1) lachen vs.
reden Präs. Ind. |
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(2) singen vs.
lachen Prät. Ind. vs. Präs. Konj.(I) |
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(3) lachen vs.
reden Prät. Ind./ Konj.(II) |
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Die Affixketten lassen sich weiter in Tempus-, Modus- und Personal-/Numerussuffixe segmentieren. In ProGr@mm werden das Schwa -e- im Konjunktiv (z. B. er lache) (und Imperativ Rede!) als eigenständige Modussuffixe, im Präteritum (lachte) als Teil des Tempussuffixes -te- (bzw. -ete-) betrachtet und nicht als morphologischer Bestandteil der Personal-/Numerussuffixe (bzw. des Verbstamms) angesehen. Bei Verben wie reden liegen hingegen schwahaltige Varianten der Personal-/Numerussuffixe vor. Es wird also wie am folgenden Beispiel für Verbformen der 3. Person Singular segmentiert: |
|
Daneben sind – mit Konsequenzen für die Distribution der Personal-/Numerussuffixe – aber auch andere Segmentierungen denkbar, vgl. lach-te– vs. lach-t-e. Die Partizipialstammform ist bei einer solchen Segmentierung mit der Präteritalstammform identisch (z. B. ge-lacht, lacht-e, siehe Bildung des Partizip II). Das Flexionsparadigma eines Verbs wie reden eignet sich gut, um die unterschiedlichen Segmentierungsmöglichkeiten von Flexionssuffixen zu illustrieren. Die 2. Person Singular Präteritum Indikativ redetest (auf die Analyse als Konjunktivform wird hier verzichtet) enthält zwei Schwas (hellblau/rot markiert), die je nach Segmentierung dem Verbstamm oder Tempussuffix bzw. dem Tempussuffix oder dem Personal-Numerussuffix zugeordnet werden können. Es sind also vier theoretische Segmentierungen möglich:
Verb- stamm | Tempussuffix | Personal-/ Numerussuffix | |
(1) | red | -ete | -st |
(2) | red | -et | -est |
(3) | rede | -te | -st |
(4) | rede | -t | -est |
In ProGr@mm wird, ausgehend von nur einem Verbstamm (red-ete-st), zwei Tempussuffix-Varianten (lach-te-st/red-ete-st) und nur einem indikativischen Personal-/Numerussuffix (red-ete-st), segmentiert (1). Die anderen Segmentierungsmöglichkeiten (2) - (4) gehen von zwei Stammvarianten und/oder zwei Personal-/Numerussuffix-Varianten aus, jeweils eine mit und eine ohne Schwa.
Zur Bildung der infiniten Verbformen stehen die Zirkumfixe ge-...-t, ge-...-et, ge-...-en bzw- das Suffix -t für das Partizip II und die Suffixe -en, -n für den Infinitiv zu Verfügung.
Die Distribution von Suffix-Varianten mit/ohne Schwa ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die auch in Wechselwirkung stehen können:
- Häufiger Wegfall unbetonter Vokale in der gesprochenen Sprache, insbesondere Schwa [ə]
- Abhängigkeit von phonologischen (genauer: phonotaktischen) Regularitäten, die beim Bau einer Silbe oder eines Morphems im Deutschen herrschen.
- Markierung von Flexionskategorien, d.h. flexionsmorphologisch signifikante Distribution von Schwa
Weiterführende Informationen zu den verbalen Flexionsparadigmen, den Mitteln des Formenbaus und den Flexionsmarken sind in den Einheiten Flexion nach Person und Verbnumerus und Flexion nach Tempus und Modus zu finden. Person und Verbnumerus werden gemeinsam betrachtet, da beide Kategorisierungen im Deutschen am finiten Verb durch Suffixe fusionierend kodiert werden. Auch Tempus und Modus greifen auf gemeinsame Mittel des Formenbaus zurück.
Flexionsklassen
Wie auch in anderen Bereichen der Flexion (vgl. Flexionsmuster der Adjektive) werden im Deutschen traditionell die von Jacob Grimm geprägten Bezeichnungen stark und schwach verwendet, um bestimmte Flexionseigenschaften zu charakterisieren. Man unterscheidet zwei Hauptklassen, die der schwachen und die der starken Verben. Grundlage dieser Einteilung sind die Formen des Präteritums und des Partizip II (Partizip Perfekt): Verben, die Präteritalformen durch Affigierung bilden (mit Hilfe des dentalen Präteritalmarkers -te ), zählen zu den schwachen Verben, z. B.:
lache — lachte
Starke Verben bilden ihre Präteritalformen mit Hilfe des Ablauts (Vokalwechsel), z. B.:
sehe — sah
Für die Einteilung polnischer Verben in die einzelnen Flexionsklassen (Konjugationsklassen) können folgende Kriterien als Grundlage dienen: (a) die Präsenz eines themabildenden Suffixes (Infigierung), (b) morphophonologische Stammalternationen und (c) das Paradigma der Flexionssuffixe im Präsens bzw. im perfektiven Futur. Allerdings gibt es auch Verben, die als unregelmäßig betrachtet werden und Suppletivformen aufweisen.
Eine kleine Gruppe von Verben bildet die Präteritalformen durch Affigierung, weist aber zusätzlich auch einen Vokal- und teilweise auch einen Konsonantenwechsel in den Präteritalstammformen auf. Sie kann zu den unregelmäßigen schwachen Verben gezählt werden oder alternativ als gemischte Verben bezeichnet werden, da sie formale Mittel beider Flexionsklassen vereint, z. B.:
kenne — kannte; denke — dachte
Starke und schwache Verben bilden auch die infinite Verbform Partizip II unterschiedlich. Schwache Verben affigieren ge-...-(e)t, starke Verben ge-...-en an die Partizipialstammform, z. B. er hat gelacht/gesungen. Verben mit festem Präfix affigieren nur das Suffix -(e)t bzw. -en, z. B. ich habe erzählt/verloren. Bei Verben mit abtrennbarem Präverb wird ge- zwischen Präverb und Verbstamm eingefügt, z. B. er wurde ausgelacht.
Die Modalverben und das Vollverb wissen bilden gemeinsam eine eigene Flexionsklasse. Sie zeichnen sich durch übereinstimmende Formen der 1. und 3. Person (Nicht-Adressat) im Präsens Singular aus.
Die Hilfsverben haben, sein und werden weisen teilweise uneinheitliche Flexionsmuster mit Suppletivformen auf.
Ausführlichere Informationen zu den verbalen Flexionsklassen befinden sich in der Einheit Flexionsklassen der Verben.