Hilfsverben im Verbalkomplex
(vgl. ungarisch: segédigék az igei csoportban)
Im Vergleich zum Deutschen wird die Mehrheit der Tempusformen im Ungarischen synthetisch gebildet. Lediglich werden das Futur und der Konditional im Präteritum analytisch gebildet. Dementsprechend gibt es im Ungarischen zwei Hilfsverben zur Bildung der analytischen Tempusformen: fog – zur Bildung des Futurs, volna – zur Bildung des Konditionals im Präteritum. Bei der Form des Konditionals im Präteritum markiert das Hilfsverb volna lediglich den Modus Konditional, hinsichtlich des Tempus und der Person wird das Vollverb konjugiert. Aus diesem Grund wird volna nicht als Hilfsverb, sondern lediglich als „modales Hilfswort mit einem Vollverb” betrachtet.
Darüber hinaus wird im Ungarischen auch das Zustandspassiv analytisch gebildet, das jedoch nur mit Einschränkungen verwendet werden kann. D.h. die Bildung des Zustandspassivs ist zwar zugelassen, seine Verwendung ist jedoch ziemlich eingeschränkt, z.B:
A konferencia elő van készítve. (Die Tagung ist bereits vorbereitet.)
Die Hilfsverben im Paradigma der Vollverben
Als Hilfsverben werden die Verben haben, sein und werden bezeichnet, wenn sie mit einer oder mehreren infiniten Verbformen kombiniert werden, z. B.:
Ung.: Korábban ők maguk is írtak forgatókönyveket.
(2) Che Guevara hat sicherlich den Armen helfen wollen. [Salzburger Nachrichten, 26.01.1998]
Ung.: Che Guevara biztosan a szegényeknek akart segíteni.
(3) Die Zahl der Kubatouristen ist 2003 deutlich gestiegen. [die tageszeitung, 05.01.2004]
Ung.: A Kubába utazó turisták száma 2003-ban jelentősen emelkedett.
(4) Die Saison ist eröffnet. [Berliner Zeitung, 05.04.2004]
Ung.: Az idény elindult. (Aktiv)
Rein grammatisch gesehen könnte dieser Satz im Zustandspassiv wiedergegeben werden, in diesem Fall ist aber die Verwendung der Passivform nicht akzeptabel. In solchen Fällen verwendet das Ungarische die Aktivform. (s. oben)
(5) Zwischen elf und 14 solcher Arbeitsplätze werden jährlich geschaffen. [Kleine Zeitung, 09.01.2000]
Ung.: 11-14 ilyen munkahelyet teremtenek évenete. (Aktiv)
(6) Wir werden diese Inszenierung ganz rasch vergessen haben. [Die Zeit (Online-Ausgabe), 25.04.2001]
Ung.: Ezt a rendezést majd biztosan hamar elfelejtjük.
(7) Vor vier Wochen wurde ein Friedensabkommen für Südsudan unterschrieben. [die tageszeitung, 08.02.2005]
Ung.: Négy héttel ezelőtt békemegállapodást írtak alá Dél-Szudánnal. (Aktiv)
Die Verbindung der Hilfsverben mit einem Vollverb oder Modalverb wird Verbalperiphrase genannt. Die Verbalperiphrase ist eine komplexe Verbform, sie heißt auch "umschriebene", "periphrastische" oder "analytische" Verbform. In den zusammengesetzten Tempuskategorien (Präsensperfekt, Präteritumperfekt, Futur, Futurperfekt) und im Passiv kommen nur Verbalperiphrasen zur Geltung.
Rektion und Funktion der Hilfsverben
Die Hilfsverben werden nach ihrer Rektion und Funktion im verbalen Paradigma in drei Gruppen geordnet:
- haben und sein
- werden in der Verwendung von werden I (= werden in Tempus- und Moduskonstruktionen)
- werden in der Verwendung von werden II (= werden in Passivkonstruktionen)
haben und sein dienen in erster Linie zur Bildung der periphrastischen Formen des Präsensperfekts und Präteritumperfekts im Indikativ und in den entsprechenden Konjunktiven:
- Beide Hilfsverben regieren dabei das Partizip II eines Vollverbs:
- Er hat/hatte gearbeitet.
Er habe/hätte gearbeitet. - Er ist/war gekommen.
Er sei/wäre gekommen.
- Er hat/hatte gearbeitet.
- haben regiert auch das Partizip eines Modalverbs (a) oder den
Infinitiv eines Modalverbs (b):
- Er hat gewollt.
- Er hat kommen wollen.
- Nur sein wird zur Bildung der beiden Perfektparadigmen im
werden-Passiv gebraucht. Es regiert dann die Partizipialsonderform
worden von werden II, auf diese Weise wird eine zweifache
Präfigierung von ge- (beim Vollverb und beim Hilfsverb) vermieden (vgl.
b):
- Er ist/war gerufen worden.
Er sei/wäre gerufen worden. - *Er ist gerufen geworden.
- Er ist/war gerufen worden.
werden I dient zur Bildung der periphrastischen Tempusformen des Futurs und des Futurperfekts sowie der konjunktivischen würde-Form. In dieser Verwendung regiert werden
- den Infinitiv eines Vollverbs:
Das Mädchen wird/werde/würde rufen. - den Infinitiv eines Modalverbs:
Das Mädchen wird arbeiten müssen. - den Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein
(bzw. den Infinitiv Perfekt):
Das Mädchen wird gerufen haben.
Das Mädchen wird gekommen sein. - den Infinitiv werden II:
Das Mädchen wird gerufen werden.
werden II dient zur Bildung des werden-Passivs im Indikativ und in den entsprechenden Konjunktiven. In dieser Verwendung regiert werden
- das Partizip II eines Vollverbs:
Das Mädchen wird/wurde gerufen.
Das Mädchen werde/würde gerufen. - das Partizip II eines Modalverbs (in Vollverbverwendung):
Das wird immer gewollt.
Das werden-Passiv wird hier als zentrales Passiv betrachtet. Am Rande des verbalen Paradigmas befindet sich das sein-Passiv. Dabei handelt es sich um Kombinationen aus dem Hilfsverb sein und dem Partizip II:
Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die Rektion der einzelnen Hilfsverben und die Funktion der jeweils entstehenden Verbalkomplexe:
Hilfsverb | regierte infinite Verbform | Funktion des Verbalkomplexes |
sein | Partizip II eines Vollverbs | Präsensperfekt
und Präteritumperfekt, sein-Passiv |
sein | worden | Präsensperfekt und Präteritumperfekt im werden-Passiv |
haben | Partizip II eines Vollverbs/Modalverbs, Infinitiv eines Modalverbs | Präsens- und Präteritumperfekt |
werden I | Infinitiv eines Vollverbs/Modalverbs, Infinitiv des Hilfsverbs haben/sein (Infinitiv Perfekt), Infinitiv werden II | Futur, Futurperfekt, konjunktivische würde-Form |
werden II | Partizip II eines Vollverbs/Modalverbs | werden-Passiv |
Die ungarischen Hilfsverben dienen, ähnlich den meisten deutschen Hilfsverben, zur Bildung der periphrastischen Tempusformen bzw. des Passivs (im Ungarischen nur Zustandspassiv):
Hilfsverb/Hilfswort | regiertes Hauptverb | Funktion des Verbalkomplexes |
fog | Infinitiv des Vollverbs | Futur |
volna (trägt die Kategorie Modus) | flektierte Form des Vollverbs hinsichtlich des Tempus und der Person | Konditional im Präteritum |
van | 'Verbaladverb' | Zustandspassiv |
Vollverbverwendung der Hilfsverben haben, sein und werden
Die Verben haben, sein und werden können auch als Vollverben verwendet werden.
haben
Im VALBU - Valenzwörterbuch deutscher Verben werden alleine 17 unterschiedliche Bedeutungen für die Vollverbverwendung von haben angenommen.
Die Bedeutung "mit etw. ausgestattet sein" hat haben z. B. in Satz (1):
(1) Am Anfang hatte Eichel Glück. [die tageszeitung,
13.05.2004]
Ung.: Eichelnek kezdetben szerencséje
volt.
"von etwas befallen sein" in Satz (2):
(2) Max […] und Maren […] wird klar, dass der Igel Flöhe
gehabt haben muss. [ZDF mediathek, 27.02.2007]
Ung.: Maxnak és
Marennek világossá vált, hogy a sün biztosan bolhás volt.
sein
Unter sein verzeichnet das VALBU Vollverbverwendungen, wie z. B. "von irgendwoher stammen" in Satz (3):
(3) Sie ist aus Småland. [die tageszeitung,
09.12.2005]
Ung.: Smålandból való.
"etwas vertreten" in Satz (4):
(4) Der Kaiser war der Überzeugung, daß der "Unwahrheit" kein
Existenzrecht gebühre. [Frankfurter Allgemeine, 24.09.2005]
Ung.: A
császár azon a meggyőződésen volt, hogy az igaztalan állításoknak
nincsen létjogosultsága.
werden
Auch für werden sind Vollverbbedeutungen verzeichnet:
Im Sinne von "entstehen" in Satz (5):
(5) Egal, was wird - es wird mich so oder so weiterbringen.
[Hamburger Morgenpost, 06.05.2005]
Ung.: Mindegy, mi lesz - ez így
vagy úgy továbbvisz engem.
Oder in der Bedeutung von "gesund werden" in Satz (6):
(6) "Das wird wieder, Kaptein. Bloß keine Panik. Das ist alles
nicht ansteckend." [Hartwig, Hansi: Suse an Bord. S. 277]
Ung.: Csak
semmi pánik, kapitány, helyre fog jönni. Ez [a betegség] egyáltalán nem
fertőző.
Das ungarische Hilfsverb volna (modales Hilfswort) kommt nicht als Vollverb vor, van verfügt über mehrere Bedeutungen (s. unten). fog vefügt wie haben im Deutschen ebenfalls über mehrere Bedeutungen darunter auch über Vollverbbedeutung.
sein und werden als Kopulaverben
(Ungarische Bezeichnung: kopula)
Als Kopulaverben dienen sein und werden der Zuschreibung einer Identifikation, einer Eigenschaft (7) und bei Personen oft auch einer Berufsbezeichnung (8):
(7) Das Projekt war eine schöne Erfahrung. [Frankfurter Allgemeine, 05.09.2001]
(8) Erst später macht sie die Begabtenprüfung für die Pädagogische Hochschule und wird Lehrerin. [die tageszeitung, 23.01.2006]
Das ungarische Kopulaverb van dient ebenfalls der Zuschreibung von Identifikation und Existenz, z.B.:
A kirándulás szép volt. (Der Ausflug war schön.)
In der dritten Person Singular Indikativ Präsens erscheint das Kopulaverb nicht im Satz, z.B.:
Az ünnep szép ø. (Das Fest ist schön.) vs. Az ünnep szép volt. (Das Fest war schön.)
Selten kann van im Satz erscheinen, wenn es betont ist bzw. wenn es Existenz (dt. es gibt), Besitzverhältnisse (dt. haben) bezeichnet, in Verbindung mit einem Adverbial steht und eine Menge oder Maß ausdrückt, z.B.:
5 óra van. (Es ist 5
Uhr.)
Mi van a dobozban? (Was
ist in der Schachtel?)
Besitzverhältnisse:
Van három jó barátom. (Ich habe drei gute Freunde.)
Das Kopulaverb marad drückt eine aspektuelle Bedeutung aus:
A barátnőm mindig vidám marad. (Meine Freundin bleibt immer glücklich.)