Komplexe Prädikate
Auf elementaren Prädikaten, die im Alltag sicher die wichtigsten und meist genutzen Mittel der Charakterisierung darstellen, bauen verschiedene Typen komplexer Prädikate auf. Zu unterscheiden sind dabei:
1. Lassen-Prädikate
Als erste Klasse komplexer Prädikate sind die lassen- oder machen-Prädikate zu betrachten, die am besten exemplarisch vorzustellen sind.
(Die Zeit 30. 10.2003, o. S.)
Mit Geld lassen wir uns nicht bestechen.
(die tageszeitung 5.4.1989, 17)
Es macht mich lachen, aber es ist ein bitteres Lachen darüber, was sich die meisten Leute bieten lassen.
(www.freitag.de/2003/01-02)
Unverkennbar ist die Nähe dieser Prädikate einerseits zu Funktionsverbfügungen, andererseits zu Prädikat-und-Argument-Ausdrücken mit einer Infinitivkonstruktion als Ergänzung. Wie kausative Funktionsverbfügungen umfassen die Ausdrücke für lassen-Prädikate ein Element, das einen eigenständigen Bedeutungsbeitrag im Rahmen der Konstruktion leistet: machen bringt ein Verursachen oder Herbei-führen-lassen, ein Veranlassen oder Zulassen zum Ausdruck. Welche der Optionen jeweils zu wählen ist, kann nur mit Rücksicht auf den Kontext entschieden werden. Anders als im Fall der Funktionsverbfügungen operiert das kausativierende bzw. permittierende Element dabei aber auf einen Ausdruck, der selbst schon geeignet wäre, eine n-stellige Relation zu artikulieren, und bildet daraus einen Ausdruck für eine n+1-stellige Relation. Die Verifikationsregel für diese n+1-stellige Relation ist dann insofern als komplex anzusehen, als sie eine Verifikation in mindestens zwei Schritten erforderlich macht.
Diese Sicht der Verhältnisse bei lassen-Prädikaten geht davon aus, dass es sich in jedem Fall um ein Prädikat und nicht etwa um Argument und Prädikat handelt. Diese Auffassung ist aber nicht unbedingt und ohne weiteres einleuchtend. Immerhin können diese Prädikate so paraphrasiert werden, dass das kausativierende bzw. permittierende Element bei im Übrigen ziemlich ähnlicher Konstruktion durch ein Vollverb artikuliert wird.
Peter lässt Hermann Paul besuchen.
Peter erlaubt Hermann, Paul zu besuchen.
Ist also die Kausativierung bzw. Permittierung gar keine Operation auf ein Prädikat, sondern selbst ein Prädikat? Um ein Prädikat zu sein, müßte sie durch ein Vollverb artikuliert werden, so wie das bei diesen Paraphrasen der Fall ist. Das ist aber bei lassen offenbar nicht der Fall. Zwar existiert ein Vollverb lassen, das semantisch dem kausativierenden oder permittierenden lassen nahesteht, aber dieses Vollverb hat erkennbar eine andere Bedeutung:
Die Katze lässt das Mausen nicht.
Lassen Sie bitte das Rauchen.
Laßt ihr doch das kleine Vergnügen!
Peter lässt seiner Tante den Vortritt.
Als zweiwertiges Vollverb bedeutet lassen in etwa soviel wie unterlassen, als dreiwertiges soviel wie nicht wegnehmen oder überlassen. Keine dieser Bedeutungen kann aufrechterhalten werden, wenn für das als Akkusativkomplement realisierte Argument ein erweiterter Infinitiv eingesetzt wird, wie es im Fall der Kausativierung bzw. Permittierung auftritt. Auch entspricht das als Dativkomplement realisierte Argument beim dreiwertigen lassen nicht dem vermeintlichen Zweitargument im Fall der Kausativierung bzw. Permittierung.
Die Kausativierung bzw. Permittierung mit lassen unterliegt keiner semantischen Beschränkung, wenn man einmal von einer Iterierung absieht. Jedes einfache oder komplexe Prädikat kann dieser Operation unterzogen werden. Es gibt Fälle, in denen Kausativierung oder Permittierung wenig oder keinen Sinn zu machen scheint, doch dies muss nicht eigens als Selektionsbeschränkung aufgeführt werden: So sind eben falsche Propositionen zu formulieren, die man jedoch sehr wohl verstehen kann.
2. Modalisierte Prädikate
Eine weitere Klasse komplexer Prädikate bilden modalisierte Prädikate.
(Joachim Król, Best of Leute 99, SWR1)
Ich will ein Reiter werden.
(www.textgalerie.de/archiv/gedichte/georg_trakl/kaspar_hauser_lied.htm)
Ich wollte Marie zurückhaben und hatte angefangen zu kämpfen, auf meine Weise, nur um der Sache willen, die in ihren Büchern als "fleischliches Verlangen" bezeichnet wird.
(LBC, 47 - gelesen vom Autor)
Jimmy Hendrix ist sehr früh gestorben. War er - ähm, ich weiß nicht ob ich Sie sozusagen da als Hobbypsychologen überhaupt bemühen darf- aber war er vielleicht einfach für dieses harte Geschäft nicht hart genug?
(Wolfgang Heim im Gespräch mit Frank Elstner, Best of Leute 99, SWR1)
Sie möchten selbst aktiv Mitglieder unter Ihren Kolleginnen und Kollegen für die GEW werben? Hier können Sie den Flyer mit den aktuellen Werbeprämien anfordern.
(www.gew-berlin.de/blz/2119.htm)
Welche Zugangsvoraussetzungen sind zu erfüllen?
(www.staufenbiel.de/frameset_extra.asp?stb01/mba/mba_03.asp)
Ein solches Verhalten brauche sich ein Vorgesetzter nicht bieten lassen. Die Abmahnung sei daher gerechtfertigt gewesen.
(www.news-vnr.de/archiv/2003/08/newsletter_2003_08_27.html)
Die Beispiele sind nicht so zu verstehen, als läge immer auch ein modalisiertes Prädikat vor, wo ein Modalverb oder eine ihm entsprechende Phrase auftritt. Wenn von einer Modalisierung des Prädikats gesprochen werden kann, ist dem bereits eine erste Interpretation der entsprechenden Ausdrucksstrukturen vorausgegangen, die sich oft allein auf eine Auswertung der Redehintergründe stützen konnte.
Modalisierungen, die mit Modalverben und ihnen funktional entsprechenden Ausdrücken vorzunehmen sind, können sich grundsätzlich allein auf das Prädikat oder aber auf die Proposition insgesamt beziehen. Wie eine gegebene Modalisierung zu interpretieren ist, kann hier nur exemplarisch gezeigt werden. So kann eine kommunikative Minimaleinheit wie die folgende verschieden interpretiert werden.
Es ist so, dass die Leute schlafen müssen.
Es muss so sein, dass die Leute schlafen.
Nur bei einer Interpretation im Sinn der ersten Paraphrase kann man von einer Modalisierung des Prädikats reden. Die hier vorgenommene Paraphrasierung kann helfen, die Richtigkeit einer solchen Interpretation auszuweisen: Wo die gesamte Proposition modalisiert wird, muss es möglich sein, die Modalisierung gewissermaßen aus der Proposition herauszuverlagern, wie dies bei der zweiten Paraphrase geschieht.
Wird auf Modalisierung des Prädikats erkannt, wirkt sich das auf die Einschätzung der Verifikationsregel des Prädikats aus: Die Wahrheitsbedingungen des als - erweiterter - Infinitiv realisierten Basisprädikats gehen in das modalisierte Prädikat ein als Spezifikation dessen, was gemusst, gesollt, gekonnt, gewollt wird. Die Verifikationsregel des modalisierten Prädikats besagt, dass ein Müssen, Sollen, Können, Wollen vorliegen muss, wenn ein solches Prädikat als zutreffend erkannt werden soll. Wird auf Modalisierung der Proposition erkannt, bleibt die Verifikationsregel des Prädikats davon unberührt, und die modalisierende Phrase ist nur insoweit dem Prädikatsausdruck zuzurechnen, wie sie auch Hilfsverbfunktion erfüllt.
3. Spezifizierte Prädikate
Komplexität ganz anderer Art liegt vor bei spezifizierten Prädikaten. Unter spezifizierten Prädikaten werden hier Prädikate verstanden, die eine Art Feinabstimmung eines bereits vollständigen Prädikats darstellen, in dem Sinne, dass ein Zutreffen des spezifizierten Prädikats stets das Zutreffen des unspezifizierten Prädikats impliziert:
Der Dieb drang lautlos in das Haus ein.
Er kann Klavier spielen.
Er kann bezaubernd Klavier spielen.
Sie brachte die Suppe herein.
Sie brachte die Suppe heiß herein.
Häufig finden entsprechen den spezifizierter Prädikate einfache Prädikate, bei denen der spezifizierte Aspekt gleichsam integriert ist, so etwa hier:
Ein Prädikat kann gleich in verschiedenen Hinsichten spezifiziert werden.
Die Nächte lagen schwer und beängstigend über der Stadt.
Dabei ist zu beachten, dass Ungleichartiges oft nur um den Preis, komisch zu wirken, zusammengebracht werden kann.
Schnell und zufriedenfuhren sie nach Hause.
Hier hilft es manchmal, die Spezifikation an verschiedenen Positionen in der linearen Abfolge zu platzieren.
Die Mittel der Spezifikation variieren mit dem Bau der Prädikatsausdrücke. Auch die Ansatzpunkte für die Spezifikation sind bei komplexen Prädikatsausdrücken verschieden. Wird das Prädikat durch ein Vollverb ausgedrückt, erfolgt die Spezifikation adverbial:
Der Motor läuft wie am Schnürchen.
Das Buch verkauft sich gut.
Ihr irrt euch sehr.
Bei Verbalperiphrasen zum Ausdruck bestimmter Tempora sind dieselben Spezifikationen möglich. Ansatzpunkt ist dann der Infinitiv oder das Partizip. Die Hilfsverben können nicht auch noch ihrerseits spezifiziert werden. Dasselbe gilt für Kopulaverben. Hier setzt die Spezifikation bei dem Teil an, der als Adjektiv, Substantiv oder Adverbiale realisiert ist.
Friedrich warganz König.
Ludwig warfurchtbar aus dem Häuschen.
Bei Nominalisierungsverbgefügen ist es oft nicht möglich, einen semantischen Ansatzpunkt für die Spezifikation auszumachen:
Sorgfältig unterzogen sie die Sache einer Prüfung.
Man kann hier schwerlich feststellen, ob das Geben oder der Bescheid, das Unterziehen oder die Prüfung ursprünglich modifiziert wird, wohl weil das Verb kein Vollverb ist, aber doch mehr als nur Kopula oder Hilfsverb.
Bei Modalverbgefügen kann sowohl die Modalisierung als auch das Basisprädikat spezifiziert werden.
Moritz will unbedingt Schweinswürstel essen.
Kochen kann meine Oma hervorragend.
Sag ihr, sie soll schnell machen.
Ich möchte gern gut schreiben können.
Schnell lesen möchte ich unbedingt gut können.
Auch lassen-Prädikate können spezifiziert werden. Dabei kann allerdings nur das Basisprädikat oder das gesamte Prädikat spezifiziert werden. Eine alleinige Spezifikation des Kausativierungs- bzw. Permittierungsverbs ist nicht möglich.
Schnell lässt sie noch ihr Taschentuch fallen.
Bedenkenloslässt der Diktator seine Gegner foltern.
Wird in einen Prädikatsausdruck ein Ausdruck aufgenommen, der in der Regel modifizierende Wirkung hat, so liegt meist auch eine Spezifikation des Prädikats vor. Es gibt allerdings weitgehend phraseolexematische Ausnahmen. In diesen Fällen ist der Schluß vom - vermeintlich - spezifizierten Prädikat auf das unspezifizierte Prädikat nicht oder nicht unbedingt möglich.
Thomas ist ein armes Schwein.
Die Ergebnisse waren gut.
Die Ergebnisse waren ganz gut.
Sein Vater war Soldat.
Sein Vater war ein alter Soldat.
Neben diesen Abweichungen von der Grundregel der Spezifikation, die durch Idiomatisierung bedingt sind, ist noch festzuhalten, dass es eine Reihe von Adverbialia gibt, deren Bedeutung eine Anwendung dieser Regel blockiert, weil sie nicht zu einer Feinabstimmung dienen, sondern dazu, von dem mit dem Prädikat Gesagten Abstriche zu machen. Wir gehen in solchen Fällen nicht von einer Modifikation des Prädikats aus, sondern von einer Einschränkung oder gar Negation des Geltungsanspruchs, der für die Proposition eingebracht wird. Die Besonderheit dieser Modifikation besteht darin, dass der Eintritt des mit dem Prädikat Gesagten zu erwarten gewesen wäre.
Er hatte so gut wie gewonnen.
Sie hatten die Mauer fast überwunden.
Damit kannst du bestenfalls einen Blumentopf gewinnen.