Was sind Abtönungen?
Schon die Analyse einiger weniger exemplarischer Fälle zeigt, dass es sich bei Abtönung keineswegs um eine Operation mit grundsätzlich gleichartiger Wirkung handelt, sondern eher um ein Sammelsurium verschiedener Operationen. Grundsätzlich lassen sich dabei zwei Typen von Abtönung unterscheiden, die formal daran zu erkennen sind, dass bei einem Typ die einschlägigen Ausdrucksmittel unbetont bleiben, während sie beim anderen Typ besonders hervorgehoben werden. Für einen ersten Eindruck von beiden Typen hier eine Reihe einschlägiger Beispiele:
Typ unbetont:
(S3 BW, Sport Südwest, 8. 3. 2003)
(Die Presse, 06.08.1993, Leroy wettet auf Lewis)
(Bertolt Brecht, Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens, 1929)
(Matthias Holtmann in: Best of Leute 95. SDR3)
(Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns, Köln-Berlin, 1963, S. 171. Gelesen vom Autor.)
Typ betont:
Realisiert werden Abtönungen - nicht nur bei diesen wenigen Beispielen - mittels so genannter Abtönungspartikeln, oft auch als Modalpartikeln bezeichnet. Diese Klassifikation ist insoweit nützlich, als sie zusammenfasst, was grundsätzlich als Mittel der Abtönung in Frage kommt, und das ist, wie sich zeigt, nur eine leicht überschaubare Menge nicht-flektierbarer Wörter, die teils einzeln, teils in ganzen Clustern angeordnet verwendet werden. Da es sich bei diesen Wörtern jedoch durchweg um Ausdrücke handelt, die auch in anderer Funktion zu verwenden sind, erweist sich die Klassifikation freilich nur beschränkt als hilfreich. Man kommt bei der Interpretation kommunikativer Ausdruckseinheiten nicht umhin, von Fall zu Fall zu bestimmen, in welcher Funktion ein entsprechender Ausdruck denn nun verwendet wurde, und dabei hilft weniger die einmal vorgenommene Klassifikation als vielmehr die Besinnung auf die Kriterien, die zu dieser Klassifikation geführt haben:
- Versuche, den Beitrag des als Abtönungspartikel identifizierten Ausdrucks zur Satzbedeutung anders zu bestimmen, sind gescheitert, insbesondere Versuche, Auswirkungen auf die Geltungsbedingungen des Diktums zu finden. Erkannt wird das Scheitern daran, dass sich dabei keine akzeptable Interpretation ergab.
- Die abgetönten Dikta finden unter etwas anderen Rahmenbedingungen Verwendung als ihre nicht abgetönten Entsprechungen.
Wenn die Partikeln bei abtönender Verwendung nicht so auszuwerten sind wie bei anderen Verwendungen, dann ist dies nicht unbedingt so zu verstehen, als hätte sie dabei eine andere Bedeutung, denn verschieden ist nicht so sehr, was sie beitragen, als vielmehr, wozu sie dies beitragen. Betrachtet man Dikta, bei denen Abtönungen vorliegen, genauer und systematischer, dann fällt auf, dass zwei Faktoren bestimmend dafür sind, welcher Art Abtönung erreicht wird:
- Der Modus dicendi des Diktums
Bestimmte Partikeln finden sich nur in Verbindung mit bestimmten Modi dicendi, wobei auch eine Rolle spielt, ob die Partikel betont wird oder nicht. Versucht man sie mit anderen Modi zusammenzubringen, ergeben sich nicht selten Ausdruckseinheiten, die inakzeptabel sind:
Manchmal ergeben sich dabei auch Kombinationen, die nicht in der Weise zu interpretieren sind, die man erzwingen wollte:
Hier liegt nicht Abtönung vor, sondern eine Modalfunktion.
Mit bloß wird hier eine Diktumsgraduierung erreicht, keine Abtönung.
Welche Partikeln und Partikelsequenzen in Verbindung mit welchen Modi dicendi zu verwenden sind, wird - nicht erschöpfend aber doch mehr als nur exemplarisch - in der Einheit Abtönung und Modus dicendi ausgeführt.
- Die Bedeutung der verwendeten Partikel
Abtönung ist keineswegs einfach ein pauschales Verfahren zum Ausdruck emotionaler Beteiligung. Zwar wirken die verschiedenen Ausdrucksmittel, mit denen sie erreicht wird, zum Teil semantisch etwas ausgebleicht, doch dies geht nie so weit, dass sie ihre Individualität gänzlich verloren hätten. Was bei dem Versuch, ihre Bedeutung zu erfassen, irritieren kann, ist der Umstand, dass sie nicht dazu gebraucht werden, unter gleichen Rahmenbedingungen Verschiedenes zu sagen, sondern eher dazu, unter verschiedenen Rahmenbedingungen Gleiches zu sagen. Das zeigt sich etwa, wenn man versucht, den Bedeutungsbeitrag von doch, vielleicht, schon und ja in Sätzen wie diesen aufzuklären:
Die Mitteilung ist stets dieselbe: "Du bist narrisch." Die Interpretation der Bedeutungsunterschiede führt unweigerlich zu Skizzen unterschiedlicher Verwendungskontexte und insbesondere unterschiedlich sozialer Rahmenbedingungen. An den verschiedenen Ausdrucksmitteln macht man verschiedene typische Verwendungskontexte fest, und das entspricht tatsächlich der Funktion, die ihnen im Diskurs zukommt. Sie tragen dazu bei, die Rahmenbedingungen einer Interaktion deutlich und manchmal überhaupt erst kenntlich zu machen.
- An ja kann ein Hörer erkennen, dass sein Tun den Sprecher akut beunruhigt, weil es zu etwas zu führen droht, das seiner Meinung nach bekanntermaßen verrückt oder gefährlich ist.
- Die Rahmenbedingungen für die Verwendung von doch sind
ähnlich, doch ist ein längerer Vorlauf anzunehmen. Man verwendet doch
anstelle von ja, wenn die Äußerung eine Vorgeschichte hat, in deren
Verlauf man zunehmend zu der Auffassung gelangte, die man dann kundgibt. Im Fall des
Beispiels könnte das so aussehen: Ich beobachte, wie du versuchst, irgendeinen Unsinn zu
machen. Zunächst schaue ich nur zu, weil ich glaube, dass du bald von selbst damit
aufhören wirst. Dann wird mir klar, dass du nicht locker lässt. Jetzt ist es an der Zeit
zu sagen: 'Du bist doch narrisch!'
Ein Vorlauf ist bei doch auch anzunehmen, wenn etwa jemand sagt: 'Das ist doch die Karin!' Man kann dann davon ausgehen, dass er zuvor im Zweifel war, wen er vor sich hat. Auch bei Aufforderungen, bei denen doch nie in Konkurrenz zu ja steht, ist von einem Vorlauf auszugehen:
So spricht man niemand an, wenn man nicht schon geraume Zeit versucht hat, ihn auf diese oder jene Weise zum Kommen zu bewegen.
- Die Abtönung mit vielleicht unterscheidet sich von einer Abtönung mit ja in anderer Hinsicht. Wer so spricht, weist sich eine Beobachterrolle zu, d.h. er gibt sich nicht in gleicher Weise engagiert wie jemand, der unter denselben Rahmenbedingungen ja verwendet hätte. Zugleich unterstreicht er durch die Abtönung mit vielleicht, dass sein Urteil nicht nur so dahingesagt ist, sondern in voller Schärfe gelten soll.
- Ein weiterer Aspekt der Wirkung einer Abtönung mit vielleicht zeigt sich, wenn man eine Abtönung mit schon damit vergleicht. Wer vielleicht verwendet, macht damit auch deutlich, dass er keinen Anlass sieht, seinen Adressaten zu schonen oder in irgendeiner Weise als überlegen anzuerkennen. Anders bei Verwendung von schon: Wer schon zur Abtönung benutzt, gibt zu verstehen, dass er sich nicht auf eine soziale Ebene mit seinem Adressaten stellen will, obwohl er sich durch seine kritische Feststellung punktuell in eine überlegene Position zu begeben scheint.
Bereits diese exemplarischen Überlegungen zeigen, dass die Verwendung der verschiedenen Formen der Abtönung Regeln folgt, deren Einhaltung nicht ohne soziale Relevanz ist - eine Erkenntnis, die von der traditionellen Einschätzung, Abtönungspartikeln seien bloße 'Würzwörter', gründlich verkannt wird.
Was bei abtönender Verwendung mit welcher Partikel unter welchen Umständen zu erreichen ist, kann letztlich nur Wort für Wort geklärt werden und ist deshalb besser im Rahmen eines Wörterbuchs abzuhandeln. Wie man sich das grundsätzlich vorstellen könnte, wird in der Einheit Interpretationen zur abtönenden Verwendung von Partikeln anhand einiger Partikeln demonstriert.