Funktionen des Verbalkomplexes
Dem Verbalkomplex kommen – im Deutschen wie im Norwegischen – zwei verschiedene Aufgaben zu:
- Er realisiert das Prädikat und ist damit wesentlicher Ausdrucksteil der Proposition.
- Er trägt dazu bei, die Proposition zeitlich (durch das Tempus), modal (durch Modalverben und den Modus) und in Handlungsbezüge (durch das Genus Verbi) einzuordnen.
Diese beiden Aufgaben werden durch verschiedene Teile des Verbalkomplexes wahrgenommen.
Verbalkomplex aus nur einer Verbform
Besteht der Verbalkomplex aus nur einer Verbform, so setzt er sich mindestens aus zwei Morphemen zusammen. Jede der zwei erwähnten Aufgaben wird von einem der beiden Morpheme übernommen. Dies ist etwa bei schwachen Verben im Präsens und Präteritum (Indikativ) der Fall (z. B. lachen in Der Junge lacht/lachte). Hier wird Aufgabe 1 vom lexikalischen Morphem (lach-), Aufgabe 2 vom Flexionsmorphem (-t/-te) erfüllt. Die Morpheme bilden jeweils in sich abgeschlossene Einheiten, die einander nicht überlappen. In vielen anderen Fällen ist aber eine derartige lineare Trennung beider Aufgaben nicht möglich, weil das lexikalische Morphem von der Flexion überlagert wird. Man vergleiche etwa die starken Verben, bei denen flexionsbedingte Veränderungen des Wortstamms auftreten (z. B. schlafen in Der Junge schläft/schlief).
Beim Verbalkomplex aus nur einer Verbform wird oft von einer 'einfachen Verbform' gesprochen (Verbformen mit einem abtrennbaren Präverb wie in Der Junge schläft ein. sind hier eingeschlossen).
Verbalkomplex aus mehreren Verbformen
Besteht der Verbalkomplex aus mehreren Verbformen, werden die beiden oben genannten Aufgaben lexikalisch getrennt wahrgenommen:
Die finiten Hilfs- oder Modalverben leisten keinen
Beitrag zur propositionalen Bedeutung, dienen somit nicht der Erfüllung
von Aufgabe 1. Sie übernehmen dafür Aufgabe 2 und zwar in allen ihren
Teilbereichen.
Sie sind beteiligt an:
a. | der Herstellung des Zeitbezuges: | |
Der Junge hat geschlafen. | Gutten har sovet. | |
b. | der modalen Charakterisierung der Proposition: | |
Hans kann
kommen. Der Junge muss schlafen. | Hans kan
komme. Gutten må sove. | |
c. | der Passivbildung: | |
Das Buch wird von Hans geschrieben. | Boken blir skrevet av Hans. |
Aufgabe1 wird in einem Verbalkomplex, der aus mehreren Verbformen
besteht, durch das infinite Vollverb wahrgenommen, das als
Ausdruck für das Prädikat im engeren Sinne dient.
Weitere
infinite Bestandteile des Verbalkomplexes sind - wenn überhaupt vorhanden
- wiederum an der Erfüllung der einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2
beteiligt, das heißt, sie leisten einen Beitrag zur zeitlichen (a) und
modalen (b) Einordnung der Proposition bzw. signalisieren eine
Passivkonstruktion (c):
Die auf die einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 spezialisierten Verben können miteinander kombiniert werden:
Die folgende Tabelle fasst die bisherigen Überlegungen zu den Aufgaben des Verbalkomplexes und seiner Bestandteile zusammen:
Teile des | Verbalkomplexes | |
Aufgaben | im Verbalkomplex
aus nur einer Verbform | im Verbalkomplex
aus mehreren Verbformen |
Realisation des
Prädikats, Organisation der Proposition | lexikalisches
Morphem, z.B.: geh- | infinites Vollverb,
z.B.: geschrieben schreiben |
Einordnung in Zeit- und Handlungsbezüge, Informationsstrukturierung | Flexionsmorphem /Flexion, z.B.: -t | finites Verb,
z.B.: hat muss wird infinite Verben mit Ausnahme des Vollverbs, z.B.: müssen haben werden |
Funktionale Einordnung des Verbalkomplexes
Die an den Verbalkomplex angebundenen Komplemente sind quantitativ und qualitativ von der Valenz des Vollverbs abhängig. Der durch die Komplemente "gesättigte" Verbalkomplex bildet den Satz, der wiederum durch unterschiedliche Supplemente erweitert werden kann.
Für das 3-wertige Verb geben gilt z. B.:
Es gibt zwei Kategorien von Verben, die in Verbindung
mit einer infiniten Verbform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bilden
können: Hilfsverben und
Modalverben.
Finite Hilfsverben und Modalverben können einen
(vollständigen) Verbalkomplex herstellen:
Infinite Hilfsverben und Modalverben können zusammen mit einer anderen infiniten Verbform einen infiniten Verbalkomplex bilden, der wiederum Teil eines größeren Verbalkomplexes ist.
Unter den Eigenschaften, die Hilfsverben und Modalverben von den Vollverben unterscheiden, gibt es einige, die sowohl den Hilfsverben als auch den Modalverben zukommen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört z. B. das Fehlen eines eigenen Valenzrahmens.