Funktionen des Verbalkomplexes
(ungarisch: igei csoport)
Dem Verbalkomplex kommen zwei verschiedene Aufgaben zu:
- Er realisiert das Prädikat und ist damit wesentlicher Ausdrucksteil der Proposition.
- Er trägt dazu bei, die Proposition zeitlich (durch das Tempus), modal (durch Modalverben und den Modus) und in Handlungsbezüge (durch das Genus Verbi) einzuordnen.
Diese beiden Aufgaben werden durch verschiedene Teile des Verbalkomplexes wahrgenommen.
Verbalkomplex aus nur einer Verbform
Besteht der Verbalkomplex aus nur einer Verbform, so setzt er sich mindestens aus zwei Morphemen zusammen. Jede der zwei erwähnten Aufgaben wird von einem der beiden Morpheme übernommen. Dies ist etwa bei schwachen Verben im Präsens und Präteritum (Indikativ) der Fall (z. B. lachen in Der Junge lacht/lachte). Hier wird Aufgabe 1 vom lexikalischen Morphem (lach-), Aufgabe 2 vom Flexionsmorphem (-t/-te) erfüllt. Die Morpheme bilden jeweils in sich abgeschlossene Einheiten, die einander nicht überlappen. In vielen anderen Fällen ist aber eine derartige lineare Trennung beider Aufgaben nicht möglich, weil das lexikalische Morphem von der Flexion überlagert wird. Man vergleiche etwa die starken Verben, bei denen flexionsbedingte Veränderungen des Wortstamms auftreten (z. B. schlafen in Der Junge schläft/schlief).
Beim Verbalkomplex aus nur einer Verbform wird oft von einer 'einfachen Verbform' gesprochen (Verbformen mit einem abtrennbaren Präverb wie in Der Junge schläft ein. sind hier eingeschlossen).
Verbalkomplex aus mehreren Verbformen
Besteht der Verbalkomplex aus mehreren Verbformen, werden die beiden oben genannten Aufgaben lexikalisch getrennt wahrgenommen:
Das finite Hilfs- oder Modalverb leistet keinen Beitrag zur propositionalen
Bedeutung, dient somit nicht der Erfüllung von Aufgabe 1. Sie übernehmen dafür Aufgabe 2 und zwar
in allen ihren Teilbereichen.
Sie sind beteiligt an:
- der Herstellung des Zeitbezuges:
Hans ist gekommen.
Ung.: Hans megjött.
Der Junge hat geschlafen.
Ung.: A fiú aludt. - der modalen Charakterisierung der
Proposition:
Hans mag kommen.
Ung.: Hans jöhet.
Der Junge muss schlafen.
Ung.: A fiúnak aludni kell. - der Passivbildung:
Das Buch wird von Hans bearbeitet.
Ung.: Hans feldolgozza a könyvet. (Aktiv)
Aufgabe1 wird in einem Verbalkomplex, der aus mehreren Verbformen besteht, durch das
infinite Vollverb wahrgenommen, das als Ausdruck für das Prädikat im engeren Sinne
dient.
Weitere infinite Bestandteile des Verbalkomplexes sind - wenn überhaupt vorhanden
- wiederum an der Erfüllung der einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 beteiligt, das heißt, sie
leisten einen Beitrag zur zeitlichen (a) und modalen (b) Einordnung der Proposition bzw.
signalisieren eine Passivkonstruktion (c):
Die auf die einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 spezialisierten Verben können miteinander kombiniert werden:
Die folgende Tabelle fasst die bisherigen Überlegungen zu den Aufgaben des Verbalkomplexes und seiner Bestandteile zusammen:
Teile des | Verbalkomplexes | |
Aufgaben | im Verbalkomplex aus nur einer Verbform | im Verbalkomplex aus mehreren Verbformen |
Realisation des Prädikats, Organisation der Proposition | lexikalisches Morphem, z.B.: geh- | infinites Vollverb,
z.B.: geschrieben schreiben |
Einordnung in Zeit- und Handlungsbezüge, Informationsstrukturierung | Flexionsmorphem /Flexion, z.B.: -t | finites Verb,
z.B.: hat muss wird infinite Verben mit Ausnahme des Vollverbs, z.B.: müssen haben werden |
Im Unterschied zum Deutschen kommen im Ungarischen wesentlich weniger und auch nicht so umfangreiche Verbalkomplexe vor. Aus diesem Grund findet man im Ungarischen wenige Möglichkeiten der Funktionsteilung zwischen mehreren Verbformen. Dies ist der Fall beim Futur, wo die lexikalische Bedeutung vom Vollverb erfüllt wird und das Hilfsverb die zeitliche Einordnung der Handlung übernimmt. Bei Modalverbkonstruktionen leistet das Modalverb die modale Einordnung der Proposition, während das Vollverb ebenfalls die lexikalische Bedeutung trägt.
Beim Zustandspassiv signalisiert das Hilfsverb van die Passivkonstruktion, während das Verbaladverb die lexikalische Bedeutung übernimmt.
Synthetische Verbformen können im Ungarischen häufig auch mehrere Funktionen erfüllen; z.B. Person, Numerus, Tempus und Modus: Láthatnám (lát-hat-ná-m) (dt.: Ich könnte es sehen). Dadurch, dass das Ungarische eine agglutinierende Sprache ist, ist die lineare Trennung der Morpheme stark ausgeprägt.
Vollverb | Hilfsverb | Grundsuffix für Tempus | Endsuffix für Person | |
Deutsch | geschrieben (Part. II.) | hab- | - | -e |
Ungarisch | ír- | - | -t | -am |
I.d.R. geht das Grundsuffix für Tempus und Modus dem Endsuffix für Person voraus.
Teile des Verbalkomplexes |
Aufgaben | im Verbalkomplex aus nur einer Verbform | im Verbalkomplex aus mehreren Verbformen |
Realisation des Prädikats, Organisation der Proposition | lexikalisches Morphem, z.B.: ír- (schreib-) | infinites Vollverb, z.B. írni (schreiben) Verbaladverb z.B. intézve (erledigt, im Dt. Partizip) |
Einordnung in Zeit- und Handlungsbezüge, Informationsstrukturierung | Endsuffix (Flexionsmorphem) z.B.: --unk (1. Pers. Pl. Präsens, Ind, Akt.) -t – unk (t = Grundsuffix, -unk = Endsuffix) | finites Verb, z.B. fog (Futur) kell (Modalverb) van (Zustandspassiv) |
Funktionale Einordnung des Verbalkomplexes
Die an den Verbalkomplex angebundenen Komplemente sind quantitativ und qualitativ von der Valenz des Vollverbs abhängig. Der durch die Komplemente "gesättigte" Verbalkomplex bildet den Satz, der wiederum durch unterschiedliche Supplemente erweitert werden kann.
Für das 3-wertige Verb geben gilt z. B.:
Es gibt zwei Kategorien von Verben, die in Verbindung mit einer infiniten
Verbform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bilden können:
Hilfsverben und
Modalverben.
Finite
Hilfsverben und Modalverben können einen (vollständigen) Verbalkomplex herstellen:
Infinite Hilfsverben und Modalverben können zusammen mit einer anderen infiniten Verbform einen infiniten Verbalkomplex bilden, der wiederum Teil eines größeren Verbalkomplexes ist.
Unter den Eigenschaften, die Hilfsverben und Modalverben von den Vollverben unterscheiden, gibt es einige, die sowohl den Hilfsverben als auch den Modalverben zukommen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört z. B. das Fehlen eines eigenen Valenzrahmens.