Abtönungen

Abtönungen — die Bezeichnung folgt einer gängigen Klassifikation ihrer typischen Ausdrucksmittel — sind im Grunde nichts anderes als eine besonders kompakte Form der handlungsbezogenen Kommentierung und Wertung von Dikta und diktumswertigen Komponenten in Dikta. Für einen ersten Eindruck einige typische Beispiele:

Aber so richtig als, als Ossis habt ihr euch ja nie gefühlt, eigentlich nich. So die Nachteile des Systems habt ihr ja nie so richtig mitbekommen.
(Matthias Holtmann in: SDR3 - Best of Leute 1995)
Er lächelte, sah mich mißtrauisch an und fragte: "Was hast du denn im Haus?"
(Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns, Köln-Berlin, 1963, S. 171, gelesen vom Autor)
Dazu sind die Berichte aber immer noch einen Tick zu hausbacken, und Sport bleibt eben Sport, und aus Amateurboxen wird durch den besten Reporter kein Eiskunstlaufen.
(die tageszeitung, 25.04.1992, S. 20)
Wer will auch schon die eigene Beziehungskiste in einem überfüllten Raum mit abenteuerlich gemustertem Spannteppich und billiger Wandtäfelung besprechen?
(Der Standard, 29.10.2007, S. 8)
"Außerdem ist so eine Messe gut, um sicherzustellen, dass man bei der Planung auch ja nichts vergisst", fügte Sandra hinzu.
(Rhein-Zeitung, 16.01.2006)

Anders als bei "Langformen" von Kommentierungen und Wertungen sind die Ausdrücke, mit denen Abtönungen vorzunehmen sind, syntaktisch stets voll in die kommunikativen Ausdruckseinheiten integriert, in denen sie auftreten, d.h. sie besetzen weder die linke noch die rechte Peripherie dieser Einheiten und haben auch keinen parenthetischen Charakter. Sie treten im sog. Mittelfeld an Positionen auf, in denen auch Adverbialia zu finden sind - wo sie auf solche treffen, stets links von diesen.

Allgemein festzuhalten ist noch, dass Abtönungen vor allem bei mündlicher Rede sowie deren schriftlicher Wiedergabe zu beobachten sind.

Was hier pauschal als Abtönung bezeichnet wird, wirkt nur zum Teil abtönend in dem Sinn, in dem man etwa bei Farbmischung von Abtönung sprechen würde. Abtönung kann unter entsprechenden Voraussetzungen auch verstärkend wirken — etwa bei Hau bloß ab! Weil das so ist, scheint die Bezeichnung Abtönung als Oberbegriff etwas unglücklich. Man könnte neutraler von 'Tönung' sprechen. Doch um die ohnedies schwierigen Überlegungen nicht weiter zu komplizieren, behalten wir den Begriff bei, mit dem die Erscheinung in die fachliche Diskussion Eingang gefunden hat.

Von allen Formen der Diktumserweiterung hat die Abtönung am wenigsten den Charakter einer vom Sprecher oder Schreiber bewusst eingesetzten Operation. Man nimmt in aller Regel gar nicht wahr, dass man vorgenommen haben könnte, was hier als Abtönung beschrieben wird, weshalb selbst ein kompetenter Sprachteilhaber in Erklärungsnot geraten kann, wenn man nachhakt und etwa wissen will, wieso er geschrieben hat:

Er dürfte nicht darunter gelitten haben, denn er wusste ja nicht, dass ihn die Ornithologen vermissen.
(Nürnberger Zeitung, 15.03.2008, S. 1)

Er hätte ja auch "einfach" schreiben können:

Er dürfte nicht darunter gelitten haben, denn er wusste nicht, dass ihn die Ornithologen vermissen.

Sprachkritiker haben ihre Erklärungsnot zur Tugend erhoben und die kleinen Wörtchen, mit denen Abtönungen realisiert werden können, als überflüssige Füllwörter und Läuse im Pelz der Sprache bezeichnet, die man tunlichst nicht zu gebrauchen hätte. Grammatiker haben sich bis in neuere Zeit im Allgemeinen zurückhaltender gezeigt, so zurückhaltend, dass sie es gänzlich vermieden, auf diese Erscheinung einzugehen. Erst mit der deskriptiven Wende der modernen Sprachwissenschaft wurde als unausweichlich erkannt, auch diese schwer fassbare Erscheinung ernsthaft in Rechnung zu stellen und zu klären, was es damit auf sich hat.

Detaillierte Ausführungen zu Formen und Verwendungsweisen von Abtönungen finden sich in diesen Einheiten:

Was sind Abtönungen und was leisten sie?

Abtönung und Modus dicendi

Wie sind Abtönungen zu erkennen?

Exemplarische Interpretationen

Abtönung in der linguistischen Literatur

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