Wortstellung
In der thematischen Einheit Wortstellung geht es um die Abfolge der Stellungseinheiten im Satz, nicht der einzelnen Wörter. Die Wortstellung innerhalb von Stellungseinheiten ist nicht Gegenstand dieser thematischen Einheit, sondern wird an anderer Stelle behandelt (s. Phrasen, Verbalkomplex). Die syntaktische Detailbeschreibung bezieht sich v.a. auf die Stellungseigenschaften der Primären Komponenten des Satzes, die aber nicht immer mit Stellungseinheiten gleichzusetzen sind. Wortstellung ist ein allgemein bekannter, vereinfachender Begriff, der hier aus praktischen Gründen beibehalten wird. Andere Grammatiken überschreiben das Kapitel Wortstellung mit "Topologie", "Satzgliedstellung" oder "Wort(ab)folgeregeln".
Auf die einführende Darstellung der Wortstellung in dieser Einheit folgt eine grundsätzliche Beschreibung der Satzklammer und Stellungsfelder. Im Anschluss daran wird die Wortstellung in den einzelnen Stellungsfeldern behandelt: im Mittelfeld, im Vorfeld, im Nachfeld und in den Außenfeldern.
In den Einheiten zur Wortstellung werden auch kommunikative Aspekte berücksichtigt, die sich mit der Frage nach der Informationsstruktur, d. h. nach der Art von Information, die mit den einzelnen Satzteilen übermittelt wird, befassen (s. Wortstellung und Informationsstruktur). Die Wortstellung interagiert außerdem in weiten Teilen mit der Intonation. Zum Verhältnis der intonatorischen (prosodischen) Mittel und Wortstellung befinden sich ausführlichere Informationen in der thematischen Einheit Wortstellung und Prosodie.
Funktionen der Wortstellung
Die Wortstellung weist grammatische, semantische und auch pragmatische Aspekte auf.
In vielen Sprachen ist sie in hohem Maße grammatisch geregelt. Festgelegt werden kann z.B. die Stelle des finiten Verbs oder die Reihenfolge von Subjekt und Verb bzw. Objekt und Verb (so steht z.B. das finite Verb im Türkischen obligatorisch am Satzende, im Englischen soll das Subjekt zumindest im Aussagesatz stets vor dem Finitum stehen). Zum grammatischen Aspekt gehört ferner auch, dass durch Wortstellungsmittel Satztypen unterschieden werden können, die verschiedene Satzmodi realisieren. Im Deutschen unterscheiden sich z.B. Aussagesätze und Entscheidungsfragesätze in der Verbzweit- und Verberststruktur.
Die Wortstellung kann ferner besonders bei fehlender morphologischer Markierung der Objekte bedeutungsunterscheidend sein (vgl. Flexibilität der Wortstellung) bzw. ermöglicht kommunikative Gewichtungen innerhalb des Satzes und kann den Satz in den umgebenden Kotext einbetten.
Aus sprachtypologischer Sicht ist die Stellung des finiten Verbs im Rahmen der Abfolge der primären Komponenten des Satzes von besonderem Interesse. So lassen sich Sprachen, denen z. B. eine Verbletztstruktur als Grundtypus zugrundeliegt, von solchen mit Verbzweitstruktur usw. unterscheiden (vgl. Greenberg 1963). Die eindeutige Zuordnung des Deutschen zu einem dieser Grundtypen ist umstritten, da hierfür sowohl die Verbzweitstruktur (wie in typischen Hauptsätzen) als auch Verbletztstruktur (wie in typischen Nebensätzen) in Frage kommen. Auch das Ungarische lässt sich nicht eindeutig in diesen Sprachtypen einordnen, weil die ungarische Wortstellung, wie im Folgenden gezeigt wird, grammatisch weitgehend frei und den pragmatischen Funktionen der primären Komponenten des Satzes unterworfen ist.
Ein weiterer sprachtypologischer Parameter wird durch den Zusammenhang zwischen flexibler Wortstellung und ausgebauter morphosyntaktischer Markierung ausgedrückt: Eine ausgeprägte Möglichkeit, grammatische Kategorien an Wörtern zu kennzeichnen (z. B. mithilfe der Flexion oder der Agglutinationssuffixe) erlaubt i. d. R. eine flexiblere Wortstellung. Die Flexibilität bzw. die Gebundenheit der Wortstellung sind jedoch immer relativ zu verstehen. Wird die Wortstellung einer Sprache als gebunden bezeichnet, ist dies durch die grammatische Determiniertheit bestimmt, während die freie Wortstellung pragmatisch geregelt ist. Die meisten Sprachen weisen die Kombination von freier und gebundener Wortstellung auf. Unterschiede gibt es im Maß des Anteils an Freiheit bzw. Gebundenheit. So wird die Wortstellung des Deutschen als relativ gebunden, die des Ungarischen als relativ frei bezeichnet. Deshalb gibt es im Deutschen viel mehr Wortstellungsregeln, die grammatisch bestimmt sind als im Ungarischen.
Gebundenheit vs. Flexibilität der Wortstellung, Satztypabhängigkeit der Wortstellung im Deutschen
Wie die folgenden beiden Beispiele zeigen, spielt die Anordnung der W�rter im Satz bei der Interpretation des Satzes eine zentrale Rolle:
Kain erschlug Abel. ≠ Abel erschlug Kain.
In den folgenden Beispielen variiert die Wortstellung, die primären Komponenten des Satzes bleiben jedoch gleich:
Der Ältere erschlug den Jüngeren. = Den Jüngeren erschlug der Ältere.
Das Beispiel zeigt, dass die eindeutige Kennzeichnung von Wortformen mit den Mitteln der Flexion eine flexiblere Wortstellung ermöglichen kann. In flexionsärmeren Sprachen ist die Wortstellung deshalb in der Regel weniger variabel, vgl.:
engl. The elder killed the younger. ≠ The younger killed the elder.
Eine wesentlich reichere Flexion besitzt die lateinische Sprache. Der Satz
lat. agricola gallinas numerat
kann mit der Bauer zählt die Hühner übersetzt werden. Überträgt man jedoch Wort für Wort, erhält man der Bauer die Hühner zählt. Die Wortstellung im Lateinischen ist wegen seines großen Formenreichtums sehr frei bzw. variabel. Im Deutschen ist – anders als im Lateinischen – die Wortstellung für die Bildung von Satztypen mitverantwortlich. Satztypen lassen sich u. a. nach der Stellung des finiten Verbs (z. B. Verbletztsatz), nach ihrem Satzmodus (z. B. Fragesatz) oder nach ihrer Selbstständigkeit bzw. Unselbstständigkeit (z. B. Hauptsatz vs. Nebensatz) beschreiben. Die lateinischen Sätze (1) bis (6) sind allesamt Hauptsätze im Aussage-Modus, die nur hinsichtlich der Stellung ihrer primären Komponenten variieren. Ihre wörtliche Übertragung zeigt, dass sie im Deutschen unterschiedlichen Satztypen zuzuordnen sind:
lateinisch | deutsch | |
(1) agricola gallinas numerat | (1') der Bauer die Hühner zählt | |
(2) gallinas agricola numerat | (2') die Hühner der Bauer zählt | |
(3) agricola numerat gallinas | (3') der Bauer zählt die Hühner | |
(4) gallinas numerat agricola | (4') die Hühner zählt der Bauer | |
(5) numerat agricola gallinas | (5') zählt der Bauer die Hühner | |
(6) numerat gallinas agricola | (6') zählt die Hühner der Bauer |
Wird ein bestimmter Satztyp mit den für ihn typischen intonatorischen Mitteln realisiert, stellen die Verbzweitsätze (3') und (4') aufgrund ihrer Wortstellung typische Aussagesätze (im Aussage-Modus) dar:
(3'') Der Bauer zählt die Hühner.
(4'') Die Hühner zählt der Bauer.
Die Verberstsätze (5') und (6') können als Fragesätze (im Entscheidungsfrage-Modus) verstanden werden:
(5'') Zählt der Bauer die
Hühner?
(6'') Zählt die Hühner der
Bauer?
Satz (4') kann z. B. in Verbindung mit einem bestimmten Kotext mit einem spezifischen Gewichtungsakzent auftreten, etwa nach einem Satz wie Die Bäuerin zählt die Gänse., dem dann der nachfolgende Satz gegenübergestellt wird: Die Hühner zählt der Bauer. Unter vergleichbaren Bedingungen kann man auch (6') als Fragesatz verstehen.
Als Hauptsätze sind (1') und (2') aber weder als Aussage noch als Frage möglich:
(1'') *Der Bauer die Hühner zählt. /
*Der Bauer die Hühner zählt?
(2'') *Die
Hühner der Bauer zählt. / *Die Hühner der Bauer
zählt?
Sie verstoßen offensichtlich gegen die Bauprinzipien deutscher Hauptsätze. Möglich sind diese Abfolgen lediglich als Nebensätze, sie bedürfen hierzu aber eines entsprechenden Einleitungselements (Subjunktoren, Relativ-Elemente):
(1''') Ich weiß nicht, ob der
Bauer die Hühner zählt.
(2''') Die
Bäuerin hat heute frei, da die Hühner der Bauer
zählt.
Die Stellung des Verbalkomplexes ist also nicht generell festgelegt (z. B. auf die Endstellung wie im Japanischen), sie ist aber für den jeweiligen Satztyp bindend. Variabler ist die Wortstellung bei den nicht dem Verbalkomplex zugehörigen Teilen des Satzes.
Grammatische Bedingungen der Wortstellung
Wenn man die Aufgabe hätte, aus den folgenden vier Komponenten
am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache | seit einiger Zeit | ProGr@mm | wird entwickelt |
einen sinnvollen Satz zu bilden, muss man zunächst die Stellung des Verbalkomplexes festlegen. Das finite Verb nimmt je nach Satztyp die erste oder die zweite Stelle ein, der infinte Teil des Verbalkomplexes steht meistens am Ende der Struktur und bildet mit dem finiten eine Satzklammer (vgl. dazu die Einheit Satzklammer und Stellungsfelder). Damit ist die deutsche Wortstellung "zweipolig", die Phrasen stehen in den durch den Verbalkomplex bestimmten Klammerfeldern. (Die Wortstellung innerhalb der Phrasen ist ziemlich stark grammatisch determiniert.)
Aussagesatz:
finites Verb | infiniter Verbteil | ||
Seit einiger Zeit | wird | am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm | entwickelt. |
Entscheidungsfragesatz:
finites Verb | infiniter Verbteil | |
Wird | seit einiger Zeit am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm | entwickelt? |
Variationsmöglichkeiten (im Aussagesatz):
Durch die Variation der Wortstellung im Satz kann eine kommunikative Gewichtung der einzelnen Informationen vorgenommen werden. Auf diese Weise werden bestimmte Ausdruckselemente gezielt fokussiert. Der stellungsbezogene Gewichtungseffekt wird durch die zweigliedrige kommunikative Grundstruktur deutscher Sätze bewirkt, die die weniger wichtigen – meist bekannten – Informationen dem Hintergrund und die wichtigeren – meist neuen Informationen – dem Vordergrund zuordnet.
Die ungarische Wortstellung ist im Gegensatz zum Deutschen nur einpolig. Auch im Ungarischen werden die Phrasen um den Verbalkomplex herum gruppiert, der Verbalkomplex ist jedoch topologisch nicht gespalten und frei beweglich. So kann er sowohl die erste als auch eine mittlere als auch sogar die letzte Position im Satz einnehmen. Der Verbalkomplex besteht vor allem aus dem finiten Verb (vf), das häufig über eine Verbpartikel (VP) verfügt und ferner möglicherweise auch aus Hilfs- und/oder Modalverben. In den Verbalkomplex lassen sich auch bestimmte Partikeln eingliedern (vgl. die Beispiele unter 12). Vor dem Verbalkomplex steht die fokussierte Phrase:
erste Satzhälfte ← ← ← | Verbalpartikel
– Fokus – | – verbum finitum –(VP) | zweite Satzhälfte → → → |
(10a) János tegnap a könyvtárban elolvasta [VP – vf] a
könyvet.
János hat gestern das Buch in der Bibliothek
gelesen.
(10b) JÁNOS olvasta
el [vf – VP] tegnap a könyvtárban a
könyvet.
JÁNOS …
(10c) János TEGNAP olvasta
el [vf – VP] a könyvtárban a
könyvet.
GESTERN ….
(10d) A KÖNYVTÁRBAN olvasta
el [vf – VP] János tegnap a
könyvet.
IN DER BIBLIOTHEK ….
(10e) János tegnap a KÖNYVET olvasta el [vf – VP] a könyvtárban (és nem az
újságot).
DAS BUCH ….
Die grammatische Determiniertheit der topologischen Ordnung im Deutschen ist vor Allem im Verbalkomplex (VK) zu erkennen. Hier besteht gar keine Änderungsmöglichkeit (vgl. Verbalkomplex); an den Positionen der verbalen Elemente kann weder aus inhaltlichen, noch aus anderen Gründen etwas geändert werden. Abweichungen in diesem Bereich finden sich nur in regionalen Formen.
(11a) Der Arzt weist den Kranken ins Krankenhaus ein.
(11b) Der Arzt hat den Kranken ins Krankenhaus eingewiesen.
(11c) Der Arzt musste den Kranken ins Krankenhaus einweisen.
(11d) Der Arzt hat den Kranken ins Krankenhaus einweisen müssen.
(11e) Der Kranke musste ins Krankenhaus eingewiesen werden.
(11f) Der Kranke muss ins Krankenhaus eingewiesen worden sein.
Anders ist es mit dem ungarischen Verbalkomplex: die Reihenfolge seiner Elemente ändert sich je nach Inhalt des Satzes:
(12a) Az orvos beutalja [VP – vf] a beteget a
kórházba.
Der Arzt weist den Kranken ins
Krankenhaus ein.
(12b) Az orvosnak be kell utalnia [VP – muss –
Infinitiv] a beteget a kórházba.
Der Arzt muss den Kranken ins Krankenhaus einweisen.
(12c) Az orvos be is
utalja [VP – auch – Infinitiv] a beteget a
kórházba.
Der Arzt wird
wohl den Kranken ins Krankenhaus einweisen.
(12d) Az orvosnak be kellett volna utalnia [VP – musste
– Infinitiv] a beteget a kórházba.
Der Arzt hätte den Kranken ins Krankenhaus einweisen
müssen.
Gewisse Partikeln bzw. Adverbialia rufen andere topologische Strukturen hervor (vgl. Kenesei 1992, 637ff).
Literatur: Bassola 2001a, Bassola 2001b, Kenesei 1992, und Komlósy 1992
Pragmatische Aspekte der Wortstellung
Die Anordnung der Phrasen in den Stellungsfeldern hängt im Deutschen in erster Linie vom pragmatischen Wert dieser Phrasen ab. Besonders im Mittelfeld können Phrasen mehr oder weniger frei umgestellt werden, um kommunikative Gewichtungen zu differenzieren (vgl. die Einheit Wortstellung und Informationsstruktur). Im Vorfeld kann allerdings in der Regel nur eine Phrase stehen, so ergibt der Satz (13) keine grammatisch korrekte Wortstellung:
Im Vorfeld steht meistens ein Hintergrundelement (zu möglichen Abweichungen vgl. die Einheit Wortstellung und Informationsstruktur), nämlich das Topik, das zum Ausgangspunkt der Informationsvermittlung dient. Es ist das "Worüber", das mehrheitlich auch eine aus dem Kontext bekannte Information darstellt und dadurch die Verbindung mit dem Vortext sichert. Aus besonderen Gründen der Topikalisierung kann sogar der infinite Teil des Verbalkomplexes im Vorfeld stehen:
Satz (14) ist zwar auch auf Anhieb verständlich, signalisiert aber, dass es einen Vortext gibt (wie bei (6') und (3')), in dem schon über ProGr@mm gesprochen wurde. Eventuell wurde allgemein etwas über ProGr@mm gesagt und (14) ergänzt, z.B. in einem thematischen Anschluss Informationen über die Herausgeber. Oder im Vortext wird etwas gesagt, das eine kontrastierende Hervorhebung des Verbs entwickeln begünstigt, die dann durch die Voranstellung des infiniten Verbteils (in Verbindung mit einem Gewichtungsakzent) signalisiert wird. Die ungewöhnliche Besetzung des Satzabschnitts vor dem finiten Verb (wird) passt den Satz in den größeren Kontext ein, macht ihn sozusagen "textfähig".
Im Deutschen ist die Markierung des Hintergrundes und des Vordergrundes das Ergebnis des recht komplizierten Verhältnisses der Wortstellung und der Intonation, besonders der Akzentuierung (vgl. dazu die Einheiten Wortstellung und Informationsstruktur sowie Wortstellung und Prosodie).
Im Ungarischen ist die Wortstellung noch stärker an die Hintergrund-Vordergrund-Struktur des Satzes gebunden als im Deutschen. Die stärkste Wortstellungsregel des Ungarischen besteht darin, dass die mit dem Satzakzent versehene und dadurch als vordergründig markierte Stellungseinheit, die Fokusphrase, stets unmittelbar vor dem finiten Verb steht (es sei denn, das finite Verb trägt selbst den Satzakzent).
Miklós arbeitet jeden Tag an seiner Hausarbeit.
Minden nap Miklós dolgozik a házi dolgozatán.
Jeden Tag arbeitet (gerade) Miklós an seiner Hausarbeit.
Miklós a házi dolgozatán dolgozik minden nap.
Miklós arbeitet jeden Tag (gerade) an seiner Hausarbeit.
Diejenige Phrase, die den Mittelpunkt des Vordergrundes bildet und mit dem Satzakzent versehen wird, wird Fokus genannt. Dem Fokus soll obligatorisch das finite Verb folgen (es sei denn, das finite Verb wird selber fokussiert). Die Fokusphrase und das finite Verb gliedern den ungarischen Satz grundsätzlich in zwei Teile, in die erste Satzhälfte vor Fokus und finitem Verb und in die zweite Satzhälfte hinter Fokus und finitem Verb. Während also Fokussierung im Deutschen mit verschiedenen Mitteln sowie mit der Bündelung mehrerer Mittel (Wortstellungsmittel, bestimmte Partikeln, Betonung) auf komplexe Weise durchgeführt werden kann, ist sie im Ungarischen mit einem einfachen Wortstellungsmittel möglich, mit der Stellung einer Phrase in die präverbale Position. Weitere Informationseinheiten des Vordergrundes befinden sich hinter dem Verbalkomplex, in der hinteren Satzhälfte.