Skopus und Stellung

Hier soll zunächst der semantischer Bezugsbereich (Skopus) der Verbgruppen-Adverbialia (VG-Adverbialia) beschrieben werden, dann stellungsbedingte Skopusvarianten und zum Schluss allgemein etwas zur Stellung der VG-Adverbialia.

Skopus

VG-Adverbialia können semantisch auf unterschiedliche Komplemente bezogen sein. Bei bestimmten VG-Adverbialia gibt es auch mehr als eine Lesart.

(1) Eiskalt hat er seinem Chef ein Bier über den Anzug gekippt.

Die naheliegendste Lesart besagt, dass er 'eiskalt' im Sinne von kaltblütig war, d.h. ohne eine mögliche Kündigung zu fürchten. Nach einer anderen könnte man auch eiskalt dem Bier als Temperatur zuschreiben. Eiskalt hat hier also einen variablen Komplementbezug. Diese beiden Lesarten werden nur durch den Inhalt gestützt nicht durch die Konstruktion. Denn in

(2) Kochendheiß hat er sich den Kaffee über die Hand geschüttet.

ist die Lesart, dass der Sprecher kochendheiß war, nicht möglich. Schließlich können auch zwei Lesarten gleich wahrscheinlich sein:

(3) Frech formuliert seine Antwort der mit allen Wassern gewaschene Angeklagte.

Ob hier der Angeklagte oder seine Antwort als frech charakterisiert werden soll, ist dem Zusammenhang nicht zu entnehmen. Es handelt sich bei diesem Satz also um eine strukturelle Mehrdeutigkeit. Diese muss der Hörer/Leser durch Interpretation auflösen.

Es geht also darum, den jeweiligen Skopus des VG-Adverbiales festzulegen. Wenn sich frech auf die Antwort beziehen soll, könnte die (etwas formalisierte) Interpretation so gehen: Das Prädikat formulierte wird zu frech formulierte erweitert. Dies ist - wie schon mehrfach gesagt - wieder ein Prädikat, das als nächsten Ereignisbeteiligten die Antwort als frech spezifiziert. Soll aber der Angeklagte als frech interpretiert werden, wird das Prädikat formulierte seine Antwort zu frech formulierte seine Antwort erweitert. Und dieses erweiterte Prädikat spezifiziert als nächsten Ereignisbeteiligten den Angeklagten.

Ob eine oder mehr als eine Lesart möglich ist, kann auch vom Verb abhängen:

(4) Kreidebleich traf ich meinen Abteilungsleiter auf dem Marktplatz.
(5) Kreidebleich begegnete ich meinem Abteilungsleiter auf dem Marktplatz.

Offensichtlich bedingt die Bedeutung von treffen, dass sich kreidebleich sowohl auf das Subjekt ich als auch auf das Akkusativkomplement meinen Abteilungsleiter beziehen kann. In (5) ist nur der Subjektbezug möglich.

Stellungsbedingte Skopusvarianten

Hier soll es darum gehen, inwieweit "bei normaler, unmarkierter Satzintonation" unterschiedliche Stellung des VG-Adverbiales und unterschiedlicher Komplementbezug zusammenhängen. Zunächst bei Sätzen mit zweiwertigen Verben, also solchen, die Subjekt und Akkusativkomplement haben.

Generell gilt, dass sich VG-Adverbialia auf das am nächsten links stehende Komplement beziehen. Der Satz (1a) hat demnach die Lesart, dass die Kinder erschöpft sind und (1b), dass der Vater erschöpft ist.

(1a) Am Abend brachte der Vater die Kinder erschöpft ins Bett.
(1b) Am Abend brachte der Vater erschöpft die Kinder ins Bett.

Die strukturunterscheidende Wirkung der Stellung ist aber nicht gleich stark. In (1b) kann sich das VG-Adverbiale vor dem Akkusativkomplement immer auf das vorausgehende Subjekt beziehen, während in (1a) zwar der Akkusativbezug der wahrscheinlichere ist, Subjektbezug aber nicht ausgeschlossen ist. Eine noch größere Interpretationsbreite zeigen die Beispiele mit folgenden Stellungsvarianten:

(2a) Er formulierte frech seine Antwort.
(2b) Er formulierte seine Antwort frech.
(2c) Frech formulierte er seine Antwort.
(2d) Seine Antwort formulierte er frech.

In (2b) kann sich frech auf das Subjektkomplement beziehen, wenn frech betont und davor eine Pause ( | ) gesetzt wird. Dies entspricht etwa dem Einfügen von und zwar an dieser Stelle

(2b) Er formulierte seine Antwort | frech.
(2b') Er formulierte seine Antwort, und zwar frech.

Ein VG-Adverbiale muss auch dann auf das Subjekt bezogen werden können, wenn es, bedingt durch die Form der Komplemente, seine 'regelgerechte' Position nicht einnehmen kann. Das ist der Fall, wenn beide Komplemente als Anaphern, also pronominal erscheinen:

(5) Am Abend brachte er sie erschöpft ins Bett.

Ein möglicherweise beabsichtigter Subjektbezug kann hier nicht durch die Stellung deutlich gemacht werden, da Anaphern keine anderen Einheiten vor sich zulassen:

(5') * Am Abend brachte er erschöpft sie ins Bett.

Sätze wie (5) haben also notwendigerweise zwei Lesarten.

Bei Sätzen mit dreiwertigen Verben komplizieren sich die Zusammenhänge zwischen Stellung und Komplementbezug. Betrachten wir zunächst die oft als unmarkiert bezeichnete Abfolge Dativkomplement - Akkusativkomplement - Verb in Verbletztsätzen. Folgende Varianten können vorkommen:

(6a) (weil) er hungrig dem Löwen das Lamm zum Fressen gab.
(6b) (weil) er dem Löwen hungrig das Lamm zum Fressen gab.
(6c) (weil) er dem Löwen das Lamm hungrig zum Fressen gab.

Die Sätze (6a) und (6b) besagen, dass 'er' hungrig war, (6c) dagegen, dass das Lamm hungrig war. Da dem Löwe Dativkomplement ist, gibt es keine Lesart, bei der der Löwe hungrig ist, weil sich VG-Adverbialia nie auf Dativkomplemente beziehen können. In (6b) wäre von der Stellung her dem Löwen das Komplement, auf das sich hungrig eigentlich beziehen müsste. Als Dativkomplement scheidet es aber dafür aus. Der Regelkonflikt wird durch die übergeordnete Regel gelöst, dass sich ein VG-Adverbiale überhaupt nur auf ein Subjekt- oder ein Akkusativkomplement beziehen kann.

Bei der Reihenfolge Akkusativkomplement >> Dativkomplement gibt es folgende Varianten:

(6d) (weil) er hungrig das Lamm dem Löwen zum Fressen gab.
(6e) (weil) er das Lamm hungrig dem Löwen zum Fressen gab.
(6f) ?(weil) er das Lamm dem Löwen hungrig zum Fressen gab.

In (6d) ist 'er' und in (6e) 'das Lamm' hungrig. (6f) ist - wohlgemerkt bei unmarkierter Intonation - weniger akzeptabel. Wenn überhaupt ein Bezug möglich ist, dann nicht auf dem Löwen. Am ehesten vielleicht auf das Subjekt er.

Stellung

Als Modifikatoren von (Ereignis-)Prädikaten stehen VG-Adverbialia gemäß dem sogenannten Adjazenzprinzip unmittelbar vor dem Prädikatsausdruck. D.h. sie stehen im rechten Randbereich des Mittelfelds. Sie stehen also z.B. vor den nicht-verbalen Teilen von Funktionsverbgefügen (1). Sie können auch vor Adverbialkomplementen (2) und Präpositivkomplementen (3) stehen:

(1) Ein guter Chef sollte zwischen extremen Positionen genau die Waage halten.
(2) Sie hatte einige Monate zuvor ihre beiden Kinder heimlich ins Ausland gebracht.
(3) Der Kanzler hatte dringend vor einer Verzögerung gewarnt.

Die relative Position des Negationssupplements, meist in der Form der Partikel nicht zu einem VG-Adverbiale ist folgende: nicht steht immer unmittelbar vor dem VG-Adverbiale:

(4) Schnier, rief er flehend, "glauben Sie mir wenigstens, daß ich's Ihnen nicht gern sage." (LBC, 159)
(5) Beim zweiten Test hat die Notabschaltung nicht einwandfrei funktioniert.

Es kann keine andere Einheit zwischen nicht und VG-Adverbiale stehen (aber natürlich Erweiterungselemente wie nicht ganz einwandfrei):

(6) * Beim zweiten Test hat nicht die Notabschaltung einwandfrei funktioniert.

Die Festigkeit der Abfolge Negationssupplement >> VG-Adverbialsupplement lässt sich an folgendem Beispiel zeigen:

(7) Er hatte (fest) mit dem Geld (fest) gerechnet.
(8) Er hatte (nicht) mit dem Geld (nicht) gerechnet.

Das jeweilige Supplement kann also vor oder hinter dem Präpositivkomplement stehen. Treten aber die beiden zusammen auf, dann gehen sie eine feste Verbindung ein:

(9) Er hatte (nicht fest) mit dem Geld (nicht fest) gerechnet.

Die feste direkte Abfolge dieser beiden Supplementtypen kann man wie folgt erklären: Der Skopus von nicht erstreckt sich zwar über den ganzen Satz, aber bei einem modifizierten Prädikatsausdruck wird vorrangig eben diese Modifikation negiert.