Rolle der Argumente bei der Klarstellung gemeinter Sachverhalte
Um zu erkennen, was Argumente zur Klarstellung gemeinter Sachverhalte beitragen können, muss man zunächst betrachten, in welcher Beziehung Sachverhaltsentwürfe, also Propositionen, zu den Sachverhalten stehen.
- Ein Sachverhaltsentwurf meint von sich aus keinen Sachverhalt, auch wenn er noch so spezifisch abgefasst ist.
- Ein Sachverhaltsentwurf stellt ein Potenzial dar, das in kommunikativen Akten für diese und weitere Zwecke eingesetzt werden kann.
Zweck der Proposition
Propositionen werden zu Zwecken eingesetzt wie der Präsentation eines denkbaren Sachverhaltes, der Präsentation eines musterhaften Sachverhalts, der Erfassung konventioneller, regelhafter oder gesetzmäßiger Sachverhalte sowie der Abbildung aktual bestehender Sachverhalte. Dazu einige Beispiele.
Präsentation eines denkbaren Sachverhalts
(Frankfurter Rundschau 20.4.1998, 17)
Der Grund: Man befürchtet, waffenfähiges Material - ausreichend für die Herstellung von mehr als zwei Dutzend Atombomben - könnte gestohlen werden; es lagerte kaum bewacht in einer metallverarbeitenden Fabrik.
(Die Zeit 13.1.1995, 8)
Präsentation eines musterhaften Sachverhalts
(Kleine Zeitung 10.6.2000, o. S.)
In vielen Kindergärten gibt es Computerräume, und praktisch jede Grundschulklasse hat mindestens einen Internetzugang.
(die tageszeitung 23.5.2000, 20)
Erfassung konventioneller, regelhafter oder gesetzmäßiger Sachverhalte
(Die Presse 3.4.1993, o. S.)
Die Bundesversammlung wählt auf der Grundlage eines Legislaturprogramms einen Regierungschef, der sein Regierungsteam zusammenstellt.
(St. Galler Tagblatt 30.7.1998, o. S.)
Abbildung aktual bestehender Sachverhalte
(Berliner Zeitung 29.8.2001, 9)
Reichmann schreitet jetzt zur Tat.
(Salzburger Nachrichten 14.8.1992, o. S.)
Dass Propositionen zu diesen und anderen Zwecken eingesetzt werden können, ergibt sich unmittelbar aus ihrem Entwurfscharakter. Sie gleichen in dieser Hinsicht Bildern. Eine Folge davon ist, dass die Sätze, mit denen sie artikuliert werden, oft als mehrdeutig erscheinen. So kann etwa ein und derselbe Satz je nach Kontext auf mehrere Weisen interpretiert werden.
Der Akzent auf Katze dient dazu, den Satz zu unterscheiden von Éine Katze lässt das Mausen nicht.
Katzen lassen das Mausen nicht.
Richtige Katzen lassen das Mausen nicht.
Für eine Klärung der Beziehung zwischen Sachverhaltsentwurf und gemeintem Sachverhalt ist wichtig, wie das Potenzial des Entwurfs in kommunikativen Akten zu nutzen ist, um zu einem Verständnis des Gemeinten zu führen. Offenbar genügt es nicht, einfach eine Proposition vorzubringen. Damit der gemeinte Sachverhalt erkannt werden kann, muss ein Sprecherschreiber dafür sorgen, dass seinen Adressaten die Funktion deutlich wird, in der er die Proposition verwendet: Will er damit auf einen als gegeben betrachteten Sachverhalt Bezug nehmen? Will er einen nur möglichen Sachverhalt ins Spiel bringen?
Die Klarstellung der kommunikativen Funktion eines Sachverhaltsentwurfs ist ganz oder teilweise auf dem Weg einer Klarstellung der Rolle zu erreichen, die den Argumenten zugedacht ist. Ein Argument kann - analog zum Sachverhaltsentwurf - mögliche Gegenstände, Gegenstandstypen, Individuenkonzepte entwerfen oder als Mittel der Bezugnahme auf Gegenstände dienen. Entwirft ein Argument einen möglichen Gegenstand, kann der Sachverhaltsentwurf in jedem Fall nur als das fungieren, was er ohnedies ist: als Entwurf eines Sachverhalts. Wird ein Argument dagegen für die Bezugnahme auf einen Gegenstand gebraucht, kann der Sachverhaltsentwurf entweder der Bezugnahme auf einen Sachverhalt dienen oder aber einen möglichen Sachverhalt ins Spiel bringen, der als gegeben erachtete Gegenstände in möglichen Verhältnissen zeigt.
Und ich sage dir: Der Eiffelturm steht in Paris.
Die vorangestellten Sätze simulieren Kontexte, in denen die Propositionen in verschiedenen Funktionen eingesetzt werden. Das erste Beispiel steht für die Präsentation eines denkbaren Sachverhalts, das zweite für die Abbildung aktual bestehender Sachverhalte. Den hier vorgebrachten Argumenten selbst kann man so wenig wie den Propositionen insgesamt entnehmen, in welcher Funktion sie gebraucht werden. Ihre Funktion wird erst erkennbar, wenn sie unter geeigneten Bedingungen verwendet werden, so etwa, wenn dem Adressaten bekannt ist, was als Eiffelturm bezeichnet wird.
Unter kommunikativem Aspekt lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Gebrauchsweisen von Argumenten unterscheiden, die man - in Anlehnung an Keith Donnellan - als essenziell und referenziell bezeichnet.
Essenzieller Gebrauch
Essenzieller Gebrauch von Argumenten liegt immer dann vor, wenn ein Argument einen Gegenstandsentwurf präsentiert und diesen als Gegenstand setzt, also nicht etwa den Entwurf dazu nutzt, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen.
Referenzieller Gebrauch
Referenzieller Gebrauch von Argumenten liegt vor, wenn ein Argument, wie immer es realisiert ist, dazu dient, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen.
Die beiden Gebrauchsweisen müssen, da sich die Argumente häufig gleichen, durch spezielle Verwendungsweisen unterschieden werden. Bei essenziellem Gebrauch, der im Wesentlichen als nicht-referenziell bestimmt wurde, kommt hinzu, dass er heterogen ist: Mit denselben Mitteln können verschiedene Typen von Gegenständen gesetzt werden, die unterschieden werden müssen, weil die Sachverhalte, in denen sie figurieren können, verschiedener Art sein können.
Eine weitere Schwierigkeit beim essenziellen Gebrauch zeigt sich erst im Vergleich mit dem referenziellen Gebrauch: Essenzieller Gebrauch ist nicht fehlertolerant. Das Argument setzt den Gegenstand. Was auf den ersten Blick angenehm erscheint, kann einen Sprecher unter Umständen in Schwierigkeiten bringen: In aller Regel hat ein Sprecher etwas im Sinn, wenn er ein Argument benutzt; es kommt ihm darauf an, dieses Etwas als Gegenstand erkennbar zu machen. Ein essenziell gebrauchtes Argument erlaubt, eben weil damit keine Fehler zu machen sind, keinerlei Ungenauigkeit. Es bestimmt, was es bestimmt - gleichgültig, ob es trifft, was dem Sprecher vorschwebt. Anders als bei referenziellem Gebrauch kann auch der Adressat hier nicht korrigierend eingreifen, weil er nur das Argument hat, um das Gemeinte zu erkennen.
Ein Problem dieser Art, das Logiker und Sprachphilosophen fasziniert, bilden essenziell gebrauchte Argumente in Verbindung mit existenzbedingenden Prädikaten. Ein klassisches Beispiel: Jemand, der die politischen Verhältnisse in Frankreich nicht kennt, könnte feststellen:
muss ein glücklicher Mensch sein.
Als Hörer weiß man dann nicht, was man mit dieser Feststellung anfangen soll: Offenbar bezieht sich der Sprecher auf keine bestimmte Person, gebraucht das Argument also essenziell. Das allein wäre noch nicht problematisch, wie die formal und inhaltlich gleich geartete Feststellung zeigt:
eröffnet die erste Sitzung jedes neugewählten Bundestag.
Auch mit der Alterspräsident muss keine bestimmte Person gemeint sein, und wir können doch entscheiden, ob die Feststellung wahr oder falsch ist. Im ersten Fall gelingt dies nicht - reale Verhältnisse vorausgesetzt. Mehr hierzu in Essenzieller Gebrauch von Argumenten.
Bei referenziellem Gebrauch von Argumenten wird mit den Argumenten kein Gegenstand gesetzt. Vielmehr bezieht man sich mit dem Mittel eines Gegenstandsentwurfs oder eines Bezugs auf einen unabhängig gegebenen Gegenstand oder Gegenstandsentwurf. Der Gegenstandsentwurf fungiert dabei als eine Art Steckbrief, der die Kommunikationspartner in die Lage versetzen soll, den gemeinten Gegenstand zu erkennen.
Im Unterschied zum essenziellen Gebrauch sind bei referenziellem Gebrauch Fehler möglich: Wer ein Argument referenziell gebraucht, kann sich bei der Wahl der Mittel der Bezugnahme vergreifen oder sogar bewusst fehlerhafte Charakterisierungen wählen, ohne dass damit eine erfolgreiche Bezugnahme ausgeschlossen würde. Ausführlich dazu Referenzieller Gebrauch von Argumenten.