Wie sind Abtönungen zu erkennen?
Abtönungen werden unter Verwendung von Partikeln realisiert, wie sie in Abtönung und Modus dicendi - den verschiedenen Modi zugeordnet - aufgeführt sind. Da diese Abtönungspartikeln jedoch durchweg auch in anderer Funktion verwendet werden, genügt es nicht das infrage kommende Inventar zu kennen, um gegebenenfalls eine Abtönung zu erkennen oder selbst vorzunehmen. Da die Partikeln zudem kein Stellungsverhalten zeigen, das geeignet wäre, sie über ihre Position in kommunikativen Ausdruckseinheiten zu identifizieren, ist ihre abtönende Verwendung vor allem daran zu erkennen, dass andere, prinzipiell mögliche Verwendungen nicht vorliegen können oder zumindest im gegebenen Kontext wenig Sinn ergeben würden.
Kompetenten Sprachteilhabern gelingt diese überwiegend "negative Selektion", ohne sich eigens davon Rechenschaft geben zu müssen - was sie ohne spezielle theoretische Schulung im Allgemeinen auch gar nicht könnten. Was sie als kompetente Sprachteilhaber gleichsam "en passant" leisten, erweist sich jedoch als ausgesprochen kompliziert, wenn man versucht, ihre Fertigkeit theoretisch zu rekonstruieren, denn um letztlich zur Identifikation einer abtönenden Verwendung einer Partikel zu kommen, muss man auch all die anderen prinzipiell möglichen Verwendungsweisen kennen, damit man erkennen kann, dass diese im gegebenen Fall nicht vorliegen.
Da nicht alle Partikeln, die für eine abtönende Verwendung infrage kommen, dieselben alternativen Verwendungsweisen haben, sind die Kriterien für die Identifikation von Abtönungen nahezu wortweise zu bestimmen. Einige allgemeine Feststellungen lassen sich dennoch treffen:
- Bestimmte Partikeln können nur in Verbindung mit bestimmten Modi dicendi abtönend verwendet werden. So wird etwa eben nicht bei Dikta in Frage-Modi, im Wunsch-Modus und im Exklamativ-Modus zur Abtönung eingesetzt. Das ist keinesfalls auf eine stilistische Laune zurückzuführen, sondern darauf, dass sich die Partikel aufgrund ihrer Bedeutung für abtönende Verwendung bei Fragen, Wünschen und Ausrufen nicht eignet. Damit reduziert sich das Identifikationsproblem bei eben schon mal auf Verwendungen bei Dikta im Aussage-Modus, Aufforderungs-Modus und Heische-Modus.
(Weltwoche, 21.10.2020)
(Protokoll der Sitzung des Parlaments Deutscher Bundestag am 12.05.2000)
(Berliner Zeitung, 29.10.2009, S. 18)
- Bei Dikta in bestimmten Modi dicendi kommen bestimmte Partikeln nur in abtönender Verwendung vor. So etwa denn bei Dikta in den Frage-Modi oder vielleicht bei Dikta im Exklamativ-Modus. Mithin liegt bei folgenden Beispielen abtönende Verwendung vor:
(die tageszeitung, 27.11.1993, S. 39)
(Hamburger Abendblatt, 22.12.2022, S. 1)
(Vorarlberger Nachrichten, 19.06.1999, Der ehrlichste Kampf ums runde Leder)
- Partikeln, die im linken Außenfeld stehen, werden - ob intonatorisch abgesetzt oder nicht - nicht zur Abtönung verwendet. Bei folgenden Beispielen liegt deshalb keine Verwendung der markierten Partikeln zum Zweck einer Abtönung vor:
(Roman Herzog, 22.1.1994 in SDR3 - Leute)
- Partikeln und vermeintliche Partikeln, die allein im Vorfeld auftreten, werden nicht zur Abtönung verwendet. Also keine Abtönung in solchen Fällen:
(Franz Beckenbauer, Sommer 1994 in SDR3 - Leute)
(die tageszeitung, 11.08.1988, S. 11-12)
- Eine Partikel, die im gegebenen Kontext als Konnektor interpretiert werden kann, fungiert immer auch als solcher, so etwa in diesem Beispiel:
(Thomas Mann, "Der Zauberberg", SFV 1960, Bd. 3, Erste Buchausgabe: Berlin, 1924, S. 869)
- Partikeln, die auch zur Diktumsgraduierung verwendet werden können, sind nicht zur Abtönung zu verwenden, wo sie fokusbezogen interpretiert werden können. Damit keine Abtönung bei diesen Sätzen:
(Fritz Kuhn, 30.11.2004 in Phoenix - Unter den Linden)
(Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns, Köln/Berlin, 1963, S. 11, gelesen vom Autor)