Eigenschaften minimaler Prädikate
Stelligkeit minimaler Prädikate
Während maximale Prädikate stets genau ein Argument haben, unterscheiden sich minimale Prädikate untereinander hinsichtlich der Anzahl der Argumente, die sie haben können: Es gibt minimale Prädikate mit nur einem Argument, einen Typus, bei dem deshalb maximales und minimales Prädikat identisch sind. Daneben gibt es Prädikate mit zwei, drei und sogar mehr Argumenten.
Doris | erlebt | die neue Frische. |
Der Wind | hat | mir | ein Lied | erzählt. |
Der Anwalt | nannte | den Zeugen | eine Ratte. |
Die Landschaft | erinnert | mich | an meine Heimat. |
Der Chef | lässt | seine Mitarbeiter | das für sie Nützliche | mit dem für ihn Angenehmen | verbinden. |
Die Zahl der Argumente eines Prädikats entspricht bei elementaren Prädikaten der Valenz der Vollverben bzw. der Adjektive oder Substantive, die mit einem Kopulaverb den Prädikatsausdruck bilden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass als Kopulaverben und Nominalisierungsverben fungierende Verben stets eine Valenz haben, die um eine Einheit höher ist als die Stelligkeit des entsprechenden Prädikats, weil sie erst ein Prädikativkomplement anbinden müssen, um überhaupt Prädikatsausdrücke bilden zu können.
Die Stellenzahl komplexer Prädikate errechnet sich in der Regel wie die Stellenzahl von ihnen herleitbarer elementarer Prädikate, weil Modalisierung und Modifikation ohne Wirkung auf die Anzahl der Argumente sind. Die Ausnahme bilden so genannte lassen-Prädikate, wie etwa in dem oben stehenden Beispiel. Diese Prädikate bringen gewissermaßen einen zusätzlichen Gegenstand ins Spiel, der veranlaßt oder auch nur gestattet, was im Übrigen ausgeführt wird. Die Hinzunahme von lassen erhöht mithin die Stelligkeit genau um eins.
Eigenschaften der Argumentstellen
Allein die Anzahl der Argumentstellen besagt noch nichts über die besondere Charakteristik, die ein n-stelliges Prädikat aufweisen kann. Eine einfache Umstellprobe bei einer kommunikativen Minimaleinheit mit einem bestimmten mehrstelligen Prädikatsausdruck zeigt aber sofort, dass nicht allein die Anzahl der Argumentstellen signifikant ist, sondern ebenso die besonderen Eigenschaften der einzelnen Argumentstellen. Diese sind im Ausdruck typischerweise, jedoch nicht immer, über eine morphologische Markierung oder eine vom Verb selektierte Präposition zu identifizieren.
Dadurch sind sie zunächst einmal als verschieden zu erkennen, auch wenn die lineare Abfolge im Ausdruck variieren kann. Aber das allein wäre bedeutungslos, wenn sie damit nicht auch als bestimmte Argumentstellen ausgewiesen wären, an denen ein bestimmter Bedarf an Spezifikation zu erfüllen ist. Dieser Bedarf an Spezifikation wird bestimmt durch die Bedeutung des Prädikats.
Eine identische ausdrucksseitige Markierung von Argumentstellen verschiedener Prädikate bedeutet nicht, dass damit auch identische semantische Rollen - sogenannte Charakterisierungsdimensionen - der Argumente gegeben sind. Rollenverschiedenheit zeigt bereits der Fall einstelliger Prädikate.
Martin sündigt.
Martin isst.
Martin ist ein Esel.
Die semantische Rolle des mit Martin formulierten Arguments wird durch das jeweilige Prädikat bestimmt. Eine gewisse Verallgemeinerung der semantischen Rollen ist jedoch möglich, wenn man die Verifikationsregeln von Prädikaten zueinander in logische Beziehungen setzt: Man kann alle Prädikate, deren Verifikationsbedingungen die Verifikationsbedingungen eines bestimmten Prädikats implizieren, als eine Klasse zusammenfassen und die semantischen Rollen ihrer Argumente über die Rollen der Argumente des implizierten Prädikats bestimmen.
Ein Beispiel:
Die Prädikate, die mit essen und
trinken zu formulieren sind, implizieren jeweils das Prädikat, das mit zu
sich nehmen zum Ausdruck zu bringen ist. Man kann deshalb für den Erstbereich dieser
Prädikate eine semantische Rolle Zusichnehmender, für den Zweitbereich eine Rolle Zusichgenommenes
bestimmen.
Probleme bei der Bestimmung semantischer Rollen
Die Rollen, die hier anhand der Beispiele bestimmt werden, sind natürlich ad hoc, und es ist sicher möglich, weit allgemeinere Rollen zu bestimmen. Schon die exemplarisch vorgenommene Verallgemeinerung wird aber nur um den Preis einer Verwischung dessen erreicht, was Essen und Trinken zu besonderen Formen des Zusichnehmens macht. Solche Verwischung kann in Kauf genommen werden, wo es allein darum geht, Gemeinsamkeiten zwischen Prädikaten zu betonen oder eine ungefähre Aufklärung über die semantischen Rollen zu geben. In der Einheit Dimensionen einer Charakterisierung durch Prädikate wird unter diesem Aspekt eine Klassifikation von Prädikaten vorgestellt, die sicher für praktische Zwecke nützlich sein kann, deren Erklärungswert aber prinzipiell nicht weiter reichen kann als etwa der Erklärungswert der Feststellung, dass Löwen Säugetiere sind.
Problematisch wird die Bestimmung semantischer Rollen, wenn sie sich nicht mehr auf Verallgemeinerungen stützt, die jederzeit über Implikationsbeziehungen zu rechtfertigen sind, sondern Annahmen macht über ein - eventuell kognitiv oder genetisch begründetes - Inventar möglicher Rollen, die dann zur Beschreibung der Bedeutungsstruktur von Prädikaten herangezogen werden sollen. Ein solches Verständnis semantischer Rollen führt entweder zu einer petitio principii oder zu reiner Spekulation, die fundamentalen Ansprüchen an wissenschaftliche Theorien nicht genügt.