Modalverben im Verbalkomplex

Modalverb-Komplexe

(vgl. ungarisch: modális segédige)

Mithilfe von Modalverben (müssen, sollen, dürfen, mögen/möchte-, wollen, können) werden Propositionen nicht als faktisch, sondern als möglich bzw. notwendig betrachtet (vgl. auch Modalverb in der Wortartenklassifikation).

Modalverben verbinden sich im Verbalkomplex mit Infinitiven wie in Beispiel (1) und (2) bzw. mit Gruppen aus Infinitiv und Partizip(ien) wie in Beispiel (3) - (4). Ähnlich wie Hilfsverben ändern sie nicht den Valenzrahmen des Vollverbs (vgl. Valenzverhältnisse im Verbalkomplex).

(1) Er muss sie um Entschuldigung bitten. Ung.: Elnézést kell tőle kérnie.
(2) Er muss sie um Entschuldigung bitten können. Ung.: Elnézést kell tudnia kérni tőle.
(3) Er muss sie um Entschuldigung gebeten haben. Ung.: Biztosan elnézést kért tőle.
(4) Sie muss um Entschuldigung gebeten worden sein. Ung.: Biztosan elnézést kértek tőle. (Aktiv)
Modalverben weisen folgende Merkmale auf:
– Sie regieren den reinen Infinitiv.
– Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
– Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen.
– Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex.

Der ehemalige Konjunktiv möchte ist nur in den finiten Formen möglich. Er wird heute als Indikativ Präsens verstanden. Mögen und möchte werden zum Teil bedeutungsverschieden gebraucht, sie haben jedoch nur die eine gemeinsame Präteritalform mochte und werden daher zu einem Formenparadigma gerechnet.

Die ungarischen Modalverben (akar, bír, tud, óhajt, szeretne und kell, lehet) drücken, ähnlich den deutschen Modalverben, Möglichkeit, Notwendigkeit und Absicht aus. Die Modalverben kell und lehet weichen von den anderen Modalverben des Ungarischen insofern ab, dass sie nur den Tempus- (Präsens-Präteritum) und den Moduswechsel (Indikativ-Konditional) angeben können.

Das Modalverb lehet (im Deutschen können und dürfen) kann sowohl analytisch als auch synthetisch (mit Hilfe des Suffixes -hat, -het) ausgedrückt werden.

können:
analytisch: El tudok menni úszni. (Ich kann schwimmen gehen.)
synthetisch: Elmehetek úszni. (Ich kann schwimmen gehen.)

dürfen:
analytisch: El lehet/szabad mennem úszni. (Ich darf schwimmen gehen.)
synthetisch: Elmehetek úszni. (Ich darf schwimmen gehen.)

Ferner ist ein interessantes Phänomen, dass im Gegensatz zum Deutschen der ungarische Infinitiv neben Modalverben oft Personalendungen bekommt. (s. dazu die Beispiele und die Einheiten Verbalkomplex und Syntagmatische Beziehungen im Verbalkomplex)

Neben Modal- und temporalen Hilfsverben existieren im Ungarischen auch aspektuelle und pragmatische Hilsverben.

  • aspektuelles Hilfsverb: szokott (die Tätigkeit ist regelmäßig); das Hilfsverb steht formal im Präteritum, die Bedeutung bezieht sich jedoch auf die Gegenwart (das Flexionsparadigma ist nicht vollständig), z.B.: Esténként olvasni szokott. (Er liest abends immer/regelmäßig.)
  • pragmatisches Hilfsverb: tetszik (nur in der 3. Person im Falle von Siezen, etwa in der Bedeutung ’genehm’, es drückt Höflichkeit aus) z.B.: Mit tetszik inni? (Was trinken Sie?)

Andere Verbklassen mit modaler Bedeutung

Hilfsverben

(vgl. ungarisch: temporális segédige)

Die Hilfsverben haben und sein können in modaler Bedeutung verwendet werden.

Beispiele:

Unsere Kunden kommen aus verschiedenen Branchen, einige wachsen, andere haben zu knapsen. (Mannheimer Morgen, 11.04.2003)
Knallig wird im Orchestergraben aufgetrumpft; grelle Akzente und samtige Oberflächen sind zu finden. (Neue Kronen-Zeitung, 05.01.2000)

Die Hilfsverben haben und sein weisen in modaler Verwendung folgende Merkmale auf:
  • Sie regieren alle den zu-Infinitiv.
  • Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
  • Sie werden dazu verwendet, Propositionen in bestimmten Kontexten, z. B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, als möglich bzw. notwendig einzuordnen.
  • Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen. Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex (mit der Ausnahme von sein zu und gehören in modaler Verwendung, bei denen der Valenzrahmen in veränderter Form (Konversion) übertragen wird).

sein zu

Der Verbalkomplex mit sein zu steht zu dem Vollverbinfinitiv in Konversion. Die Komplemente des Verbalkomplexes mit sein zu werden in umgekehrter Reihenfolge eingebunden als die Komplemente des Vollverbs:

Konversion

Ein Akkusativkomplement des Vollverbs wird zum Subjekt des Verbalkomplexes mit sein zu, das Subjekt des Satzes mit Vollverb wird zum fakultativen Präpositivkomplement, das meist entfällt. In der Regel entsprechen die Möglichkeiten einer sein-zu-Konverse denen der Passivierbarkeit des entsprechenden Verbs:

Diese Arbeit wird bis morgen (von Hans) erledigt.
Ung.: Holnapig elvégzik ezt a munkát. (Aktiv, allgemeines Subjekt)
Ung.:Hans holnapig elvégzi ezt a munkát. (Aktiv)
Diese Arbeit ist bis morgen (von Hans) zu erledigen.
Ung.: Ezt a munkát holnapig el kell végezni. (Aktiv, allgemeines Subjekt)
Ung.:Hansnak holnapig el kell végeznie ezt a munkát. (Aktiv)

Im Gegensatz zum Deutschen kann die Passivität von Handlungen im Ungarischen nicht durch Passivformen ausgedrückt werden. Zum Ausdruck einer Handlung benutzt das Ungarische entweder die Aktivform, oder im Falle von unbekanntem Subjekt das allgemeine Subjekt (3. Person Plural).
z.B. Die neue Strecke der Autobahn wird gebaut. Ung.: Az autópálya új szakaszát építik.

Vollverben

(vgl. ungarisch: ige)

Auch einige Vollverben können modal gebraucht werden. Die Verben brauchen und gehören, scheinen, drohen und pflegen haben dabei eine andere Bedeutung als im Vollverbgebrauch.

VollverbVollverb
in modaler Verwendung
brauchenWelche Gesellschaft braucht wie viel Freistellungsauftrag? [die tageszeitung, 06.03.2003]"Sie brauchen mich nicht zu fragen, ob ich erleichtert bin. Ich bin es", gestand Liverpools Trainer Gerard Houllier nach dem Schlusspfiff. [Mannheimer Morgen, 20.01.2003]
gehörenDaß die Namen der Angeklagten nicht unter den aufgeführten Namen waren, sprach dafür, daß die Angeklagten zu den zurückgebliebenen Aufseherinnen gehört hatten. [Schlink, Bernhard: Der Vorleser, Zürich 1995, 207 S.] Die Terroristen und ihre Hintermänner gehören ausfindig gemacht und ihrer Strafe zugeführt. [St. Galler Tagblatt, 11.10.2001]
scheinenWir sind im Odenwald, draußen scheint die Sonne und macht die Welt glitzrig und verheißungsvoll. [die tageszeitung, 03.02.1987] Fast scheint es, als hätten die Amerikaner den Schock des Terrors schon überwunden, während Europa noch wirkt wie gelähmt. [Berliner Zeitung, 02.01.2002]
drohenHausbesitzer droht mit Feuer. Nachbar-Gebäude in Rohrhof mussten geräumt werden. [Mannheimer Morgen, 04.01.2003]Wenn ich im Fernsehen eine Witzsendung sehe, erstarren meine Gesichtszüge und die Nase droht mir abzufallen. [die tageszeitung, 15.01.2003]
pflegenAus diesem Grund pflegt Hollywood den Hochzeitsfilm auch noch mit solcher Sorgfalt. [die tageszeitung, 23.01.2003] Das Women's Institute, ein Dachverband von Frauenvereinen, hatte die Jubiläumsfeier extra nach Schloss Sandringham verlegt, wo die königliche Familie die Wintermonate zu verbringen pflegt. [Mannheimer Morgen, 25.01.2002]
Die Vollverben brauchen und gehören, scheinen, drohen und pflegen in modaler Verwendung weisen folgende Merkmale auf:
  • Sie haben eine andere Bedeutung als ihre Vollverbvarianten.
  • Sie regieren alle - außer gehören - den zu-Infinitiv.
  • gehören regiert das Partizip II.
  • Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen. Sie übertragen lediglich den Valenzrahmen des Verbs, das sie regieren, auf den Verbalkomplex (bei gehören wird der Valenzrahmen in veränderter Form (Konversion) übertragen).

  • Sie werden nicht im Imperativ gebraucht.
  • Sie werden dazu verwendet, Propositionen in bestimmten Kontexten, z. B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, als möglich bzw. notwendig einzuordnen.

Seltener als im Deutschen können auch ungarische Vollverben Modalität ausdrücken, z.B. tűnik (scheinen):

Majdnem úgy tűnik, mintha az amerikaiak már túltették volna magukat a terror okozta sokkon, míg Európa még mindig bénultnak látszik.
(Übersetzung s. oben in der Tabelle)

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