Modalverben im Verbalkomplex

Modalverb-Komplexe

Mithilfe von Modalverben (müssen, sollen, dürfen, mögen/möchte-, wollen, können) werden Propositionen nicht als faktisch, sondern als möglich bzw. notwendig betrachtet (vgl. auch Modalverb in der Wortartenklassifikation).


Die gleiche Funktion haben auch die norwegischen Modalverben (norwegisch: modalverb), måtte, skulle, ville, kunne, burde. Die Bedeutung von måtte, skulle, ville und kunne deckt sich jedoch nicht immer mit der ihrer deutschen lexikalischen Entsprechungen müssen, sollen, wollen und können.

Hinzu kommt, dass ville und skulle, neben ihrer Verwendung als reine Modalverben auch für die Bildung der Tempusformen (bzw. kombinierten Tempus-/Modusformen, siehe Hilfsverben im Verbalkomplex) presens futurum, preteritum futurum, presens perfektum futurum und preteritum perfektum futurum verwendet werden.


Modalverben verbinden sich im Verbalkomplex mit Infinitiven wie in Beispiel (1) und (2) bzw. mit Gruppen aus Infinitiv und Partizip(ien) wie in Beispiel (3) und (4). Ähnlich wie Hilfsverben ändern sie (außer bei der Passivbildung) nicht den Valenzrahmen des Vollverbs (vgl. Valenzverhältnisse im Verbalkomplex). Die Rektionsverhältnisse im Norwegischen sind grundsätzlich ähnlich wie im Deutschen. Die Reihenfolge der nicht-finiten Elemente (Infinitive und Partizipien) des Verbalkomplexes ist dabei allerdings spiegelbildlich im Vergleich zum Deutschen (vgl. Anmerkungen zur Rektionsrichtung im Deutschen vs. Norwegischen in Verbalkomplex): Während im Deutschen die Partizipien vor den Infinitiven stehen (Beispiel 3a/3a' und 4a/4a') und – bei Verbindungen aus mehr als einem Partizip bzw. Infinitiv – die Vollverb-Formen vor den Hilfs-/Modalverb-Formen (Beispiel 2a/2a' und 4a/4a'), stehen im Norwegischen die Infinitive vor den Partizipien (Beispiel 3b/3b' und 4b/4b'), und hierbei wiederum die Hilfs-/Modalverb-Formen vor den Vollverb-Formen (Beispiel 2b/2b' und 4b/4b').

(1a) Er muss sie um Entschuldigung bitten.(1b) Han be henne om unnskyldning.
(1a') ..., dass er sie um Entschuldigung bitten muss.(1b') ... at han be henne om unnskyldning.
(2a) Er muss sie um Entschuldigung bitten können.(2b) Han kunne be henne om unnskyldning.
(2a') ..., dass er sie um Entschuldigung bitten können muss.(2b') ... at han kunne be henne om unnskyldning.
(3a) Er muss sie um Entschuldigung gebeten haben.(3b) Han ha bedt henne om unnskyldning.
(3a') ..., dass er sie um Entschuldigung gebeten haben muss.(3b') ... at han ha bedt henne om unnskyldning.
(4a) Sie muss um Entschuldigung gebeten worden sein.(4b) Hun må (ha) blitt bedt om unnskyldning.
(4a') ..., dass sie um Entschuldigung gebeten worden sein muss.(4b') ... at hun må (ha) blitt bedt om unnskyldning.
Modalverben weisen folgende Merkmale auf:
– Sie regieren den reinen Infinitiv.
– Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
– Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen.
– Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex.

Der ehemalige Konjunktiv möchte ist nur in den finiten Formen möglich. Er wird heute als Indikativ Präsens verstanden. mögen und möchte werden zum Teil bedeutungsverschieden gebraucht, sie haben jedoch nur die eine gemeinsame Präteritalform mochte und werden daher zu einem Formenparadigma gerechnet.

Andere Verbklassen mit modaler Bedeutung

Hilfsverben

Die Hilfsverben haben und sein können, ebenso wie ihre norwegischen Entsprechungen ha und være, in modaler Bedeutung verwendet werden.

Beispiele:

Alle haben nach den geltenden Regeln zu richten.Alle har å inrette seg etter de reglene som gjelder.
Das Haus ist leicht zu finden.Huset er lett å finne.
Die Hilfsverben haben und sein weisen in modaler Verwendung folgende Merkmale auf:
  • Sie regieren alle den zu-Infinitiv.
  • Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
  • Sie werden dazu verwendet, Propositionen in bestimmten Kontexten, z. B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, als möglich bzw. notwendig einzuordnen.
  • Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen. Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex (mit der Ausnahme von sein zu und gehören in modaler Verwendung, bei denen der Valenzrahmen in veränderter Form (Konversion) übertragen wird).

sein zu

Der Verbalkomplex mit sein zu steht zu dem Vollverbinfinitiv in Konversion. Die Komplemente des Verbalkomplexes mit sein zu werden in umgekehrter Reihenfolge eingebunden als die Komplemente des Vollverbs:

Konversion

Ein Akkusativkomplement des Vollverbs wird zum Subjekt des Verbalkomplexes mit sein zu, das Subjekt des Satzes mit Vollverb wird zum fakultativen Präpositivkomplement, das meist entfällt. In der Regel entsprechen die Möglichkeiten einer sein-zu-Konverse denen der Passivierbarkeit des entsprechenden Verbs:

Diese Arbeit wird bis morgen (von Hans) erledigt.
Diese Arbeit ist bis morgen (von Hans) zu erledigen.

Vollverben

Auch einige Vollverben können modal gebraucht werden. Die Verben brauchen und gehören, scheinen, drohen und pflegen haben dabei eine andere Bedeutung als im Vollverbgebrauch.

VollverbVollverb
in modaler Verwendung
brauchenWelche Gesellschaft braucht wie viel Freistellungsauftrag? (die tageszeitung, 06.03.2003, S. 24)"Sie brauchen mich nicht zu fragen, ob ich erleichtert bin. Ich bin es", gestand Liverpools Trainer Gerard Houllier nach dem Schlusspfiff. (Mannheimer Morgen, 20.01.2003)
gehörenDaß die Namen der Angeklagten nicht unter den aufgeführten Namen waren, sprach dafür, daß die Angeklagten zu den zurückgebliebenen Aufseherinnen gehört hatten. (Schlink, Bernhard: Der Vorleser, Zürich 1995, 207 S.) Die Terroristen und ihre Hintermänner gehören ausfindig gemacht und ihrer Strafe zugeführt. (St. Galler Tagblatt, 11.10.2001)
scheinenWir sind im Odenwald, draußen scheint die Sonne und macht die Welt glitzrig und verheißungsvoll. (die tageszeitung, 03.02.1987, S. 3) Fast scheint es, als hätten die Amerikaner den Schock des Terros schon überwunden, während Europa noch wirkt wie gelähmt. (Berliner Zeitung, 02.01.2002)
drohenHausbesitzer droht mit Feuer. Nachbar-Gebäude in Rohrhof mussten geräumt werden. (Mannheimer Morgen, 04.01.2003)Wenn ich im Fernsehen eine Witzsendung sehe, erstarren meine Gesichtszüge und die Nase droht mir abzufallen. (die tageszeitung, 15.01.2003, S. 16)
pflegenAus diesem Grund pflegt Hollywood den Hochzeitsfilm auch noch mit solcher Sorgfalt. (die tageszeitung, 23.01.2003, S. 17) Das Women's Institute, ein Dachverband von Frauenvereinen, hatte die Jubiläumsfeier extra nach Schloss Sandringham verlegt, wo die königliche Familie die Wintermonate zu verbringen pflegt. (Mannheimer Morgen, 25.01.2002)
Die Vollverben brauchen und gehören, scheinen, drohen und pflegen in modaler Verwendung weisen folgende Merkmale auf:
  • Sie haben eine andere Bedeutung als ihre Vollverbvarianten.
  • Sie regieren alle - außer gehören - den zu-Infinitiv.
  • gehören regiert das Partizip II.
  • Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen. Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex (bei gehören wird der Valenzrahmen in veränderter Form (Konversion) übertragen).

  • Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
  • Sie werden dazu verwendet, Propositionen in bestimmten Kontexten, z. B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, als möglich bzw. notwendig einzuordnen.

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Autor(en)
Wiebke Ramm
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