Valenzverhältnisse im Verbalkomplex

Beibehaltung der Valenz

Die Perfekt-Hilfsverben sein und haben mit Rektion des Partizips II, das Futur-Hilfsverb werden I mit Rektion des Infinitivs und die Modalverben haben keine Auswirkung auf den Valenzrahmen des Vollverbs. Sie verändern ihn weder hinsichtlich der Quantität noch hinsichtlich der Kasus:

(1) Die Globalisierung K(sub) gibt auch dem Elend K(dat) ein einheitliches GesichtK(akk). [die tageszeitung, 03.01.2004]

(1a) Die Mehrheit K(sub) hat ihmK(dat) einen BlankoscheckK(akk) gegeben. [Vorarlberger Nachrichten, 28.03.2000]

(1b) Welche DeutungK(akk) wird der FilmK(sub) der GeschichteK(dat) geben? [die tageszeitung, 17.02.2004]

(1c) Ein neues GesetzK(sub) soll dem Petitionsausschuss K(dat) mehr MachtK(akk) geben. [Berliner Zeitung, 04.12.2003]

(1d) ManK(sub) hätte der AktionK(dat) ZeitK(akk) geben sollen. [Neue Kronen-Zeitung, 10.02.2000]

Für Beispiele (1) bis (1d) kann somit trotz jeweils anderer Realisierung des Verbalkomplexes ein gemeinsames Strukturschema angesetzt werden:


Die norwegischen Hilfs- und Modalverben ändern (mit Ausnahme von bli und være bei der Passivbildung) ebenfalls den Valenzrahmen des Vollverbs nicht:

(2) Hansubjekt gir bokendir. obj. til barnetindir. obj..

(2a) Hansubjekt har gitt bokendir. obj. til barnetindir. obj..

(2b) Hansubjekt skal gi bokendir. obj. til barnetindir. obj.

(2c) Hansubjekt kunne gi bokendir. obj. til barnetindir. obj..

(2d) Hansubjekt skulle ha gitt bokendir. obj. til barnetindir. obj..


Konversion

Der Terminus Konversion (norwegisch: konversjon) wird in der Norsk referansegrammatikk nur im Sinne der Konversion in der Wortbildung verwendet, nämlich zur Beschreibung des morphologischen Phänomens der Identität eines Substantivstamms mit einem entsprechenden Verbstamm, also einem Beispiel für Formenzusammenfall, z. B. (et) skriv (Substantiv) – skriv- (Verb).


Im Gegensatz zu obigen Fällen liegt im Passiv – im Deutschen wie im Norwegischen – eine Änderung des Valenzrahmens vor. Diese Änderung betrifft sowohl die Quantität als auch die Kasus (bzw. im Norwegischen die syntaktischen Funktionen):

(3a) Der Ball wird dem Trainer (von Hans) gegeben.(3b) Ballen blir gitt til treneren (av Hans).

Passivkonstruktionen stehen also in Konversion zu Aktivkonstruktionen:

(4)

Konversion

Für das Passiv im Deutschen gilt:

  • Die Nominalphrase oder Pronominalphrase, die im Aktiv das obligatorische Komplement im Nominativ, das Subjekt, bildet, wird im Passiv zum fakultativen Präpositivkomplement.
  • Die Nominalphrase oder Pronominalphrase, die im Aktiv das Akkusativkomplement darstellt, wird im Passiv zum Subjekt - dies gilt bei allen passivfähigen transitiven Verben, also Verben mit einem Akkusativkomplement.
  • Die übrigen Phrasen ändern ihren Kasus nicht:

    (5a) Hans gibt dem Trainer den Ball.
    (5b) Dem Trainer wird der Ball von Hans gegeben.


Die Passivbildung im Norwegischen weist neben einigen Gemeinsamkeiten auch mehrere Unterschiede im Vergleich zum Deutschen auf:

1. Neben dem periphrastischen, aus einem Hilfsverb (bli) und dem perfektum partisipp zusammengesetzten Passiv gibt es im Norwegischen noch eine zweite, morphologisch markierte Form des Passivs, das so genannte s-passiv . Es unterscheidet sich semantisch leicht vom zusammengesetzten Passiv und kommt vorwiegend im Präsens vor. Im Hinblick auf die Veränderung des Valenzrahmens bei der Umwandlung von Aktiv- in Passivkonstruktionen hat es jedoch die gleichen Eigenschaften wie das periphrastische Passiv, s. Beispiele (6b), (10b) und (11b).


2. Wie im Deutschen wird die Nominalphrase oder Pronominalphrase, die im Aktiv das Subjekt bildet, im Passiv zum fakultativen Präpositivkomplement (norw.: preposisjonsobjekt); und auch im Norwegischen wird häufig die Nominalphrase oder Pronominalphrase, die im Aktiv das direkte objekt darstellt, zum Subjekt eines entsprechenden Passivsatzes (Beispiele 6 und 7). Auch im Norwegischen gilt dies nur für passivfähige transitive Verben, also Verben mit direkte objekt. Außer bei den Pronominalphrasen (Beispiel 7) ist dies jedoch nicht mit einer Änderung der Kasusmarkierung verbunden (Beispiel 6):

Aktiv:Passiv:
(6a) Byggefirmaet river huset. (6b) Huset rives (av byggefirmaet).
(7a) Alle elsker henne. (7b) Hun blir elsket (av alle).


3. Im Unterschied zum Deutschen können im Norwegischen aber durchaus auch andere Komplemente (Beispiele 8 – 11), in Einzelfällen sogar auch Supplemente (norw.: adverbial) (Beispiel 12) zum Subjekt eines Passivsatzes werden. Ist die entsprechende Konstituente im Aktiv eine Präpositionalphrase, so bleibt die Präposition bei der Umformung ins Passiv auf ihrer ursprünglichen Position (sog. 'Präpositionshavarie', engl. 'preposition stranding') (Beispiele 10b– 12b). Gleichzeitig behält das direkte objekt bei der Passivumwandlung seine syntaktische Funktion, wenn ein anderes Element die Subjektfunktion übernimmt – im Deutschen wird das Akkusativkomplement zwingend zum Subjekt eines entsprechenden Passivsatzes:


Konst.
im Aktiv
AktivPassiv
indirekte
objekt
(8a) Man nektet oss adgang.
(vgl. deutsch: Man verweigerte uns den Zutritt.)

(9a) Ordføreren overrekker vinneren en diplom.
(vgl. deutsch: Der Bürgemeister überreicht der Gewinnerin eine Urkunde.)
(8b) Vi ble nektet adgang.
(vgl. deutsch: Uns wurde der Zutritt verweigert.)


(9b) Vinneren blir overrakt en diplom.
(vgl. deutsch: Der Gewinnerin wurde eine Urkunde überreicht.)


preposisjons-
objekt
(10a) Vi må alltid vente på deg!
(vgl. deutsch: Wir müssen immer auf dich warten!)

(11a) Vi må ta hensyn til slike innvendinger.
(vgl. deutsch: Wir müssen auf solche Einwände Rücksicht nehmen.)
(10b) Du må alltid ventes på!
(vgl. deutsch: Auf dich muss immer gewartet werden!)

(11b) Slike innvendinger må tas hensyn til.
(vgl. deutsch: Auf solche Einwände muss Rücksicht genommen werden.)
adverbial
(prep.frase)
(12a) Han hadde skåret kjøtt med kniven.
(vgl. deutsch: Er hatte Fleisch mit dem Messer geschnitten.)
(12b) Kniven var blitt skåret kjøtt med.
(vgl. deutsch: Mit dem Messer war Fleisch geschnitten worden.)


4. Das Norwegische erlaubt im Gegensatz zum Deutschen keine subjektlosen Sätze. Auch in Passivsätzen muss zumindest ein det, das grammatische/formale Subjekt (norw.: formelt subjekt), vorhanden sein. Das scheinbar ähnliche, expletive es in entsprechenden deutschen Passivsätzen fungiert jedoch nicht als Subjekt, was z. B. an der fehlenden Kongruenz in Beispiel (16b) erkennbar ist, sondern hat die pragmatische Funktion eines Vorfeldfüllers, der unabhängig vom Valenzrahmen des Verbes ist. Während im Deutschen die Kasusmarkierung der Konstituenten (meist) ausreicht, um deren syntaktische Funktion unabhängig von deren Position im Satz zu signalisieren, dient das formelt subjekt im Norwegischen dazu, andere Elemente im Satz als Nicht-Subjekte auszuzeichnen: Dass hele kvelden in (14a) ein adverbial ist, ist nur indirekt an der Existenz von det zu erkennen – vgl. (15a), wo die identische Form hele kvelden das Subjekt des Satzes ist (ein det im Satz wäre hier ungrammatisch). Im Deutschen ist dieser Unterschied am Kasus zu erkennen: den ganzen Abend (Akkusativ) in (14b) vs. der ganze Abend (Nominativ) in (15b). Entsprechend ist in (17a) das det obligatorisch (til vinnerne ist das indirekte objekt), während es in (18a) ungrammatisch ist (vinnerne ist hier das Subjekt des Satzes) – vgl. die deutschen Versionen (17b) und (18b), die beide subjektlose Sätze sind.

norwegisch:deutsch:
(13a) Det ble danset hele kvelden.
(14a) Hele kvelden ble det danset.
(15a) Hele kvelden ble (*det) et fiasko.

(16a) Det ble overrakt vinnerne fine priser.
(17a) Til vinnerne ble det overrakt fine priser.
(18a) Vinnerne ble (*det) overrakt fine priser.
(13b) Es wurde den ganzen Abend getanzt.
(14b) Den ganzen Abend wurde (*es) getanzt.
(15b) Der ganze Abend wurde (*es) ein Fiasko.

(16b) Es wurden den Gewinnern schöne Preise überreicht.
(17b) An die Gewinner wurden (*es) schöne Preise überreicht.
(18b) Den Gewinnern wurden (*es) schöne Preise überreicht.

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Autor(en)
Wiebke Ramm
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