Lesarten zu nominalen Wortbildungsprodukten

Die Nomenbildung des Deutschen ist besonders gut ausgebaut und wissenschaftlich besonders gut untersucht. Daher gibt es hier die meisten Vorschläge für Lesarten und die meisten Termini zur Bezeichnung solcher Lesarten.

Terminologisch als Wortbildungsprodukte erfasst und häufig thematisiert werden Nomina agentis beziehungsweise instrumenti, Nomina patientis, Nomina actionis beziehungsweise acti, Nomina qualitatis und Nomina loci.
Nomina agentis
Nomina instrumenti
lat. agens 'handelnd'
lat. instrumentum 'Werkzeug'
Redner
Hindernis
Heulsuse
Gebläse
Plattenspieler
Toaster
Nomina patientislat. patiens 'erleidend, erfahrend, affiziert'Lutschbonbon
Lutscher
Täufling
Nomina actionis
Nomina acti
lat. actio 'Handlung'
lat. actum 'das Getane'
Meldung
Rede
Rasur
Nomina qualitatislat. qualitas 'Beschaffenheit'Akuratesse
Anomalie
Schönheit
Nomina locilat. locus 'Ort'Backofen
Bäckerei
Wäscherei

Nomina agentis und Nomina instrumenti haben gemeinsam, dass sie Handelnde bezeichnen. Sie unterscheidet, dass sie einmal Bezeichnungen für Belebtes, einmal Bezeichnungen für Unbelebtes sind. Weil aber offenbar auch das Unbelebte als Handelnder wahrgenommen wird, werden beide hier in einer Gruppe zusammengefasst. Zudem sind viele Nomina dieses Typs je nach Kontext mal so, mal so zu lesen: Ein Bratkartoffelwender kann ein Küchengerät sein, aber auch eine am Herd stehende Person.

Auch Nomina actionis und Nomina acti werden hier in einer Gruppe zusammengefasst. Die Nomina dieser Gruppe können mal das eine, mal das andere ausdrücken. So ist bezeichnet Meldung, dass etwas gemeldet wird; außerdem kann mit Meldung auch ein Resultat, also das Gemeldethaben oder das Gemeldete bezeichnet werden.

Terminologisch als Verfahren erfasst und häufig thematisiert werden außerdem Diminution, Movierung und Negation.


Diminutionlat. diminuere 'in kleine Teile zersplittern, verkleinern'Kindlein
Kleinstkuss
Blutkörperchen
Movierunglat. movere 'bewegen, verändern'Lehrerin
Baronesse
Puter
Negationlat. negare 'verneinen'Missvergnügen
Unvermögen
Nichtabiturient

Bei der Diminution wird etwas als auffallend klein gekennzeichnet: Ein Kindlein ist ein kleines Kind. Überwiegend wird dabei positiv oder negativ konnotiert: Ein Kindlein ist ein süßes, herziges Kind; ein Romänchen ist ein minderwertiger Roman. Nur selten sind Diminutiva neutral, so etwa in der Fachsprache: Blutkörperchen, Ionenteilchen.

Die Movierung dient dazu, Bezeichnungen für Lebewesen zu explizieren hinsichtlich des biologischen Geschlechts des Bezeichneten, also des Sexus (vgl. dagegen Genus): Ein Puter ist eine männliche Pute, eine Antifeministin ist ein weiblicher Antifeminist.

Die Negation dient dazu, das Zutreffen einer Charakterisierung in Frage zu stellen: Ein Missvergnügen ist nicht das, was man sich unter einem Vergnügen vorstellt; Unvermögen ist kein Vermögen.

Neben diesen eingeführten Begriffen, die den Blick auf die semantischen Möglichkeiten der Wortbildung traditionell bestimmen, gibt es weitere präsente und frequente Lesarten.
ZugehörigkeitKruppianer
Postler
Tischbein
Besondere MerkmaleHenkelkorb
Illusionist
Rosinenkuchen
SubstanzArbeiterschaft
Gebüsch
Schafherde
VergleichHaarnadelkurve
S-Kurve
Zitronenfalter

Nomina werden durch eine Zugehörigkeit oder einen Besitzer charakterisiert: Ein Kruppianer ist eine durch das Suffix ianer bezeichnete Person, die zur Firma Krupp gehört; ein Rittergut ist ein Gut, das einem Ritter gehört.

Nomina werden durch besondere Merkmale charakterisiert: Ein Hängebauchschwein ist ein Schwein, das einen Hängebauch hat und sich dadurch von anderen Schweinen unterscheidet; ein Illusionist hat mindestens eine Illusion.

Nomina werden durch eine Substanz oder ein Kollektiv charakterisiert: Eine Arbeiterschaft ist eine durch das Suffix schaft bezeichnete Menge, die aus Arbeitern besteht (im Gegensatz zur Arbeitgeberschaft, die aus Arbeitgebern besteht); ein Gebüsch besteht aus Büschen.

Schließlich werden Nomina durch einen Vergleich charakterisiert: Eine S-Kurve sieht wie der Buchstabe S aus; ein Zitronenfalter ist gelb wie eine Zitrone. Inwiefern verglichen wird, legt das Weltwissen nahe. Vgl. Wortbildung - Sinn aus dem Chaos. Dabei ist die Bandbreite der Lesarten hier vermutlich besonders groß: Das Kompositum Mandelaugen könnte je nach Kontext außer auf die Form auch auf die zartbraune Farbe oder die Süße oder Bitternis von Mandeln anspielen. Mitunter werden auch gleich mehrere typische Eigenschaften der Vergleichsentität herangezogen: Ein Kind mit Apfelbäckchen ist ein Kind mit Bäckchen so rot und rund wie Äpfel. Nomina dieses Typs heißen auch Komparativa. Die Charakterisierung durch einen Vergleich gibt es bei allen drei Hauptwortarten gleichermaßen. Vgl. Einige Lesarten zu adjektivischen Wortbildungsprodukten und Einige Lesarten zu verbalen Wortbildungsprodukten.