Handlungsbezogene Kommentierung und Wertung
In schriftlicher Kommunikation sind Diktumserweiterungen meist auf Sachverhalte bezogen, sei es, dass sie - wie Propositionsspezifikationen - die Sachverhaltsentwürfe verändern oder dass sie - wie etwa Geltungsmodifikationen - die sachverhaltsbezogenen Geltungsansprüche umgestalten. Vorzugsweise in spontaner mündlicher Rede finden sich daneben auch Bemerkungen, die nicht dem Sachverhalt, sondern der Handlung selbst gelten, die mit der Äußerung einer kommunikativen Ausdruckseinheit vollzogen wird.
Solche handlungsbezogenen Kommentierungen und Wertungen können verschiedenste Aspekte kommunikativer Handlungen betreffen. Geltungsneutral sind sie im Hinblick auf sachverhaltsbezogene Geltungsansprüche. Sie können sich jedoch modifizierend auf die Handlungen auswirken, die mit ihnen verbunden werden: Was ohne Kommentierung als Behauptung zu verstehen wäre, kann, so kommentiert, unter Umständen nur noch als Mutmaßung gelten. Die kommunikative Leistung handlungsbezogener Kommentierungen und Wertungen entspricht deshalb nicht selten der Leistung von Geltungsspezifikationen. Sie wird jedoch auf grundsätzlich andere Weise erreicht.
Einen Eindruck von der Bandbreite möglicher Wirkungen handlungsbezogener Kommentierungen und Wertungen können diese Beispiele vermitteln:
(die tageszeitung, 26.04.2000, S. 15)
(Hörbeleg)
(die tageszeitung, 02.11.1995, S. 27)
(Sandra Marton, Die Hochzeitssuite, Kap. 10)
(die tageszeitung, 27.06.1991, S. 18)
(die tageszeitung, 26.04.1999, S. 14)
(die tageszeitung, 09.08.1988, S. 17)
(Salzburger Nachrichten, 13.04.1992, Menschen und Puppen)
(Berliner Morgenpost, 01.07.99, Ressort: 1, S. 44)
(die tageszeitung, 09.04.1994, S. 13)
(Mannheimer Morgen, 14.06.1995, Chic und schnell: der frische Franzose)
(Frankfurter Rundschau, 010.06.1999, S. 17)
(die tageszeitung, 23.06.1990, S. 12)
(Harald Martenstein, Ich glaube nicht. Die Zeit 53 vom 22. 12. 2004)
(Helmut Schmidt am 19. 10. 2003 in Phoenix)
Für die Realisierung handlungsbezogener Kommentierungen und Wertungen stehen, wie die Beispiele zeigen, in Schriftform außer einer Abtrennung durch Kommata oder eventuell durch Gedankenstriche keine Ausdrucksmittel zur Verfügung, die auf diese Funktionen spezialisiert sind. Man findet Ausdrucksmittel wieder, die auch bei der Realisierung anderer Formen der Diktumserweiterung zu gebrauchen sind. Es fällt allerdings auf, dass im Anschluss an Satz einleitende handlungsbezogene Bemerkungen keine Änderung der Verbzweitsatzwortstellung eintritt, wie sie sonst bei Topikalisierung zu beobachten ist.
In mündlicher Form sind handlungsbezogene Kommentierungen und Wertungen meist durch erkennbare Pausen anzuzeigen, die ihrem Ausdruck den Charakter einer Parenthese geben, oder durch eine Akzentuierung, die nicht durch Kontrastierung bedingt ist - so etwa bei den Beispielen (22) und (23).
Semantisch wird der Handlungsbezug einer Kommentierung und Wertung am Scheitern einer sinnvollen sachverhaltsbezogenen Interpretation erkannt: Da kaum davon auszugehen ist, jemand, der (1) äußert, wolle feststellen, es sei von seinem Wissen abhängig, ob der junge Virtuose seinen Stehbass auf ein Fotostativ oder auf etwas anderes geschraubt hat, rückt die Qualität der mit der Äußerung vollzogenen Handlung ins Blickfeld. Ohne die zusätzliche Kommentierung würde damit eine Feststellung getroffen. Durch die Kommentierung wird die Interpretation der Handlung mit dem Hinweis verbunden, dass man dies nur als Feststellung verstanden wissen will, wenn davon auszugehen ist, dass man sich nicht getäuscht hat.
Was leisten handlungsbezogene Kommentierungen und Wertungen? Eine allgemeine Charakterisierung über das hinaus, was bereits festgestellt wurde, ist kaum möglich. Andererseits ist unschwer zu erkennen, dass nicht jede Kommentierung dieser Art einen neuen Aspekt ins Spiel bringt. Eine vergleichende Betrachtung zeigt, dass Parallelen zu bestimmten Geltungsmodifikationen unverkennbar sind.
So finden sich, wie die Beispiele zeigen, unter anderem Restriktionen - (1) und (2) - und Spezifikationen - (4) - (6), (11), (17) und (21). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Erweiterungen keineswegs alle denselben Aspekt von Sprechakten betreffen: Während in (1) mit wenn mich nicht alles täuscht die Geltung als Feststellung an die Erfüllung einer Bedingung geknüpft wird, wirkt wenn jemand nach mir fragt in (2) nicht in derselben Weise restriktiv. Wer (2) gebraucht, macht in gewisser Weise eine Feststellung auf Vorrat, die - natürlich mit entsprechender Umformung (er/sie ist in der Bibliothek) - vom Adressaten der Äußerung aktiviert werden kann, wenn die mit dem wenn-Satz angegebene Bedingung erfüllt ist.
Angaben von Zwecken, wie sie bei (3), (10), (11) und (21) vorliegen, sind eindeutig auf den Sinn oder Zweck der Ausführung der jeweiligen Sprechhandlung bezogen. Handlungsbezogene Konzessionen und Begründungen hingegen können, wie Restriktionen, verschiedene Operanden haben: Die handlungsbezogene Begründung in (6) nennt einen Grund für die Ausführung des Sprechakts. Gleiches gilt für vorsichtshalber in (17). Mit weil sie das in den Nachrichten gesagt haben in (5) wird hingegen ausgeführt, was dafür spricht, dass es mit dem im übrigen Gesagten seine Richtigkeit hat. So kann ein Sprecher versuchen, seine tatsächlich oder vermeintlich angeschlagene Glaubwürdigkeit zu unterstützen und seiner Feststellung die Geltung zu sichern, die sie von Haus aus haben sollte.
Bei (5) zeigt sich ein Sinn handlungsbezogener Kommentierungen und Wertungen, der auch bei (7) - (10) festzustellen ist: Die Kommentierung kann dazu dienen, die Rahmenbedingungen für die Handlung zu verändern, die mit dem Diktum vollzogen werden soll. Die angestrebte Veränderung kann dabei verschiedener Art sein: Mit unter uns - in (7) - und im Vertrauen gesagt - in (8) - sollen Sonderbedingungen für die Handlung geschaffen werden, die erlauben sollen, Dinge auszusprechen, die unter Standardbedingungen ungesagt blieben. Ähnliches gilt für nur so zum Spaß - in (10).
Modifikationen, wie sie in (7), (8), und (10) zu finden sind, wirken sich wie Schalter aus, mit denen die Rahmenbedingungen eines Diskurses bis auf weiteres verändert werden. Die so gesetzten Rahmenbedingungen können dann durch neuerliche Modifikationen wieder außer Kraft gesetzt werden, ein nur so im Spaß etwa durch Spaß beiseite oder mal im Ernst. Andere Modifikationen, wie sie etwa mit ins Unreine gesprochen oder um nicht lang um den heißen Brei herumzureden beziehen sich im Allgemeinen nur auf die eben vollzogene Handlung.
Zu Modifikationen, wie sie in (9) - mal im Ernst - und (18) - Spaß beiseite - vorliegen, ist allgemein festzustellen, dass sie auf die Wiederherstellung der Standardbedingungen kommunikativen Handelns gerichtet sind. Eine ähnliche Wirkung wird, auch wenn vordergründig andere Mittel vorzuliegen scheinen, mit den Modifikationen in (19), (20) und (22) - (25) angestrebt.
Das derbe in drei Teufels Namen in (19) soll, wie die sachlicheren unbedingt in (22) und ganz bestimmt in (23), für die hiermit vollzogenen Handlungen die Geltung durchsetzen, die an sich bereits den in dieser Hinsicht unmodifizierten Dikta zukäme, aber so, wie sich die Dinge entwickelt haben, ohne weiteres kaum noch zukommen würde.
Die Tatsache, dass wir über Mittel für derartige Modifikationen verfügen, ist einigermaßen bemerkenswert: Sie kann als sprachlich manifest gewordenes Eingeständnis gelten, dass sprachliche Handlungen oft genug unter Bedingungen durchgeführt werden, unter denen ihr eigentlicher Sinn nicht mehr gesichert ist.
Einige wichtige Aspekte solcher interaktionsbezogenen Modifikation - ohne Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit:
- Klärung der Gründe oder der Zwecke des Handelns
- Stützung des Geltungsanspruchs durch Berufung auf 'Beweismittel' verschiedener Art: Autorität, Indizien, Unwirksamkeit von Indizien, die gegen die Geltung sprechen könnten
- Bedingungen für die Wirksamkeit der Handlung
- Bedingungen für die Ausführung der Handlung
- Schaffung oder Änderung von Rahmenbedingungen für die Handlung
- Explikation der Rahmenbedingungen für die Handlung