Funktionen des Verbalkomplexes

(ungarisch: igei csoport)

Dem Verbalkomplex kommen zwei verschiedene Aufgaben zu:

  1. Er realisiert das Prädikat und ist damit wesentlicher Ausdrucksteil der Proposition.
  2. Er trägt dazu bei, die Proposition zeitlich (durch das Tempus), modal (durch Modalverben und den Modus) und in Handlungsbezüge (durch das Genus Verbi) einzuordnen.

Diese beiden Aufgaben werden durch verschiedene Teile des Verbalkomplexes wahrgenommen.


Verbalkomplex aus nur einer Verbform

Besteht der Verbalkomplex aus nur einer Verbform, so setzt er sich mindestens aus zwei Morphemen zusammen. Jede der zwei erwähnten Aufgaben wird von einem der beiden Morpheme übernommen. Dies ist etwa bei schwachen Verben im Präsens und Präteritum (Indikativ) der Fall (z. B. lachen in Der Junge lacht/lachte). Hier wird Aufgabe 1 vom lexikalischen Morphem (lach-), Aufgabe 2 vom Flexionsmorphem (-t/-te) erfüllt. Die Morpheme bilden jeweils in sich abgeschlossene Einheiten, die einander nicht überlappen. In vielen anderen Fällen ist aber eine derartige lineare Trennung beider Aufgaben nicht möglich, weil das lexikalische Morphem von der Flexion überlagert wird. Man vergleiche etwa die starken Verben, bei denen flexionsbedingte Veränderungen des Wortstamms auftreten (z. B. schlafen in Der Junge schläft/schlief).

Beim Verbalkomplex aus nur einer Verbform wird oft von einer 'einfachen Verbform' gesprochen (Verbformen mit einem abtrennbaren Präverb wie in Der Junge schläft ein. sind hier eingeschlossen).

Verbalkomplex aus mehreren Verbformen

Besteht der Verbalkomplex aus mehreren Verbformen, werden die beiden oben genannten Aufgaben lexikalisch getrennt wahrgenommen:

Das finite Hilfs- oder Modalverb leistet keinen Beitrag zur propositionalen Bedeutung, dient somit nicht der Erfüllung von Aufgabe 1. Sie übernehmen dafür Aufgabe 2 und zwar in allen ihren Teilbereichen.
Sie sind beteiligt an:

  1. der Herstellung des Zeitbezuges:
    Hans ist gekommen.
    Ung.: Hans megjött.
    Der Junge hat geschlafen.
    Ung.: A fiú aludt.
  2. der modalen Charakterisierung der Proposition:
    Hans mag kommen.
    Ung.: Hans jöhet.
    Der Junge muss schlafen.
    Ung.: A fiúnak aludni kell.
  3. der Passivbildung:
    Das Buch wird von Hans bearbeitet.
    Ung.: Hans feldolgozza a könyvet. (Aktiv)

Aufgabe1 wird in einem Verbalkomplex, der aus mehreren Verbformen besteht, durch das infinite Vollverb wahrgenommen, das als Ausdruck für das Prädikat im engeren Sinne dient.
Weitere infinite Bestandteile des Verbalkomplexes sind - wenn überhaupt vorhanden - wiederum an der Erfüllung der einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 beteiligt, das heißt, sie leisten einen Beitrag zur zeitlichen (a) und modalen (b) Einordnung der Proposition bzw. signalisieren eine Passivkonstruktion (c):

  1. Aufgabe 2a
  2. Aufgabe 2b
  3. Aufgabe 2c


Die auf die einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 spezialisierten Verben können miteinander kombiniert werden:

Kombination der Teilbereiche der Aufgabe 2

Die folgende Tabelle fasst die bisherigen Überlegungen zu den Aufgaben des Verbalkomplexes und seiner Bestandteile zusammen:

Teile des Verbalkomplexes
Aufgabenim Verbalkomplex aus
nur einer Verbform
im Verbalkomplex aus
mehreren Verbformen
Realisation des Prädikats,
Organisation der
Proposition
lexikalisches Morphem,
z.B.: geh-
infinites Vollverb, z.B.:
geschrieben
schreiben
Einordnung in Zeit-
und Handlungsbezüge,
Informationsstrukturierung
Flexionsmorphem
/Flexion,
z.B.: -t
finites Verb, z.B.:
hat
muss
wird

infinite Verben
mit Ausnahme
des Vollverbs, z.B.:
müssen
haben
werden



Im Unterschied zum Deutschen kommen im Ungarischen wesentlich weniger und auch nicht so umfangreiche Verbalkomplexe vor. Aus diesem Grund findet man im Ungarischen wenige Möglichkeiten der Funktionsteilung zwischen mehreren Verbformen. Dies ist der Fall beim Futur, wo die lexikalische Bedeutung vom Vollverb erfüllt wird und das Hilfsverb die zeitliche Einordnung der Handlung übernimmt. Bei Modalverbkonstruktionen leistet das Modalverb die modale Einordnung der Proposition, während das Vollverb ebenfalls die lexikalische Bedeutung trägt.

Beim Zustandspassiv signalisiert das Hilfsverb van die Passivkonstruktion, während das Verbaladverb die lexikalische Bedeutung übernimmt.

Synthetische Verbformen können im Ungarischen häufig auch mehrere Funktionen erfüllen; z.B. Person, Numerus, Tempus und Modus: Láthatnám (lát-hat-ná-m) (dt.: Ich könnte es sehen). Dadurch, dass das Ungarische eine agglutinierende Sprache ist, ist die lineare Trennung der Morpheme stark ausgeprägt.

VollverbHilfsverbGrundsuffix für TempusEndsuffix für Person
Deutschgeschrieben
(Part. II.)
hab---e
Ungarischír---t-am

I.d.R. geht das Grundsuffix für Tempus und Modus dem Endsuffix für Person voraus.

Teile des Verbalkomplexes
Aufgabenim Verbalkomplex aus
nur einer Verbform
im Verbalkomplex aus
mehreren Verbformen
Realisation des Prädikats,
Organisation der
Proposition
lexikalisches Morphem,
z.B.: ír- (schreib-)
infinites Vollverb, z.B.
írni (schreiben)
Verbaladverb z.B.
intézve (erledigt, im Dt. Partizip)
Einordnung in Zeit-
und Handlungsbezüge,
Informationsstrukturierung
Endsuffix (Flexionsmorphem)
z.B.: --unk
(1. Pers. Pl. Präsens, Ind, Akt.)
-tunk (t = Grundsuffix, -unk = Endsuffix)
finites Verb, z.B.
fog (Futur)
kell (Modalverb)
van (Zustandspassiv)

Funktionale Einordnung des Verbalkomplexes

Unter Verbalkomplex ist das - in der linearen Abfolge möglicherweise diskontinuierliche - Vorkommen von einer finiten und gegebenenfalls einer oder mehrerer infiniter Verbformen innerhalb eines Satzes zu verstehen. Im Satz werden Komplemente an den Verbalkomplex angebunden. Ohne Anbindung von Komplementen ist die Stelligkeit des Verbalkomplexes n. Durch Anbindung von n Komplementen an den Verbalkomplex entsteht ein Vollsatz.

Die an den Verbalkomplex angebundenen Komplemente sind quantitativ und qualitativ von der Valenz des Vollverbs abhängig. Der durch die Komplemente "gesättigte" Verbalkomplex bildet den Satz, der wiederum durch unterschiedliche Supplemente erweitert werden kann.

Für das 3-wertige Verb geben gilt z. B.:

Es gibt zwei Kategorien von Verben, die in Verbindung mit einer infiniten Verbform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bilden können: Hilfsverben und Modalverben.
Finite Hilfsverben und Modalverben können einen (vollständigen) Verbalkomplex herstellen:


Infinitoperator 1

Infinite Hilfsverben und Modalverben können zusammen mit einer anderen infiniten Verbform einen infiniten Verbalkomplex bilden, der wiederum Teil eines größeren Verbalkomplexes ist.


Infinitoperator 2


Infinitoperator 3

Unter den Eigenschaften, die Hilfsverben und Modalverben von den Vollverben unterscheiden, gibt es einige, die sowohl den Hilfsverben als auch den Modalverben zukommen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört z. B. das Fehlen eines eigenen Valenzrahmens.

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