Komplementklassen

Bei den Komplementklassen im Deutschen unterscheiden wir:

die vier Kasuskomplemente:
Subjekt (Ksub), Akkusativkomplement (Kakk), Dativkomplement (Kdat), Genitivkomplement (Kgen)
das Präpositivkomplement
das Adverbialkomplement
das Prädikativkomplement
das Verbativkomplement

Kasuskomplemente

Im Norwegischen werden die Komplemente in erster Linie strukturell über ihre Position im Satz bestimmt, aber auch semantische und referentielle Merkmale können eine Rolle spielen. Die Ursache hierfür ist das weitgehend fehlende Kasussystem. Daher haben die Kasuskomplemente auch keine direkte Entsprechung im Norwegischen. Im Norwegischen haben Subjekt, direktes Objekt und indirektes Objekt aber im Wesentlichen die gleiche Funktion im Satz wie die Kasuskomplemente.


(1a) Der Ölriese Shell (Ksub) kauft das Stadtmobil.
[die tageszeitung, 01.06.2004]


Im Deutschen ist das Subjekt daran zu erkennen, dass es im Nominativ steht und mit dem finiten Verb in Person und Numerus kongruiert. Im Norwegischen ist der Kasus (Nominativ) jedoch nur bei pronominalen Subjekten markiert (1b), während Nominalphrasen als Subjekt keine Kasusmarkierung tragen ((1c)–(1d)). Weiterhin werden finite Verben nicht nach Person und Numerus flektiert, so dass es im Norwegischen auch keine Kongruenz mit dem Subjekt gibt ((1c) vs. (1d)). Stattdessen ist der Subjektstatus im Norwegischen strukturell über die Wortstellung definiert: Es kann entweder im Vorfeld, also vor dem finiten Verb stehen wie in (1b)–(1d) und (1g), oder nach dem finiten Verb, aber vor eventuellen infiniten Teilen des Verbalkomplexes wie in (1e) und (1f). Stehen mehrere Nominalphrasen bzw. Pronominalphrasen nach dem finiten Verb, so steht das Subjekt stets an erster Stelle (1e). Das Subjekt kann, im Gegensatz zum direkten Objekt (s. unten), zwischen finitem und infinitem Verbteil stehen (1f), aber – wieder im Gegensatz zum direkten Objekt – niemals nach eventuellen infiniten Teilen des Verbalkomplexes, d.h. in (1g) muss Eva das direkte Objekt sein.

(1b) Hun(subjekt) kjøper seg ny sykkel.
(1c) Oljegiganten(subjekt) kjøper opp konkurrenten.
(Deutsch: Der Ölriese (Ksub) kauft den Konkurrenten auf.)
(1d) Bedriftene(subjekt) kjøper varer fra hverandre.
(Deutsch: Die Firmen (Ksub) kaufen Waren voneinander.)
(1e) For pengene kjøpte Lise(subjekt) ham et hus.
(Deutsch: Für das Geld kaufte Lise (Ksub) ihm ein Haus. / Für das Geld kaufte ihm Lise (Ksub) ein Haus.)
(1f) Ola har ikke Eva(subjekt) møtt.
(Deutsch: Ola hat Eva nicht getroffen. – Der Satz (d.h. die Bestimmung von Ksub und Kakk) ist im Deutschen ambig!)
(1g) Ola(subjekt) har ikke møtt Eva (dir. obj.).
(Deutsch: Ola hat Eva nicht getroffen. – Der Satz (d.h. die Bestimmung von Ksub und Kakk) ist im Deutschen ambig!)


(2a) Die Grünen verlangen einen Bericht (Kakk).


Wie beim Subjekt, so ist auch beim direkten Objekt, der norwegischen Entsprechung des Akkusativkomplementes, der Kasus (Akkusativ) nur bei Pronomen markiert ((2b) vs. (2c)), ansonsten ist auch das direkte Objekt strukturell über die Wortstellung definiert: Seine unmarkierte Position ist direkt nach den eventuellen infiniten Teilen des Verbalkomplexes (2d). Das direkte Objekt kann auch im Vorfeld stehen ((2e), (2f)), es sei denn es hat die Form eines unbetonten Pronomens. Dann steht es in der Regel direkt nach dem Hauptverb ((2b), (2c)). Die Möglichkeiten der Realisierung des direkten Objekts im Vorfeld sind jedoch deutlich begrenzter als für das Akkusativkomplement im Deutschen. Wenn auch das Subjekt und ein eventuelles indirektes Objekt nach dem Hauptverb stehen, steht das direkte Objekt an letzter Stelle ((2g), (2h)).

(2b) Han besøker moren(dir. obj.) hver dag.
(2c) Han besøker henne(dir. obj.) hver dag.
(2d) Han har aldri møtt henne(dir. obj.) før.
(2e) Denne filmen(dir. obj.) har jeg ikke sett.
(2f) Det(dir. obj.) vet jeg ikke.
(2g) Da så han henne(dir. obj.).
(2h) Da fortalte han henne det(dir. obj.).

Da im Norwegischen die Komplemente im Unterschied zum Deutschen nicht in erster Linie über ihre morphologische Form (z.B. Kasus) definiert werden, wird auch das Präpositivkomplement (norw.: preposisjonsobjekt) zu den Realisierungsformen des direkten Objekts im Norwegischen gezählt (2i) (s. auch Abschnitt "Präpositivkomplement im Deutschen vs. "preposisjonsobjekt" im Norwegischen").

(2i) Turen vil avhenge av været(dir. obj. i form av preposisjonsobj.).


(3a) Armen Bauern (Kdat) versprach er Schuldenerleichterungen und den Ausbau der Infrastruktur.
[die tageszeitung, 03.02.2005]


Das Dativkomplement ist im Deutschen – wie der Name sagt – über den Kasus markiert. Eine entsprechende Funktion übernimmt im Norwegischen das indirekte Objekt. Während es im Deutschen jedoch einige Verben gibt, die ein Dativkomplement als einziges Komplement fordern (z.B. antworten, danken, gefallen, gehören, helfen, passen), kann ein ein Satz im Norwegischen nur ein indirektes Objekt enthalten, wenn auch ein direkten Objekts vorhanden ist. Wie das direkte Objekt, so hat auch das indirekte Objekt zwei unterschiedliche Realisierungsformen, nämlich als Pronominal- bzw. Nominalphrase und als Präpositionalphrase, mit jeweils unterschiedlichen Positionen im Satz: Als Pronominal- oder Nominalphrase steht es vor dem direkten Objekt (3b), als Präpositionalphrase steht es danach (3c) (siehe auch Komplementklassen und ihre Realisierungsformen).

(3b) Eva ga Adam(indir. obj.) et eple.
(3c) Eva ga et eple til Adam(indir. obj.).


(4a) Die Berliner können sich noch knapp drei Wochen lang bequem und kostenfrei ihrer nadelnden Weihnachtsbäume (Kgen) entledigen.
[die tageszeitung, 06.01.2004]


Eine funktionale Entsprechung des Genitivkomplements gibt es im Norwegischen nicht. Die norwegischen Entsprechungen der Verben, die im Deutschen ein Genitivkomplement fordern (z.B. sich entledigen, anklagen, gedenken), haben im Norwegischen meist ein "preposisjonsobjekt" (4b) oder ein nominales direktes Objekt (4c).

(4b) Her kan folk kvitte seg med søppelet(preposisjonsobj.).
(4c) Vi minnes de døde(direkte obj.).


Präpositivkomplement

(5a) Sie hoffte auf ein Wunder.
[die tageszeitung, 16.07.2004]


Wie bereits im Abschnitt "Akkusativkomplement im Deutschen vs. direktes Objekt im Norwegischen" angemerkt, wird das Präpositivkomplement (preposisjonsobjekt) im Norwegischen als eine Realisierungsform des direkten Objektes angesehen.

(5b) Hun håpet på et under(dir. obj. i form av preposisjonsobj.).


Da die Kasuskomplemente und das Präpositivkomplement im klassischen Sinne den Satzgliedern Subjekt, direktes und indirektes Objekt sowie Präpositionalobjekt entsprechen, werden sie zu einer Gruppe zusammengefasst, die wir Kernkomplemente nennen.

Adverbialkomplement

Bestimmte Ausdrücke können als Adverbialkomplemente fungieren. In vergleichbarer Bedeutung aber in anderen Kontexten sind diese Ausdrücke Satzadverbialia und zählen dann zu den Supplementen.

KomplementeSupplemente
(6a) Der Kaufvertrag lag auf dem Tisch.
[die tageszeitung, 09.03.2005]
(6b) Der 31-Jährige hatte reichlich getrunken und tanzte auf dem Tisch.
[Neue Kronen-Zeitung, 17.01.2000]
(7a) Unsere Tochter wohnt in Köln [...].
[Berliner Zeitung, 17.07.2003]
(7b) Die Erklärung wurde ein Jahr lang in Köln offen diskutiert.
[die tageszeitung, 05.01.2004]


Die Unterscheidung zwischen Adverbialkomplementen und adverbialen Supplementen entspricht der Unterscheidung zwischen (valenz-)gebundenen (norw.: bundne) und nicht gebundenen Adverbialen (norw.: frie adverbial).

bundne adverbialfrie adverbial
(6a') Kjøpekontrakten lå på bordet.(6b') Han hadde drukket mye og danset på bordet.
(7a') Datteren vår bor i Köln. (7b') Erklæringen ble åpent diskutert i Köln i ett år.


Prädikativkomplement

Ausdrücke, die unter Umständen in anderen Kontexten als Kernkomplemente oder Adverbialia fungieren, können zusammen mit bestimmten Verben (z. B. sein, bleiben, werden, heißen, nennen) Prädikatsausdrücke bilden. Weil diese Ausdrücke zusammen mit dem Verb als Prädikat fungieren, werden sie Prädikativkomplemente genannt:

(8) Ziel dieser Operation war eindeutig die Niederschlagung der "Separatisten".
[die tageszeitung, 10.10.2003]

(9) Man hat diesen Schewardnadse lange für einen Demokraten gehalten.
[Berliner Zeitung, 04.11.2003]

(10) 25 Jahre nach Gründung der Grünen steht fest: Sie sind kein Generationenprojekt geblieben.
[die tageszeitung, 01.02.2005]


Die norwegische Entsprechung der deutschen Prädikativkomplemente sind der feste Subjekts- und Objektsprädikativ (norw.: fast subjektspredikativ, fast objektspredikativ): (8') und (10') sind Beispiele für feste Subjektsprädikative; (9') enthält einen Objektsprädikativ.

(8') Målet var Gaustatoppen.
(9') Treneren anser henne for en av de beste spillerne.
(10') Han forble en aktiv musiker hele sitt liv.


Verbativkomplement

Bestimmte Verben fordern ausschließlich Komplemente, die eine Verbkonstruktion beinhalten. Die Verbativkomplemente können realisiert werden durch

  • eine AcI-Konstruktion nach Verben wie lassen, heißen, machen, fühlen, spüren
  • Infinitivkonstruktionen mit und ohne zu bei Verben wie gedenken, geruhen und bestimmte Bedeutungen von verstehen, gelten, heißen und haben
  • dass-Sätze, W-Sätze, ob-Sätze, V2-Sätze bei Verben wie heißen, zusehen

Realisiert durch AcI-Konstruktion:

(11) In fünf Monaten mit allzeit geöffneter Schlafzimmertür spürte Mouci seine Intimsphäre schwinden [...].
[die tageszeitung, 03.05.2003]

(12) Er fegt nicht; er lässt den Gartenschlauch tanzen, während er mit seinen Badelatschen durch die Botanik schlurft.
[die tageszeitung, 06.07.2004]

(13) Sie spürte einen leichten Widerwillen aufkommen [...].
[Lenz, Siegfried: Der Verlust.]


Realisiert durch Infinitivkonstruktionen mit und ohne zu :

(14) Den Akten zufolge verstand es Hildebrandt offenbar perfekt, seine eigenen Belange mit denen des Museums zu verquicken.
[die tageszeitung, 07.01.2005]

(15) Jetzt heißt es feiern, feiern, feiern.
[die tageszeitung, 17.05.2004]

(16) Neben der üblichen Buchhaltung gilt es EU-Normen zu pauken und umzusetzen.
[die tageszeitung, 24.02.2005]


Realisiert duch dass-Satz:

(17) Die Heimleiterin sieht zu, dass immer wieder etwas Neues an den Ständen geboten wird.
[Mannheimer Morgen, 01.03.2005]


Realisiert durch V2-Satz:

(18) Es heißt, das Unglück ist eine gute Schule, aber das Glück ist die beste Universität.
[St. Galler Tagblatt, 24.07.2000]


Auch im Norwegischen gibt es Konstruktionen, die den Verbativkomplementen im Deutschen entsprechen:

(11') Jeg følte motet svikte.
(12') Han lar hageslangen danse.
(13') Hun følte motviljen stige.
(14') Hun vet å sjarmere alle.
(15') Nå gjelder det å feire fremgangen.
(16') Det gjelder å sette grenser.
(17'/18') Det sies (at) normenn er født med ski på bena.
(17''/18'') Des sies (at) hun var en særdeles storslagen dame.
Kommentar zu den Beispielen (17'/18') und (17''/18''):
Die Realisierung mit vs. ohne (optionalem) at im Norwegischen entspricht in etwa der Realisierung als dass-Satz vs. als (uneingeleiteter) V2-Satz im Deutschen.

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Autor(en)
Wiebke Ramm
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