Verben mit Vorsilben: Trennbar, untrennbar oder beides?

ZielgruppeLernende (ab Niveaustufe C1)
Lernziele
  • Unterschiedliche Betonungen von Verben mit Vorsilben erkennen
  • Beziehung zwischen der Betonung der Vorsilbe und grammatischen Eigenschaften/Bedeutung des Verbs erschließen

Lesen Sie die Beispiele mit den Verben aufstehen und verstehen und lösen Sie die Aufgabe:

(1) Um wie viel Uhr stehst du morgens auf?
(2) Verstehst du mich?

Die Verben aufstehen und verstehen werden beide aus dem Verb stehen gebildet. Dieses wird mit zwei verschiedenen Vorsilben kombiniert:
auf- + stehenaufstehen
ver- + stehenverstehen
Zwischen den Vorsilben auf- und ver- in (1) und (2) gibt es zwei Unterschiede. Welche?
a) Eine Vorsilbe ist von stehen getrennt, die andere nicht.
b) Eine Vorsilbe ist kürzer als die andere.
c) Eine Vorsilbe kann auch ein eigenes Wort sein, die andere nicht.

Die Antworten a) und c) sind richtig.

In (1) ist die Vorsilbe auf- von stehen getrennt, in (2) ist die Vorsilbe ver- nicht von stehen getrennt.

Die Vorsilbe auf- kann auch ein eigenes Wort sein, nämlich eine Präposition. Die Vorsilbe ver- kann dagegen nur in Kombination mit existierenden Wörtern verwendet werden, nämlich als Präfix.

Bei Verben mit Vorsilben werden trennbare und untrennbare Vorsilben unterschieden.
Trennbare Vorsilben (auch Präverben genannt) können auch eigene Wörter sein – z.B. Präpositionen wie auf im Verb aufstehen, aber auch Adjektive wie schwarz im Verb schwarzfahren.
Untrennbare Vorsilben (auch Präfixe genannt) können dagegen nicht als Wörter verwendet werden. Die wichtigsten sind be- (z.B. bekommen), ent- (z.B. entscheiden), er- (z.B. erkennen), miss- (z.B. missachten), ver- (z.B. verstehen), zer- (z.B. zerbrechen).

Im Folgenden werden authentische mündliche Beispielsätze aus der Datenbank für Gesprochenes Deutsch mit der Software Praat grafisch dargestellt. Die Sätze werden zusätzlich nachgesprochen.

Trennbare Vorsilben sind immer betont, d.h. sie tragen den Wortakzent:

(3) „Die Bestellung ist nicht angekommen (Datenbank für Gesprochenes Deutsch, FOLK_E_00266_SE_01_T_01/c422)

In der Grafik ist die Satzmelodie abgebildet. In der Vorsilbe an- steigt der Ton zuerst an, dann fällt er wieder herunter. Das zeigt, dass die Vorsilbe an- betont ist.

Untrennbare Vorsilben sind dagegen unbetong, d.h. sie tragen keinen Wortakzent:

(4) „Da hab‘ ich Angst bekommen (Datenbank für Gesprochenes Deutsch, FOLK_E_00291_SE_01_T_03/c658)

In der Grafik ist die Satzmelodie abgebildet. In der Vorsilbe be- bleibt der Ton ungefähr auf derselben Höhe wie vorher. Das zeigt, dass die Vorsilbe unbetont ist. Den Wortakzent in bekommen trägt die mittlere Silbe -kom-. Hier fällt der Ton nämlich tief herunter.

In Kombination mit bestimmten Verben können einige Vorsilben sowohl betont/trennbar als auch unbetont/untrennbar sein. Hier einige Beispiele:

umgehen/umgehen

Lesen Sie die folgenden Beispiele und lösen Sie die Aufgabe:

(5) „Wenn er Vater wäre, würde er ruhiger mit den Kindern umgehen (…)“ (Datenbank für Gesprochenes Deutsch, FOLK_E_00178_SE_01_T_01/c535)

In (5) ist die Vorsilbe um- trennbar/betont. Innerhalb der Vorsilbe steigt der Ton an. Danach bleibt die Satzmelodie flach. Das zeigt, dass die Vorsilbe um- den Wortakzent trägt.

(6) „Gewisse Transporte könnten über die Autobahn Verviers-Prüm* fahren, aber durch die Maut** versucht man, das zu umgehen (…)“ (Datenbank für Gesprochenes Deutsch, FOLK_E_00337_SE_01_T_01/c140)
* Die Autobahn Verviers-Prüm verbindet die belgische Stadt Verviers mit der deutschen Stadt Prüm.
** Maut: Autobahngebühr.

1) Haben die Verben umgehen und umgehen in (5) und (6) die gleichen Ergänzungen (Subjekt, Objekt usw.?)
a) Ja.
b) Nein.
2) Haben die Verben umgehen und umgehen in (5) und (6) die gleiche Bedeutung?
a) Ja.
b) Nein.

1 b) Nein.
Das Verb umgehen in (5) hat drei Ergänzungen: Das Subjekt er, das Präpositionalobjekt mit den Kindern und das Adverbialkomplement ruhiger.
Das Verb umgehen in (6) hat zwei Ergänzungen: Das Subjekt man („Man versucht, dass man das umgeht“) und das Akkusativobjekt das.

2 b) Nein.
Das Verb umgehen in (5) hat die Bedeutung „jemanden auf einer bestimmten Art und Weise behandeln“. So bedeutet ruhiger mit den Kindern umgehen „die Kinder ruhiger behandeln“.
Das Verb umgehen in (6) bedeutet „ein Problem/ein Hindernis vermeiden“. In (6) wird wegen der Maut versucht, die Fahrt über die Autobahn zu vermeiden.

Die Verben umgehen und umgehen unterscheiden sich in der Betonung, in der Grammatik und in der Bedeutung. Die Unterschiede sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:
umgehenumgehen
BetonungVorsilbe betont/trennbarVorsilbe unbetont/untrennbar
Ergänzungen
  • Subjekt
  • Präpositionalobjekt
  • Adverbialkomplement
  • Subjekt
  • Akkusativobjekt
Perfektist umgegangenhat umgangen
Bedeutung„jemanden/etwas auf eine bestimmte Art und Weise behandeln“„ein Problem/ein Hindernis vermeiden“

umfahren/umfahren

Lesen Sie die Informationen über die Verben umfahren und umfahren in der Tabelle, dann lösen Sie die Aufgabe:

umfahrenumfahren
BetonungVorsilbe betont/trennbarVorsilbe unbetont/untrennbar
Ergänzungen
  • Subjekt
  • Akkusativobjekt
  • Subjekt
  • Akkusativobjekt
Perfekthat umgefahrenhat umfahren
Bedeutung„gegen etwas fahren, sodass es zu Boden fällt“„im Kreis um etwas herum fahren/im Bogen fahren, um ein Hindernis zu vermeiden“
Welche Sätze passen zum Bild? Zwei Antworten sind richtig:
a) Der LKW fährt den Baum um.
b) Der LKW umfährt den Baum.
c) Der LKW hat den Baum umgefahren.
d) Der LKW hat den Baum umfahren.

Die folgenden Sätze passen zum Bild:
a) Der LKW fährt den Baum um.
c) Der LKW hat den Baum umgefahren.

Im Bild fährt der LKW gegen den Baum und der Baum ist gerade dabei, zu Boden zu fallen.

übersetzen/übersetzen

Auch die Vorsilbe über- in den Verben übersetzen/übersetzen kann trennbar/betont oder untrennbar/unbetont sein.

Kennen Sie die Unterschiede zwischen übersetzen und übersetzen? Um sie herauszufinden, lösen Sie die folgenden Aufgaben:

Zu jedem Verb passt ein Bild. Ordnen Sie zu.

Das erste Bild passt zum Verb übersetzen („mündlich oder schriftlich in eine andere Sprache übertragen“).

Das zweite Bild passt zum Verb übersetzen („von einem Ufer ans andere fahren“).

Ergänzen Sie in den Beispielen die fehlenden Verbformen im Partizip II:
a) Wir haben nur die Fachbegriffe ins Deutsche _____________ (übergesetzt / übersetzt). (Berliner Zeitung, 12.11.2004, S. 24)
b) Sie schreibt Lyrik, Essays und Romane, und sie __________ aus dem Englischen und Französischen _____________ (setzt … über / übersetzt). (Hannoversche Allgemeine, 20.01.2020, S. 24)
c) "Wir haben unsere Gäste schon in der vorigen Saison abends selbst ___________ (übergesetzt / übersetzt), weil die offizielle Fähre Feierabend hatte" (Nordkurier, 21.03.2011)
d) Mit der Fähre sind sie ___________ (übergesetzt/ übersetzt) (…). (Rhein-Zeitung, 15.09.2005)

a) Wir haben nur die Fachbegriffe ins Deutsche übersetzt.
b) Sie schreibt Lyrik, Essays und Romane, und sie übersetzt aus dem Englischen und Französischen.
c) "Wir haben unsere Gäste schon in der vorigen Saison abends selbst übergesetzt, weil die offizielle Fähre Feierabend hatte"
d) Mit der Fähre sind sie übergesetzt (...).

Sind die folgenden Aussagen zu den grammatischen Eigenschaften von übersetzen/übersetzen richtig oder falsch? Lösen Sie die Aufgabe mithilfe der Beispiele a) bis d):
1) Beide Verben müssen immer mit Akkusativobjekt verwendet werden.
2) Beide Verben bilden das Perfekt immer nur mit haben.

Die Aussagen 1) und 2) sind beide falsch.

Die Aussage 1) ist falsch, denn:

  • in a) wird das Verb übersetzen mit Akkusativobjekt (nur die Fachbegriffe) verwendet, in b) aber nicht.
  • in c) wird das Verb übersetzen mit Akkusativobjekt (die Gäste) verwendet, in d) aber nicht.

Die Aussage 2) ist falsch. Das Verb übersetzen bildet das Perfekt:

  • mit haben, wenn es mit Akkusativobjekt verwendet wird – s. Beispiel (c).
  • mit sein, wenn es ohne Akkusativobjekt verwendet wird – s. Beispiel (d).
ZUR VERTIEFUNG: Weitere Informationen und Beispiele zu diesem Gramamtikthema finden Sie in der Grammatik in Fragen und Antworten.

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