Interpretationen abtönender Verwendung von Partikeln

Um entsprechende Erwartungen gleich zu enttäuschen, ist darauf hinzuweisen, dass die folgenden exemplarischen Interpretationen nicht in Angaben der Bedeutung der betrachteten Partikeln bestehen, denn deren Bedeutung lässt sich nicht angeben - so wenig übrigens wie die Bedeutung irgendeines Wortes. Wortbedeutungen lassen sich bestenfalls mit anderen Wörtern umschreiben, deren Bedeutung ebenso wenig anzugeben wäre. Hier wird deshalb gar nicht erst das Unmögliche unternommen, sondern stattdessen versucht herauszuarbeiten, wie abtönend gebrauchte Partikeln bei der Interpretation abgetönter Dikta zu berücksichtigen sind. Um dies ohne komplizierte technische Erklärungen nachvollziehbar zu machen, werden hier exemplarisch zu einigen Sätzen, in denen abtönend verwendete Partikeln auftreten, typische Verwendungskontexte entworfen, anhand derer gezeigt werden soll, welche Wirkung jeweils mit den Partikeln erzielt werden kann. Wenn dabei - in einigen Fällen - in der Beschreibung der zu erzielenden kommunikativen Wirkung dieselben Partikeln wieder aufgenommen werden, so ist dies kein Versehen. Daran mag deutlich werden, dass zwar verschiedene Verwendungsweisen einer Partikel vorliegen, damit jedoch keineswegs auch verschiedene Bedeutungen.

Sprachliche Entwürfe von Verwendungskontexten sind natürlich auch nichts anderes als Texte und als solche ebenso Gegenstand von Interpretation wie die Sätze, denen sie als Beschreibungen zugeordnet werden. Da solche Beschreibungen zudem in aller Regel komplizierter und theorie-lastiger sind als die Sätze, deren Verwendung sie erfassen sollen, scheint der ganze Erklärungsversuch letztlich in einem Zirkel befangen. Problematisch, wenn nicht sogar völlig sinnlos, ist dies allerdings nur, wenn man den Sinn der Beschreibung darin sieht, Lernern, die noch Schwierigkeiten mit der Verwendung und dem Verstehen deutscher Partikeln haben, mit den Mitteln der deutschen Sprache zugänglich zu machen, was diese Partikeln leisten können. Ganz anderes stellt sich dieses Unterfangen dar, wenn die Beschreibung sich an kompetente Sprachteilhaber richtet, die in der Praxis keinerlei Schwierigkeiten mit Partikeln haben, jedoch nicht sagen könnten, was sie tun, wenn sie Partikeln in dieser Weise verwenden. Hier spricht dann nichts dagegen, Beschreibungen zu geben, die möglicherweise bessere Sprachbeherrschung voraussetzen als der Gebrauch der Partikeln selbst, denn hier ist das Ziel nicht, Verstehen erst zu ermöglichen, sondern sich ausdrücklich Rechenschaft von etwas zu geben, was man in der Praxis längst beherrscht, um so der reflektierten Praxis eine neue Qualität zu geben.

aber

Verwendungskontext:

Mein Nachbar beobachtet, wie ich, bepackt mit Tüten und Taschen, versuche die Gartentür zu öffnen. Er eilt herbei, hilft mir die Tür zu öffnen, nimmt mir einige der Tüten ab und trägt sie bis zum Haus. Darauf ich: "Das wäre jetzt aber wirklich nicht nötig gewesen, Herr Duttle."

Kommunikative Wirkung:

Ohne aber könnte die Feststellung als Kritik verstanden werden. Die Abtönung nimmt ihr den kritischen Unterton, indem sie zeitgleich hinzusetzt, was ausführlicher lauten könnte: "Aber dass Sie es doch getan haben, finde ich sehr nett.

auch

Verwendungskontext:

Wir haben, wie wir meinten, harmlos in der Küche herumgealbert. Dabei ging eine Flasche Öl zu Bruch, und auf dem ausgelaufenen Öl rutschte die herbeigeeilte Gastgeberin so unglücklich aus, dass sie sich ernsthaft verletzte. Natürlich kommt es zu Vorwürfen wegen der Albernheiten, die letztlich zu dem Unfall geführt haben. Daraufhin sage ich: "Wer denkt dabei auch gleich an so etwas?"

Kommunikative Wirkung:

Ohne Abtönung hätte die Frage den Charakter einer Ausrede: "An so etwas konnte oder musste man nicht denken." Die Abtönung mittels auch macht die Frage zum Werben um Verständnis, das ausführlicher hätte lauten können: Wenn man so herumalbert, denkt man vielleicht so daran, dass es dabei zu kleineren Pannen kommen kann, doch, dass es auch so schwerwiegende Folgen haben kann, bedenkt man normalerweise nicht.

Verwendungskontext:

Seit Jahren beobachte ich, wie du dich immer wieder mit Männern einlässt, die dich am Ende nur ausnutzen. Schon mehrfach habe ich dich gewarnt. Auch diesmal sehe ich mich wieder genötigt festzustellen: "Dass du auch immer wieder auf solche Kerle reinfallen musst!"

Kommunikative Wirkung:

Äußerungen dieser Art können grundsätzlich als Ausdruck mitleidender Teilnahme aber auch als Ausdruck deutlicher Kritik gemeint sein. Die Abtönung mittels auch wirkt sich darauf nicht aus. Sie leistet anderes: Sie stellt einen Bezug zu früheren Äußerungen gleicher Art her. Ohne entsprechende Vorgeschichte wäre die Abtönung hier nicht angebracht.

bloß

Verwendungskontext:

Aufgrund verschiedener Aussagen deinerseits und sonstiger einschlägigen Beobachtungen gewinne ich den Eindruck, dass du "drauf und dran" bist, dich auf Geschäfte mit Personen einzulassen, die mir nicht sehr verlässlich vorkommen. Deshalb warne ich dich eindringlich: "Lass dich bloß nicht mit diesen Leuten ein!"

Kommunikative Wirkung:

Auch ohne Abtönung mittels bloß wäre meine Äußerung - je nach weiterem Kontext - als Aufforderung, Warnung oder Bitte zu verstehen. Durch die Abtönung mittels des betonten bloß gewinnt sie an Eindringlichkeit, weil sie dadurch auf das eingeschränkt wird und alles andere als weniger wichtig ausblendet.

bloß

Verwendungskontext:

Du machst einen traurigen, fast mutlosen Eindruck auf mich. Alle Versuche, dich aufzuheitern oder für irgendetwas zu interessieren, führen zu nichts. Ich kann mir das nicht erklären und frage dich: "Was ist heute bloß mit dir los?"

Kommunikative Wirkung:

Durch die Abtönung mittels bloß verliert die Frage ihren inquisitorischen Ton: "Ich will dich nicht drängen zu antworten. Ich möchte bloß zeigen, dass ich um dich besorgt bin."

denn

Verwendungskontext:

Du bist erkennbar traurig, äußerst dich jedoch nicht dazu, was dir fehlt oder was dich bedrückt. Nachdem ich das eine Weile kommentarlos beobachtet habe, frage ich dich: " Was hast du denn?"

Kommunikative Wirkung:

Ohne denn bliebe die Frage - jedenfalls bei normaler Intonation - kommentarlos sachlich. Erst durch die Abtönung mittels denn gerät die Frage zum Ausdruck besorgter Anteilnahme: "Ich frage dich, denn ich machte mir Sorgen um dich."

doch

Verwendungskontext 1:

Im Supermarkt lässt ein Kunde versehentlich Wechselgeld in beträchtlicher Höhe bei der Kasse liegen. Eine Kundin, die dies beobachtet, eilt ihm mit seinem Geld nach. Er bedankt sich überschwänglich. Darauf die Dame: "Das war doch selbstverständlich."

Kommunikative Wirkung:

Die Abtönung mittels doch dient hier dazu, auf etwas zu reagieren, was der vergessliche Herr zwar nicht ausgesprochen hat, jedoch durch die Art, in der er sich bedankt hat, nahe legte: Dass es nämlich alles andere als selbstverständlich sei, dass jemand sich verhält, wie die freundliche Dame dies getan hat. Das abtönende doch wirkt hier mithin ganz so, wie man dies von doch erwarten darf: Es weist die derart abgetönte Feststellung als Insistieren auf einer Auffassung aus, die durch vorgängige Akte in Frage gestellt war oder auch nur in Frage stellt schien.

Verwendungskontext 2:

Nachdem du auf wiederholte Versuche meinerseits, dich von einer bestimmten Handlung abzubringen, abschlägig oder auch gar nicht reagiert hast, gebe ich meine Bemühungen auf, die zu beeinflussen und erkläre: " Mach doch was du willst!"

Kommunikative Wirkung:

Ohne die Abtönung mittels doch könnte das Diktum so verstanden werden, als werde damit ein Freibrief ausgestellt. Durch die Abtönung wird aus der Erteilung einer Erlaubnis ein Akt der Resignation. Auch hier wirkt doch ganz im Sinn eines Insistierens: Man gibt den Widerstand zwar auf, beharrt aber darauf, dass er zu Recht bestand.

eigentlich

Verwendungskontext:

Wir unterhalten uns ohne größere Begeisterung, fast schleppend über mehr oder weniger belanglose Dinge. Jedenfalls ist dies mein Eindruck. Um das Gespräch auf etwas zu bringen, was mich mehr interessiert, frage ich: "Wo steckt eigentlich der Peter?"

Kommunikative Wirkung:

Die Abtönung mittels eigentlich dient hier dazu, den Bruch durch den Themenwechsel, der mit der Frage durchgesetzt wird, sozialverträglich zu gestalten. Ohne die Vermittlung, die durch die Abtönung erreicht wird, würde die Frage selbst in einem sich dahin schleppenden Gespräch irritieren. Bei Gesprächen, die der Partner - vermutlich oder tatsächlich - ernster nimmt, reicht selbst die Vermittlungsleistung von eigentlich nicht hin, um einen derartigen Themenwechsel akzeptabel zu machen.

einfach

Verwendungskontext:

Eine Gesprächsrunde. Einer der Teilnehmer stellt Behauptungen auf, die, wenn sie akzeptiert werden, die Position seines Opponenten in ernste Schwierigkeiten bringen müssten, und er betreibt dabei einigen Aufwand, zitiert etwa aus Untersuchungsberichten und Stellungnahmen von Experten, um seine Thesen zu stützen. Sein Opponent erkennt, dass er das nicht so stehen lassen kann, und wendet ein: "Was Sie da vorbringen, entspricht einfach nicht der Wahrheit!"

Kommunikative Wirkung:

Wer sich unter solchen Bedingungen nicht damit begnügt, zu sagen: "Was Sie da vorbringen, entspricht nicht der Wahrheit!" sondern seinen Einspruch mittels einfach abtönt, reagiert nicht nur auf das, was behauptet wurde, sondern zugleich auf den Aufwand, mit dem es vorgebracht wurde. Konfrontiert mit einer komplexen Argumentation hält er entgegen: "Sie können da lang und breit argumentieren. Es bleibt bei der einfachen Tatsache, dass das nicht der Wahrheit entspricht."

halt

Verwendungskontext:

Jemand beklagt sich darüber, dass es ihm nicht gelungen ist, in einem so genannten Fachgeschäft für Elektrowaren einen Mantelstromfilter zu bekommen. Als er sich gar nicht über dieser Sache beruhigen kann, suche ich das Thema abzuschließen, indem ich bemerke: " Die haben halt keine Ahnung von dem, was sie da verkaufen."

Kommunikative Wirkung:

Ohne die Abtönung mittels halt wäre meine Bemerkung lediglich ein weiterer Beitrag zu einem Gespräch, das noch eine ganze Weile zum selben Thema fortgeführt werden könnte. Durch die Abtönung kann ich zumindest versuchen, das Thema zu einem Halt zu bringen: "Es bringt nichts, das Gespräch hierüber fortzuführen."

ja

Verwendungskontext:

Es ist kein Brot mehr im Haus, und ich verspreche, dass ich mich darum kümmern werde. Dir ist das einerseits durchaus recht, doch du befürchtest, ich könnte wie schon häufiger wieder ein altbackenes Weißbrot mit gummiartiger Konsistenz mitbringen. Du ermahnst mich deshalb: "Bring ja nicht wieder so ein Gummibrot mit!"

Kommunikative Wirkung:

Abtönung mittels betontem ja steigert - ganz wie eine Abtönung mittels betontem bloß - die Dringlichkeit von Aufforderungen, Ermahnungen, Warnungen oder Bitten. Sie erreicht diese Wirkung jedoch auf etwas andere Weise: Während bloß durch Konzentration auf den einen anstehenden Fall steigernd wirkt, ergibt sich diese Wirkung bei ja dadurch, dass darauf verwiesen wird, dass es sich um ein beiderseits bekanntes Problem handelt: ""Bring nicht wieder so ein Gummibrot mit! Denk daran, wie schlecht das letzte Brot war, das du besorgt hast."

ja

Verwendungskontext:

Es klingelt. Ich öffne die Tür. Vor der Tür stehst du, unübersehbar völlig durchnässt. Statt dich zu begrüßen, wie ich das unter anderen Umständen getan hätte, sage ich: "Du bist ja ganz nass."

Kommunikative Wirkung:

Fragt man nach, was bei solchen Äußerungen mit ja bewirkt werden soll, lautet die Antwort nicht selten: "Damit will der Sprecher kundtun, dass er überrascht ist oder dass er dergleichen nicht erwartet hätte." Was damit der Abtönung mittels ja zugesprochen wird, passt freilich so gar nicht zu ebenfalls abtönenden Verwendungen derselben Partikel in anderen Sätzen: "Man weiß ja seit langem, dass ..." oder "Vor Einstein war man ja der Meinung, dass ..." Soll man deshalb annehmen, ja habe in jedem dieser Sätze eine andere Bedeutung? Dazu besteht kein Anlass, denn tatsächlich leistet ja in all diesen Fällen dasselbe: Es setzt den Anspruch außer Kraft, was man sagt, sei neu, und das wirkt sich dahingehend aus, dass der Sinn der jeweiligen Handlung nicht mehr in der Vermittlung neuer Information gesehen werden muss, sondern - je nach Verwendungskontext - auch in etwas ganz anderem, im oben beschriebenen Fall etwa darin, dass man Anteil nimmt an dem, was dem Partner widerfahren ist.

nicht

Verwendungskontext 1:

Du erklärst mir, ganz im Ton eines Lehrers, etwas, das mir längst bekannt ist. Darauf bemerke ich trocken: "Was du nicht alles weißt!"

Verwendungskontext 2:

Mein Tischnachbar beeindruckt mich mit Detailkenntnissen in Sachen Umweltschutz. Voll Bewunderung sage ich später zu dir: "Was der nicht alles weiß!"

Kommunikative Wirkung in beiden Verwendungskontexten:

Die Abtönung hat hier den Charakter einer rhetorischen Frage: "Was der alles weiß! Ist das nicht außergewöhnlich?" Wie ein Vergleich der beiden Verwendungskontexte zeigt, wirkt sich die Abtönung mittels nicht dabei keineswegs darauf aus, wie man das exklamative Diktum aufgenommen wissen will. Ob als eher bissiger Kommentar oder als Ausdruck von Hochachtung, das entscheidet allein der jeweilige Kontext, der hier, da nicht reals gegeben, sondern beschrieben, gleich schon interpretiert wiedergegeben wird.

schon

Verwendungskontext:

Beim Metzger. Der Kunde vor mir kann sich nicht recht entscheiden, ob sie lieber eine Lage Schinken oder hundert Gramm Salami oder vielleicht doch lieber etwas Aufschnitt nehmen soll. Langsam werde ich ungeduldig. Schließlich spreche ich ihn an: "Entscheiden Sie sich schon."

Kommunikative Wirkung:

Die Abtönung mittels schon trägt dem Umstand Rechnung, dass man befürchtet, die Sache ziehe sich noch länger hin. Die derart abgetönte Aufforderung besagt soviel wie: "Ich will nicht warten, bis Sie soweit sind, sich zu entscheiden. Ich will, dass Sie sich schon jetzt entscheiden."

vielleicht

Verwendungskontext:

Der Sprecher einer in die Kritik geratenen Institution muss sich bei einer Pressekonferenz peinlichen Fragen von Journalisten stellen und versteigt sich dabei zu abenteuerlichen Erklärungen für bestimmte Fehlleistungen. Wir hören uns das eine zeitlang an, dann meinst du: "Der redet vielleicht einen Stuss!"

Kommunikative Wirkung:

Wird vielleicht, wie hier, abtönend verwendet, wirkt es, anders als man erwarten könnte, in keiner Weise modalisierend oder abschwächend. Dennoch muss man nicht annehmen, dass vielleicht bei solcher Verwendung doch eine andere Bedeutung hat als dort, wo es als Satzadverb eingesetzt wird, denn das Ausbleiben jeder modalisierenden Wirkung ist anders zu erklären: Die Abtönung hat hier - ganz wie bei Abtönung mittels nicht - den Charakter einer rhetorischen Frage: "Der redet einen Stuss - oder ist es vielleicht so, dass ich mich irre?"

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