Testverfahren zur Unterscheidung von Komplementen und Supplementen

Zwei Testverfahren führen zur Ermittlung von Komplementen und Supplementen. Die Tests haben eine festgelegte Reihenfolge. Was der erste Test nicht hinreichend unterscheidet, wird vom zweiten geleistet.

Reduktionstest (frz.: test de réduction)
Folgerungstest (frz.: test de déduction)

Reduktionstest

Der Reduktionstest filtert die obligatorischen Komplemente im Satz heraus.

Dabei geht der Reduktionstest von isolierten Einzelsätzen aus. D. h. die zu analysierenden Einzelsätze werden kontextlos betrachtet. Ein Satz wird so lange um jeweils eine Phrase reduziert, bis ein Ausdruck übrig bleibt, der kein grammatisch vollständiger Satz mehr ist.

Die Testfrage lautet bei jedem Reduktionsschritt: Ist der verbleibende Ausdruck ohne die jeweilige Phrase noch ein grammatisch vollständiger Satz?

Wenn der verbliebene Ausdruck (ohne die reduzierte Phrase) keinen grammatisch vollständigen Satz darstellt, dann ist die weggelassene Phrase ein obligatorisches Komplement. Sie ist abhängig vom Verb und notwendig für einen vollständigen Satz.

Übung 1: Reduktionstest

Es bleibt immer noch ein grammatischer Satz übrig, wenn man aus dem Satz

(1) Meine Großeltern haben in den dreißiger Jahren mit dem Geld aus einer Erbschaft im Norden Berlins eine Villa gekauft.

folgende (Präpositional-) Phrasen entfernt:

in den dreißiger Jahren
mit dem Geld aus einer Erbschaft
im Norden Berlins

Bei diesen drei Phrasen handelt es sich also nicht um obligatorische Komplemente.

Der so ermittelte minimale vollständige Satz

(1a) Meine Großeltern haben eine Villa gekauft.

besteht außer aus dem Verbalkomplex noch aus zwei weiteren Phrasen. Bei der Reduzierung um die Nominalphrase eine Villa erhält man den grammatisch unvollständigen Satz:

* Meine Großeltern haben gekauft

und bei der Reduzierung um die Nominalphrase Meine Großeltern erhält man ebenso einen grammatisch nicht vollständigen Satz:

* haben eine Villa gekauft

Beide Phrasen (Meine Großeltern und eine Villa) werden für den grammatisch vollständigen Satz benötigt, sie sind deshalb Komplemente zum zweiwertigen Verb kaufen.

Wenn man in einem grammatisch vollständigen Satz einen Teil, genauer: eine Phrase weglässt, und der so entstandene Satz ungrammatisch ist, dann ist die Phrase, um die es geht, ein obligatorisches Komplement.

Übung 2: Reduktionstest

Bei einigen Verben des Deutschen kann der Reduktionstest zu einem sprachlichen Ausdruck führen, der einen grammatisch vollständigen Satz darstellt, der weggelassene Ausdruck aber dennoch ein Komplement ist. In einem solchen Fall kann man eine Bedeutungsvarianz des Verbs feststellen. Es handelt sich dann um identische Ausdrücke des Verbs mit unterschiedlichen Bedeutungen und unterschiedlichem Valenzrahmen:

(2) Der Gastwirt trinkt ein Glas Milch. Verbbedeutung: etwas Flüssiges zu sich nehmen
(2a) *Der Gastwirt trinkt. Verbbedeutung: etwas Flüssiges zu sich nehmen ein Glas Milch ist Komplement.
(2b) Der Gastwirt trinkt. Verbbedeutung: habitueller Alkoholkonsum

(3) Der Wirtschaftsbetrüger sitzt im Aufsichtsrat. Verbbedeutung: irgendwo eine Funktion haben
(3a) *Der Wirtschaftsbetrüger sitzt Verbbedeutung: irgendwo eine Funktion haben im Aufsichtsrat ist Komplement.
(3b) Der Wirtschaftsbetrüger sitzt. Verbbedeutung: inhaftiert sein

In Fällen wie (2b) und (3b) führt das Weglassen des Komplements also zu einer Änderung der Verbbedeutung. Dies lässt aber das Ergebnis des Reduktionstests (vgl. (2a) und (3a)) unberührt. Der Reduktionstest ist nur dann relevant, wenn die Verbbedeutung konstant bleibt.

Der zweite Test, der Folgerungstest, kann angewendet werden, wenn die Verbbedeutung nach der Reduktion konstant geblieben ist und der verbleibende (reduzierte) Ausdruck immer noch (wie in 4a) grammatisch korrekt ist.

(4) Schwitters schreibt gerade ein dadaistisches Gedicht.
(4a) Schwitters schreibt gerade.

Ob es sich beim weggelassenen Ausdruck um ein nicht-obligatorisches Komplement oder ein Supplement handelt, klärt der Folgerungstest.

Folgerungstest

Mit dem Folgerungstest können Ausdruckseinheiten ermittelt werden, die an der Satzoberfläche nicht erscheinen müssen, also nicht obligatorisch sind. Der Folgerungstest kann ermitteln, ob es sich bei den weggelassenen Ausdrücken um nicht-obligatorische Komplemente oder um Supplemente handelt.

Kann aus einem reduzierten Satz auf einen Satz mit einer unbestimmten Komponente, die durch eine entsprechende Leitform ausgedrückt werden kann, geschlossen werden?
(4a) Schwitters schreibt gerade. → (4b) Schwitters schreibt gerade etwas.
Kann eine solche Schlussfolgerung gezogen werden, dann handelt es sich bei der Komponente um ein fakultatives Komplement.
Kann eine solche Schlussfolgerung nicht gezogen werden, dann handelt es sich bei der Komponente um ein Supplement.

Wichtig bei diesem Test ist aber, dass die Folgerung für eine spezifische Satzbedeutung gilt. Nur dann handelt es sich um einen Komplement-Kandidaten. Bei Folgerungen, die für beliebige Satzbedeutungen gelten, ist die Phrase, um die der ursprüngliche Satz reduziert wurde, ein Supplement.

In Beispiel (5) könnte in drei Wochen bzw. irgendwann auch Komplement sein:

(5) Hans fährt in drei Wochen nach Marokko.

(5a) Hans fährt nach Marroko.

(5b) Hans fährt irgendwann nach Marokko.

In Beispiel (5b) ist irgendwann Supplement, denn die Folgerung Es geschieht irgendwann. gilt nicht nur für Hans fährt nach Marokko. sondern z.B. auch für Wir steigen ins Flugzeug und für viele andere Verben in vielen anderen Sätzen. Die Phrase irgendwann oder in drei Wochen ist also nicht (via Valenz oder über die semantische Logik) in der speziellen Verbbedeutung von fahren angelegt und kann aus ihr folglich auch nicht speziell erschlossen werden. Die Phrase irgendwann oder in drei Wochen ist daher nicht vergleichbar mit einem Fall wie dem Verb essen. Die Tatsache, dass man isst, impliziert natürlich den Umstand, dass man immer etwas isst; man kann also hier die Phrase etwas aus der speziellen Verbbedeutung erschließen. Folglich handelt es sich bei diesem letzten Fall um ein Komplement. Zur Bedeutungsbeschreibung von fahren gehört nicht die Angabe des Zeitpunkts, weil alle Ereignisse in der Zeit (und im Raum) stattfinden.

Supplemente sind aus der kategorial-generischen Bedeutung des Verbs erschließbar, d. h. einfach aus der Tatsache, dass es sich um ein Verb handelt und dass ein Verb einen Prozess denotiert, von dem man ja sagen kann, dass er generell irgendwo, irgendwann, irgendwie usw. ablaufen kann.
Komplemente dagegen sind aus der referenziell-bildhaften Bedeutung des Verbs erschließbar, d. h. aus der Tatsache, dass für den speziellen vom Verb denotierten Prozess bestimmte Requisiten und Mitspieler nötig sind, ohne die der Prozess nicht vollständig wäre bzw. nicht ablaufen könnte und die daher mit ergänzenden Begriffen bezeichnet werden müssen (obligatorische Komplemente) oder können (fakultative Komplemente).

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