Begründung der Wortarten-Klassifikation
In der Geschichte der Sprachwissenschaft hat es seit der Antike immer wieder Versuche einer Strukturierung des Wortschatzes einer Sprache nach Wortarten gegeben. Anzahl und Art der ermittelten Klassen differieren dabei erheblich, etwa von den zwei Hauptklassen bei der semantischen Klassifikation in der bei Plato und Aristoteles begründeten griechisch-römischen Tradition (referierend vs. prädizierend; Onoma und Rhema; entspricht etwa der Unterscheidung zwischen Nomen und Verb) bis zu den 51 syntaktisch begründeten Klassen fürs Deutsche bei Bergenholtz/Schaeder (1977).
"Wir werden sagen können: in der Sprache (...) haben wir verschiedene Wortarten. Denn die Funktion des Wortes 'Platte' und des Wortes 'Würfel' sind einander ähnlicher als die von 'Platte' und von 'd'. Wie wir aber die Worte nach Arten zusammenfassen, wird vom Zweck der Einteilung abhängen, - und von unserer Neigung. Denke an die verschiedenen Gesichtspunkte, nach denen man Werkzeuge in Werkzeugarten einteilen kann. Oder Schachfiguren in Figurenarten." (Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, §17)
Prinzipiell kann man den Wortschatz einer Sprache nach ganz verschiedenen Kriterien in Gruppen einteilen, etwa nach der Anzahl der Buchstaben, Silben oder Morpheme, in Wörter mit gleichem Wortstamm (sogenannten Wortfamilien) oder nach semantischen Feldern wie "Werkzeuge", "Fortbewegungsarten", "Sinneseindrücke" usw.
Nach rein morphologischen und syntaktischen Merkmalen kann man z. B. folgende Klassen von Wörtern bilden, die
- zusammen mit einem Artikel wie der, ein, dieser eine im Satz verschiebbare Einheit bilden: die Kuh, die Milch, ein Leben, aber nicht: der rot, der aber, der auf, dieser gehen, ein weil usw.
- zusammen mit einer Nominalphrase, deren Kasus sie bestimmen, eine verschiebbare Einheit - eine Präpositionalphrase - bilden: durch den Wald, an den Vater, über den Zaun, aber zum Beispiel nicht: durch rot, auf aber, an weil, weil den Wald, grün den Zaun, Wald den Zaun usw.
- über ein Tempusparadigma verfügen: gehe, ging, bin gegangen, sehe, sah, werde sehen usw.
Etwas komplizierter steht es mit semantischen Einteilungskriterien. Zwar
werden seit je her Wortarten auch nach ihren semantischen Eigenschaften gekennzeichnet oder sogar
benannt (Das Substantiv hat seiner Wortwurzel nach etwas mit Substanz, das Nomen mit Namen zu tun),
es ist aber fraglich, inwieweit semantische Merkmale für alle Wortarten a) distinktiv, b)
grammatisch relevant und c) auf eine einheitliche Bedeutungstheorie zurückzuführen sind. In einer
Traditionslinie etwa werden auf die außersprachliche Wirklichkeit bezogene Kategorien wie
"Gegenstand", "Eigenschaft", "Prozess", "Relation" die drei Wortarten
Nomen (Substantiv),
Adjektiv, Verb
und eine Restkategorie, die z. B. Präpositionen und
Junktoren enthält, differenziert.
Aber
bezeichnen Nomina wie Härte oder Schönheit im Unterschied zu
hart und schön Gegenstände oder Eigenschaften? Bezeichnet
Explosion einen Gegenstand oder einen Prozess? Bezeichnet das Verb in
das beruht auf einem Irrtum oder in A ist mit B verbunden Prozess
oder Relation, und was bezeichnen Ausdrücke wie doch, auch, ja, hm, gern, vielleicht,
müssen, dürfen, ich, hier, jetzt ?
Aufgrund relational-semantischer
Bezeichnungen wie z. B. kausal, konzessiv, temporal lassen sich wiederum Mengen bilden, deren
Elemente der unterschiedlichen Wortarten zuordenbar sind. Zum Beispiel bezeichnen
weil (Subjunktor), denn (Konjunktor), wegen
(Präposition) sämtlich eine kausale Relation zwischen zwei Sachverhalten.
Im Rahmen einer kommunikativ-funktionalen Grammatik werden auch Wortarten funktional-semantisch bzw. funktional-pragmatisch, das heißt nach ihren kommunikativen Aufgaben und Zwecken im (Sprach-)Handlungszusammenhang, unterschieden. Dabei beschreibt man ihre jeweilige Leistung für elementare sprachliche Funktionen wie z. B. das Entwerfen von Gegenständen und Sachverhalten durch Nomina oder deren thematische Fortführung durch Pronomina.
In welchem Verhältnis stehen aber nun die morphologischen, syntaktischen und
funktional-semantischen Charakterisierungen zueinander? Prinzipiell sind homogene Klassifikationen
denkbar, die sich nur eines Kriteriums bedienen. Nach dem morphologischen Kriterium
"flektierbar/nicht flektierbar" z. B. zerfallen Wörter in zwei Großklassen, wobei innerhalb der
flektierbaren noch weiter nach den Flexionskategorien untergliedert werden kann.
Bei
solch einer homogenen Klassifizierung fallen nicht veränderbare Einheiten wie Milch, man,
allerlei in eine Klasse mit doch, nun, ja, nicht, dass und
zu. Eine so gewonnene Klasse wäre allerdings zu groß, um irgendwie operabel zu sein. Die
morphologische Charakterisierung muss also mindestens um eine syntaktische ergänzt werden. Diese
bezieht sich z. B. auf
- die Möglichkeit und die Art und Weise der Phrasenbildung,
- die Position in der linearen Satzstruktur (z. B. ob eine Einheit selbständig im Vorfeld stehen kann),
- die syntagmatischen Beziehungen zu anderen Einheiten im Satz (z. B. ob eine Einheit eine andere Konstituente im Satz hinsichtlich einer Kategorie wie Numerus, Person oder Kasus regiert oder darin mit ihr kongruiert, ob sie Valenz-Leerstellen für andere Konstituenten eröffnet).
Syntaktisch-distributionelle Eigenschaften werden vor allem bei der Klassenbildung der
unflektierbaren Wortarten relevant. Ohne Charakterisierungen wie "bildet mit Artikel zusammen eine
Nominalphrase", "regiert ein Nomen im Genitiv" könnten aber Einheiten wie Tasse
oder wegen nicht den Klassen Nomen bzw. Präposition zugeordnet werden.
Schließlich kommen - vor allem bei der Feindifferenzierung in Subklassen - auch
funktional-semantische Kriterien zum Tragen: so kann etwa unter semantischen Gesichtspunkten
man den Pronomina zugeordnet werden,
obwohl es - anders als die meisten Pronomina - nicht flektiert. Auch können die
Artikel der, ein, jener nach der Art
des Verweises, den ein Sprecher mit ihnen in einer sprachlichen Handlung macht, in die Subklassen
definiter Artikel, indefiniter Artikel, Demonstrativ-Artikel
eingeteilt werden.
Auf diese Weise ermittelten wir die neun distinktiven Klassen Nomen, Pronomen, Artikel, Adjektiv, Verb, Präposition, Adverb, Partikel und Junktor, die ihrerseits wieder in feiner gerasterte Unterklassen zerfallen. Die neun Großklassen sind terminologisch und dem Gegenstand nach weitgehend mit traditionellen Wortarten identisch, dagegen findet sich bei den Subklassen manches Neue.
Bei der von uns zugrundegelegten Merkmalshierarchie mit morphologischem und syntaktischem Primat lassen sich manche traditionellen Klassen wie "Interrogativpronomen", "Relativpronomen", nicht sauber als Wortarten klassifizieren. Solche Klassen enthalten - bei einer funktionalen Einheitlichkeit - formal recht unterschiedliche Elemente, die im Rahmen unserer Wortarteinteilung auch verschiedenen Wortarten angehören. Um diese unter funktionalem Gesichtspunkt dennoch adäquat beschreiben zu können, fassen wir sie als zu den Wortarten querliegende Klassenbildungen zusammen: Es sind die Klassen der Interrogativ-Elemente, Relativ-Elemente und der interaktiven Einheiten.
Die Norsk referansegrammatikk (1997: 20ff.), die hier als wichtigste Grundlage für die Beschreibung des Norwegischen dient, verwendet eine ähnliche Hierarchie der Merkmale bei der Abgrenzung der Wortarten, d. h. morphologische vor syntaktischen und semantischen. Es werden für das Norwegische auf dieser Basis zehn Wortarten unterschieden: Nomen (norw. substantiv), Verb (norw. verb), Adjektiv (norw. adjektiv), Pronomen (norw. pronomen), Artikel/Determinativ (norw. determinativ), Präposition (norw. preposisjon), Adverb (norw. adverb), Konjunktor/Konjunktion (norw. konjunksjon), Subjunktor/Subjunktion (norw. subjunksjon) und Interjektion (norw. interjeksjon). Für die meisten dieser Wortarten werden wiederum Subklassen unterschieden.
Die Norsk referansegrammatikk arbeitet mit einer vergleichbaren Klasseneinteilung wie der hier vorliegenden für das Deutsche. Unterschiede betreffen die Konjunktoren/Konjunktionen und Subjunktoren/Subjunktionen, die als getrennte Wortarten behandelt werden, sowie die Interjektionen, die als eine eigene Klasse beschrieben werden.
Weiterhin gibt es keine besondere Darstellung von funktionalen Klassen, die zu mehreren Wortarten gehören. Diese werden jeweils gemäß ihrer syntaktischen Funktion klassifiziert (Fragewörter wie hva (was) und hvem (wer) beispielsweise als Pronomen, hvilken hingegen als Artikel/Determinativ). Auch im Norwegischen betrifft dies die Interrogativ- und die Relativ-Elemente – Interjektionen werden wie erwähnt als eigene Wortart geführt.
Bei der Beschreibung der Wortarten werden jedoch die Pro-Wörter gesondert dargestellt. Diese werden nach der syntaktischen Funktion der Wortart, für die sie stehen können, klassifiziert, beispielsweise das Fragewort hvordan (wie) als Adjektiv.
Die Wortarten-Klassifikation der Norsk Referansegrammatikk weicht jedoch an einigen Stellen von der traditioneller Grammatikdarstellungen des Norwegischen ab. So werden Wörter wie inne (drinnen), ute (draußen) und der (dort, wo), die traditionell zu den Adverbien gerechnet werden, als Präpositionen aufgefasst (die ggf. intransitiv sein können).