Testverfahren zur Unterscheidung von Komplementen und Supplementen
Zwei Testverfahren führen zur Ermittlung von Komplementen und Supplementen. Die Tests haben eine festgelegte Reihenfolge. Was der erste Test nicht hinreichend unterscheidet, wird vom zweiten geleistet.
Reduktionstest
Der Reduktionstest filtert die obligatorischen Komplemente im Satz heraus.
Dabei geht der Reduktionstest von isolierten Einzelsätzen aus, d. h. die zu analysierenden Einzelsätze werden kontextlos betrachtet. Ein Satz wird so lange um jeweils eine Phrase reduziert, bis ein Ausdruck übrig bleibt, der kein grammatisch vollständiger Satz mehr ist.
Wenn der verbliebene Ausdruck (ohne die reduzierte Phrase) keinen vollständigen Satz darstellt, dann ist die weggelassene Phrase ein obligatorisches Komplement. Sie ist abhängig vom Verb und notwendig für einen vollständigen Satz.
Es bleibt immer noch ein grammatischer Satz übrig, wenn man aus dem Satz
folgende (Präpositional-) Phrasen entfernt:
mit dem Geld aus einer Erbschaft
im Norden Berlins
Bei diesen drei Phrasen handelt es sich also nicht um Komplemente.
Der so ermittelte minimale vollständige Satz
besteht außer aus dem Verbalkomplex noch aus zwei weiteren Phrasen. Bei der Reduzierung um die Nominalphrase eine Villa erhält man den unvollständigen Satz:
und bei der Reduzierung um die Nominalphrase Meine Großeltern erhält man ebenso einen nicht vollständigen Satz:
Beide Phrasen (Meine Großeltern und eine Villa) werden für den vollständigen Satz benötigt, sie sind deshalb Komplemente zum zweiwertigen Verb kaufen.
Bei einigen Verben des Deutschen kann der Reduktionstest zu einem sprachlichen Ausdruck führen, der einen vollständigen Satz darstellt, der weggelassene Ausdruck aber dennoch ein Komplement ist. In einem solchen Fall kann man eine Bedeutungsvarianz des Verbs feststellen. Es handelt sich dann um identische Ausdrücke des Verbs mit unterschiedlichen Bedeutungen und unterschiedlichem Valenzrahmen:
(2a) * Der Gastwirt trinkt Verbbedeutung: etwas Flüssiges zu sich nehmen → ein Glas Milch ist Komplement.
(2b) Der Gastwirt trinkt. Verbbedeutung: habitueller Alkoholkonsum
(3a) * Der Wirtschaftsbetrüger sitzt Verbbedeutung: irgendwo eine Funktion haben → im Aufsichtsrat ist Komplement.
(3b) Der Wirtschaftsbetrüger sitzt. Verbbedeutung: inhaftiert sein
Ist eine Änderung der Verbbedeutung durch die Reduktion des Satzes feststellbar (wie in
2b und 3b), ist das Ergebnis des Reduktionstests für den Restsatz, in den das Verb in der
ursprünglichen Bedeutung integriert ist, eindeutig.
Der zweite Test, der Folgerungstest,
kann angewendet werden, wenn die Verbbedeutung nach der Reduktion konstant geblieben ist, und der
verbleibende (reduzierte) Ausdruck immer noch (wie in 4a) grammatisch korrekt ist.
(4a) Schwitters schreibt gerade.
Ob es sich beim weggelassenen Ausdruck um ein Komplement oder ein Supplement handelt, klärt der Folgerungstest.
Folgerungstest
Mit dem Folgerungstest können Ausdruckseinheiten ermittelt werden, die an der Satzoberfläche nicht erscheinen müssen, also nicht obligatorisch sind. Nach dem Reduktionstest müssten diese Ausdrücke Supplemente sein. Der Folgerungstest kann bei diesen reduzierten Ausdrücken ermitteln, ob der weggelassene Ausdruck nicht vielleicht doch ein Komplement ist.
In Beispiel (5a) könnte irgendwann auch Komplement sein:
(5a) Hans fährt irgendwann nach Marokko.
Wichtig bei diesem Test ist, dass die Folgerung für eine spezifische Satzbedeutung gilt. Nur dann handelt es sich um einen Komplement-Kandidaten. Bei Folgerungen, die für beliebige Satzbedeutungen gelten, ist die Phrase, um die der ursprüngliche Satz reduziert wurde, ein Supplement.
In Beispiel (5a) ist irgendwann Supplement, denn die Folgerung Es geschieht irgendwann. gilt nicht nur für Hans fährt nach Marokko. sondern z.B. auch für Wir steigen ins Flugzeug. Die Phrase irgendwann oder in drei Wochen ist also nicht so stark in der Verbbedeutung von fahren angelegt bzw. kann aus ihr erschlossen werden wie bei essen die Tatsache, dass man immer etwas isst, wenn man isst. Zur Bedeutungsbeschreibung von fahren gehört nicht die Angabe des Zeitpunkts, weil alle Ereignisse in der Zeit (und im Raum) stattfinden.