Identifikation von Pradikaten

So, wie kommunikative Ausdruckseinheiten gebildet werden, reicht die Bestimmung des Pradikats als zentrales Charakteristikum einer Proposition nicht aus, um in beliebigen Sequenzen die jeweiligen Pradikate zu identifizieren. Man wei? soweit gerade so viel: Es muss etwas geben, das als Charakteristikum auf etwas zu beziehen ist.

Forschungsthesen

In der Tradition von Logik und Grammatik wurde diese notwendige Bedingung bis in neuere Zeit so gedeutet, als gabe es in jeder Proposition genau einen Gegenstand oder einen Verband von Gegenstanden, auf den ein Pradikat angewandt werde, und diesen bezeichnete man als Subjekt. Was als Pradikat zu identifizieren ist, ergibt sich dann durch Subtraktion: Was nicht Subjekt ist, kann als Pradikat gelten.

Die traditionelle Auffassung ist in verschiedener Hinsicht problematisch und blieb auch nicht unbestritten. In der Logiktheorie hat gegen Ende des 19. Jahrhunderts Gottlob Frege eine alternative Betrachtungsweise entwickelt, die neben der Charakterisierung jeweils nur eines Gegenstands auch Charakterisierungen von Beziehungen zwischen mehreren Gegenstanden kennt und Pradikate entsprechend so definiert, dass sie anstelle des einen Arguments 'Subjekt' auch mehrere, dem Subjekt gleichgestellte Argumente haben konnen.

In der Grammatiktheorie hat sich im Anschluss an Lucien Tesniere eine Schule gebildet, die so genannte Valenzgrammatik, die, weitgehend analog zu Freges Analyse, auch das traditionelle Subjekt-Pradikat-Schema aufgab und stattdessen von n-wertigen Verben mit einer entsprechenden Zahl von Erganzungen spricht.

Tesnieres Ansatz geht in einer Hinsicht, die fur die Analyse gewachsener Sprachen wichtig ist, uber Frege hinaus: Als Logiker halt sich Frege weitgehend an Satze, die tatsachlich nur Pradikat und Argumente umfassen. Tesniere erkennt im Satz mehrere Argumente ('actants') und unterscheidet sie zugleich von solchen Einheiten, die nicht durch die Valenz des Verbs gefordert sind. Diese Einheiten bezeichnet Tesniere als 'circonstants', in GRAMMIS werden sie unter syntaktischem Aspekt als 'Supplemente', unter kommunikativ-funktionalem Aspekt zusammenfassend als 'aufbauende Operationen' bezeichnet. Sie finden sich oft und zahlreich in taglicher Rede und konnen, wie im Folgenden zu zeigen ist, in keinem Fall dem Pradikat zugerechnet werden.

Diskussion der Forschungsthesen

Die Analogie beider Analysen ist nicht vollstandig, was leicht zu Irritationen fuhren kann: Verben sind nicht gleichzusetzen mit Pradikatsausdrucken und schon gar nicht mit Pradikaten. Verben sind allerdings zentrale Bestandteile aller Pradikatsausdrucke, wenn man von nicht-finiten kommunikativen Ausdruckseinheiten absieht wie Ein ziemliches Chaos, was du da angerichtet hast.

Die Valenz eines Verbs geht jedoch nicht in allen Fallen unmittelbar auf die Pradikate uber. Die Idee einer Verbvalenz stellt eine Generalisierung des logischen Konzepts dar, die nicht beim Verhaltnis von Pradikat und Argumenten stehen bleibt, sondern die Erganzungsbedurftigkeit, die Frege dort festgestellt hat, schon im Verhaltnis des Verbs zu seinen Komplementen sieht.

Was bei oberflachlicher Betrachtung verwirren kann, ist der Umstand, dass Pradikate haufig mit genau einem Verb artikuliert werden konnen und dass die Argumente dieser Pradikate im Ausdruck als Komplemente des Verbs realisiert werden. Es kann aber sein, dass Erganzungsbedurftigkeit eines Verbs auch da gegeben ist, wo dieses Verb auf sich gestellt noch gar nicht als Pradikatsausdruck zu gebrauchen ist. Das ist etwa bei den folgenden Verben - sogenannten Kopulaverben - der Fall:

Peter wird Grafiker.
Ein Dummkopf bleibt halt ein Dummkopf.
Sie ist Schneiderin.

Um Irritationen moglichst zu vermeiden, wird deshalb hier so verfahren:

Im Zusammenhang mit der Analyse von Propositionen ist hier stets von der Stelligkeit von Pradikaten sowie von Argumenten und Argumentstellen die Rede, wahrend Verben eine Valenz oder Wertigkeit zugesprochen wird, die sich auf Komplemente bezieht.

Fazit

Grundsatzlich gibt es nicht die eine richtige Antwort auf die Frage, was das Pradikat sei. Was als Pradikat betrachtet werden soll, ist Gegenstand theoriegeleiteter Definitionen. Diese Definitionen sind nicht vollig frei. Ihre Grenzen sind gesetzt durch die beiden oben genannten Positionen: Die traditionelle 'Subjekt-Pradikat'-Position bestimmt die gro?tmogliche Ausdehnung des Pradikats, die 'Frege'-Position bestimmt, was mindestens zum Pradikat zu rechnen ist. Um diese Grenzen zu markieren, sprechen wir im ersten Fall von einem 'maximalen Pradikat', im zweiten Fall von einem 'minimalen Pradikat'.

Maximales und minimales Pradikat

1.
Ein Pradikat gilt als maximal, wenn es mit Ausnahme des Subjektarguments alle Komponenten der Elementarproposition umfasst.
2.
Ein Pradikat gilt als minimal, wenn alle Komponenten der Elementarproposition mit Argumentstatus ausgegrenzt wurden.

Siehe im Einzelnen Bestimmung maximaler Pradikate und Bestimmung minimaler Pradikate.

Problematik der Identifikation von Pradikaten

Die Bestimmung des zentralen Pradikats im Rahmen einer Proposition stellt Horer wie Leser vor verschiedene Schwierigkeiten unabhangig davon, ob das Pradikat als ein maximales oder ein minimales bestimmt werden soll. Zuerst zu nennen sind hier Schwierigkeiten, die bei der Bestimmung der Proposition insgesamt auftreten. Zu einem Diktum gehoren haufig Redeteile, die nicht der Proposition zuzurechnen sind. Selbst wenn alles, was nicht zur Proposition gehort, ausgefiltert wurde, konnen Spezifikationen darin verbleiben, die nicht dem Kernbestand der der Elementarproposition angehoren. Erst wenn auch diese Spezifikationen ausgeblendet sind, sind die Voraussetzungen fur eine Bestimmung des Pradikats geschaffen.

Die Behauptung, Pradikate seien uber Elementarpropositionen zu bestimmen, mag irritieren, wenn man sich daran erinnert, dass Pradikate auch komplex sein konnen, was dazu fuhrt, dass auch die entsprechenden Proposition in gewisser Weise komplex sind. Diese Komplikation ist auf Rekursion im Aufbau kommunikativer Ausdruckseinheiten zuruckzufuhren. So enthalt etwa ein Pradikatsausdruck, der von einem Kopulaverb und einer Nominalphrase gebildet wird, auf unterer Hierachie-Ebene einen ganzen Satz, wenn im Rahmen dieser Nominalphrase ein Attributsatz auftritt, etwa so:

Er war Schuler des Albert Schweitzer Gymnasiums, das in den neunziger Jahren geschlossen wurde.

Man kann dieses Problem auf zweierlei Weise losen: Man kann bestimmen, dass nur solche Propositionen als elementar gelten sollen, die keinerlei rekursive Strukturen einschlie?en, oder man kann bestimmen, dass Rekursionen, die im Rahmen von Komponenten einer Proposition auftreten, nicht auf die Proposition durchschlagen. Hier wird die zweite Losung gewahlt: Strukturen werden dann als elementar betrachtet, wenn sich auf ihrer obersten Ebene keine Rekursion findet.

Um die Betrachtung nun aber nicht zu komplex werden zu lassen, beschrankt sich die folgende Bestimmung von Pradikaten weitgehend auf elementare Pradikate. Eine Bestimmung komplexer Pradikate wird in der Einheit Komplexe Pradikate konstruktiv gegeben.

Proben zur Identifikation von Pradikaten

Zur Identifikation der Elementarproposition ist in einer Serie von Versuch und Irrtum der Ausdruck einer gegebenen Proposition jeweils um eine bestimmte Ausdruckskette zu reduzieren, um uberprufen zu konnen, ob

  1. der reduzierte Ausdruck noch als Ausdruck einer Proposition gelten kann, ohne dass in irgendeiner Weise doch auf die eliminierte Information zuruckgegriffen werden muss,
  2. die ursprungliche Proposition als eine Konjunktion von Propositionen paraphrasiert werden kann, die so auszudrucken ist: p' und das X, wobei p' fur die reduzierte Proposition steht und X fur die Ausdruckskette, um die sie reduziert wurde, und das anadeiktische das sich auf die reduzierte Proposition insgesamt bezieht.

Probe (a)

Probe (a) scheint auf den ersten Blick weitgehend einem in der Grammatiktheorie bekannten, oft als 'Abstrichprobe' bezeichneten Verfahren zu entsprechen. Beide Proben unterscheiden sich aber in ihren Erfolgskriterien. Die Abstrichprobe, wie sie etwa im schulischen Sprachunterricht gehandhabt wird, pruft, ob ein Ausdruck als Satz oder, wenn man die Kategorien dieser Grammatik zugrunde legt, als kommunikative Ausdruckseinheit gelten kann. Dabei erscheint im Prinzip alles als akzeptabel, was unter irgendwelchen Voraussetzungen als solche Einheit gebraucht werden kann. Dass in der Praxis dann doch die gewunschten vollstandigen Satze gefunden werden, ist auf normative Eingriffe zuruckzufuhren. Die Propositionsreduktionsprobe fordert dagegen autonome Verstehbarkeit. Was nur vor dem Hintergrund des Kontextes, der gegebenen Situation oder gemeinsamen Wissens zu verstehen ist, scheidet aus. Ein Restausdruck wie dem Vorstand kann zwar unter geeigneten Umstanden als kommunikative Ausdruckseinheit fungieren, als Ausdruck einer Proposition kann er nicht gelten.

Da Propositionen im Deutschen keinen klar abgegrenzten eigenstandigen Ausdruck haben, konnte man die Ausgangsposition der Reduktionsprobe fur problematisch halten. Wie wei? man, ob der Ausdruck, mit dem man beginnt, nicht auch Einheiten einschlie?t, die nicht der zentralen Proposition zuzurechnen sind? Man wei? es tatsachlich soweit noch nicht, doch ergeben sich daraus keine Schwierigkeiten: Was, wie etwa eine Geltungsspezifikation oder eine Geltungsrestriktion, nicht als Teil der zentralen Proposition gelten kann, fallt auf dieselbe Weise der Reduktion anheim wie Operationen, die aus einfacheren Propositionen komplexere Propositionen machen.

Probe (b)

Probe (b) ist erforderlich, weil Probe (a) mehr kurzen konnte als erwunscht: Auch Adverbialia und Attribute, die als Teile von Pradikat- bzw. Argumentausdrucken Bestandteile von Ausdrucken elementarer Propositionen sein konnen. Probe (b) nimmt solche Kurzungen zuruck. Zugleich pruft sie, ob sich uber der Reduktion keine Bedeutungsverschiebungen in der verbleibenden Proposition ergeben haben. So konnte man zwar annehmen, dass sich:

Er verbindet das Bein, und das mit der Platte.

aus

Er verbindet das Bein mit der Platte.

herleiten lasst, doch bei Probe (b) zeigt sich, dass sich das das im - vermeintlich nur - umgeformten Satz auf einen Satz beziehen muss, im dem verbinden eine andere Bedeutung hat als im Ausgangssatz: nicht 'in Verbindung bringen', sondern 'mit etwas umwickeln'.

Probe (b) verhindert auch, dass fakultative Komplemente herausgekurzt werden, weil in ihrem Fall die geforderte Paraphrase nicht zu bilden ist.

Peter trinkt ein Glas Karottensaft.
* Peter trinkt, und das ein Glas Karottensaft.

Rumpelstilzchen braut dunkles Bier.
* Rumpelstilzchen braut und das dunkles Bier.

Probe (b) ahnelt dem so genannten geschehen-Test, den Helbig 1971 fur die Bestimmung von Angaben (hier: Supplementen) entwickelt hat. Im Unterschied zu diesem Test wird bei Probe (b) weder das problematische geschehen gebraucht, das auf Pradikate beschrankt bleibt, die so zu generalisieren sind, noch wird allein das Pradikat als Bezug des das angenommen, sondern die Proposition insgesamt. Deshalb ergibt sich fur Probe (b) auch nicht das von Eroms 1981 angemahnte Begrundungsproblem, denn diese Probe stellt unmittelbar klar, dass die Moglichkeit der Paraphrase in dem Umstand begrundet ist, dass sich die nicht zur Elementarproposition zahlende Bestimmung auf eben diese Proposition insgesamt bezieht.

Eine letzte verbleibende Schwierigkeit bei der Bestimmung von Elementarpropositionen wird bewaltigt durch die Bedingung, dass das anadeiktische das sich auf die gesamte Proposition beziehen muss. Ohne diese Bedingung waren bestimmte unerwunschte Kurzungen zugelassen, denn auch solche Paraphrasen sind moglich.

Fritz wird von Walter geschlagen.
Fritz wird geschlagen, und das von Walter.

Thomas wird von allen geliebt.
Thomas wird geliebt, und das von allen.

Jonas wird von seinem Vater bestraft.
Jonas wird bestraft, und das von seinem Vater.

In diesen Satzen bezieht sich das nicht, wie gefordert, auf die gesamte Proposition, sondern nur auf geschlagen, geliebt, bestraft. Dass dies so ist, kann durch eine weitere Paraphrase deutlich gemacht werden, die den Bezug des das ausdrucklich angibt.

Fritz wird geschlagen, und das, namlich geschlagen, von Walter.
Thomas wird geliebt, und das, namlich geliebt, von allen.
Jonas wird bestraft, und das, namlich bestraft, von seinem Vater.

Dagegen bleiben die folgenden Paraphrasen eigentumlich.

* Fritz wird geschlagen, und das, namlich Fritz wird geschlagen, von Walter.
* Thomas wird geliebt, und das, namlich Thomas wird geliebt, von allen.
* Jonas wird bestraft, und das, namlich Jonas wird bestraft, von seinem Vater.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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