Informationsstruktur des Mittelfeldes
Hier wird der Beitrag des Mittelfelds zur Informationsstruktur von Sätzen beschrieben. Aus zwei Gründen ist das Mittelfeld für die Informationsstruktur besonders wichtig: Wegen der relativen Unfestigkeit der Abfolge besonders im Mittelteil des Mittelfelds kann dieser besonders gut zur kommunikativen Gewichtung genutzt werden. Und zweitens finden sich im Mittelfeld meist mehr Stellungseinheiten als in den anderen Stellungsfeldern. D. h. das Potenzial an Umstellungen und damit an kommunikativer Strukturierung ist größer als in den anderen Feldern.
Da es im Norwegischen keine Satzklammer gibt, kommt dem Mittelfeld im Norwegischen informationsstrukturell keine so große Bedeutung zu wie im Deutschen (vgl. Informationsstruktur und Stellungsfelder im Norwegischen). Viele der Elemente, die im Deutschen im Mittelfeldes stehen, sind im Norwegischen im Nachfeld wiederzufinden, und zwar meist in gespiegelter Reihenfolge, was als Folge der unterschiedlichen Direktionalität der beiden Sprachen angesehen werden kann (vgl. Struktur und Funktion des Nachfeldes im Norwegischen). Das Mittelfeld ist vor allem der Ort für das Subjekt, wenn dieses nicht im Vorfeld steht (in Schema-B-Sätzen obligatorisch) sowie für einige Supplemente. Objekte können nur bei einteiligem Verbalkomplex im Mittelfeld stehen und das indirekte Objekt dann nur in pronominaler Form (und zwar vor dem direkten Objekt). Die Möglichkeiten informationsstruktureller Differenzierungen mit Hilfe der Variation der Wortstellung sind im Norwegischen also deutlich eingeschränkter als im Deutschen. Stattdessen werden eher spezielle syntaktische Konstruktionen für informationsstruktuelle Zwecke (z. B. die Fokussierung) genutzt. Die Wortstellung dient dagegen mehr der Kennzeichnung und Unterscheidung der syntaktischen Funktion von Elementen im Satz – nicht ganz so strikt wie im Englischen, aber grundsätzlich vergleichbar.
Hintergrund-/Vordergrund-Grenze
Die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundbereich im Mittelfeld kann an folgendem Beispiel illustriert werden:
(1) (Warum findet Karl seinen Geldbeutel nicht?)
[...], | weil er seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | gestern am Bahnhof verloren hat. | |
Hintergrund | Vordergrund |
Das modal abschwächende Satzadverb wahrscheinlich in Beispiel (1) lässt sich weder dem Hintergrund (grau hinterlegt) noch dem Vordergrund (gelb) zuordnen. Abtönungspartikeln, assertive und modal abschwächende Satzadverbialia sind nicht Teil des informativen Gehalts, sie beziehen sich auf den Sprecher bzw. auf die Interaktion der Kommunikationsteilnehmer. Sie markieren im Mittelteil des Mittelfeldes die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten, sofern sie keinen eigenen Gewichtungsakzent tragen, der sie selbst als Vordergrundeinheiten kennzeichnet (vgl. Karl hat ihn wahrscheinlich verloren, sicher ist das aber nicht.). Negative Satzadverbialia wie nicht, die den rechten Innenrand des Mittelfeldes einleiten, sind hingegen fast immer Teil der Vordergrundinformation:
(2) (Wo hat Karl seinen Geldbeutel verloren?)
Er hat seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | nicht am Bahnhof | verloren. |
Der rechte Satzklammerteil kann wie in (1) zum Vordergrund oder wie in (2) zum Hintergrund gehören oder sogar die einzige Vordergrundeinheit sein, z. B.:
(3) (Was ist gestern am Bahnhof mit Karls Geldbeutel passiert?)
Karl hat seinen Geldbeutel gestern am Bahnhof | wahrscheinlich | verloren. | (...d. h. er wurde nicht gestohlen.) |
Im Norwegischen kommt (1') der Bedeutung/Informationsstruktur von (1) am nähesten – das (norw.) setningsadverbial sannsynligvis steht hier im Mittelfeld, die Entsprechungen der anderen deutschen Mittelfeldelemente stehen im Nachfeld:
(1') (Hvorfor finner ikke Karl lommeboken sin?)
... fordi han sannsynligvis mistet lommeboken sin ved togstasjonen i går.
Eine vergleichbare Informationsstruktur (mit Negation und entsprechendem Akzent auf (nicht) am Bahnhof / (ikke) ved togstasjonen kann im Norwegischen nur mit Hilfe einer speziellen syntaktischen Konstruktion, nämlich einer Präsentierungskonstruktion, sichergestellt werden:
(2') (Hvor mistet Karl lommeboken sin?)
Det var nok ikke ved togstasjonen (at) han mistet lommeboken sin.
Eine vergleichbare Informationsstruktur wie in Beispiel (3), mit Kontrastakzent auf verloren / mistet hat am ehesten folgender norwegische Satz, allerdings nur mit entsprechendem Akzent auf mistet – der Satz kann im Unterschied zur deutschen Version auch mit anderen Akzentuierungen gelesen werden:
(3') (Hva skjedde med Karls lommebok ved togstajsonen i går?)
Sannsynligvis mistet Karl lommeboken sin ved togstasjonen i går.
Die Grenzmarkierung zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten muss immer im Zusammenhang mit der Intonation gesehen werden. Falls nicht anders angegeben, wird in den vorliegenden Beispielen immer von einer unmarkierten Lesart ausgegangen, die den Gewichtungsakzent (rot markiert) auf eine Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze legt.
Die typische Informationsstruktur im Mittelfeld, bei der der Gewichtungsakzent auf einer Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze liegt, sieht so aus:
Übung: Hintergrund - Vordergrund
Änderung der Informationsstruktur
Änderungen in der Informationsstruktur können sowohl im Bereich der weniger stellungsfesten Einheiten im Mittelteil als auch im Bereich der besonders stellungsfesten Einheiten an den Innenrändern vorkommen. Ihre Auswirkungen auf die kommunikative Gewichtung innerhalb des jeweiligen Satzes können je nach Stellungsvariabilität der zu verschiebenden Einheit schwach oder stark sein.
Eine schwache Änderung der Informationsstruktur erfolgt, wenn weniger stellungsfeste Einheiten aus dem Hintergrund in den Vordergrund und umgekehrt verschoben werden, z. B.:
(4) (Was ist Karl gestern am Bahnhof passiert?)
Karl hat gestern am Bahnhof | wahrscheinlich | seinen Geldbeutel verloren. |
(4') (Was ist mit Karls Geldbeutel passiert?)
Karl hat seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | gestern am Bahnhof verloren. |
Der Unterschied zwischen (4'') und (4'''), also die Beantwortung der Fragen, was mit Karl bzw. seinem Geldbeutel passiert ist, kann im Norwegischn nicht durch Variation der Wortstellung, sondern nur durch unterschiedliche Akzentuierung deutlich gemacht werden. Schwierig ist dabei die Platzierung des (norw.) setningsadverbial sannsynligvis, da es mit einem der deutschen Version vergleichbar weiten Skopus nur im Vorfeld oder Mittelfeld stehen kann (ähnliche Probleme gibt es auch in den vorangegangenen Beispielen):
(4'') (Hva skjedde med Karl ved togstasjonen i går?)
Karl mistet sannsynligvis lommeboken sin ved togstasjonen i går.
(4''') (Hva skjedde med Karls lommebok i går?)
Karl mistet sannsynligvis lommeboken sin ved togstasjonen i går.
Eine schwache Änderung der Informationsstruktur (ohne Zuhilfenahme besonderer intonatorischer Mittel) kann besonders gut durch Nach- bzw. Voranstellung von nicht-pronominalen Komplementen vorgenommen werden, da diese generell weniger stellungsfest sind. Die folgenden Beispiele zeigen Abweichungen von den Prinzipien der Stellung der Komplemente im Mittelfeld in Verbindung mit einer leichten Änderung der Informationsstruktur.
Subjekt im Vordergrund:
Bei Sätzen im Passiv mit Subjekt (werden- bzw. sein-Passiv mit Subjekt) erscheint das Passivsubjekt (fett) – an sich ein typisches Hintergrundelement – häufig direkt vor dem rechten Innenrand, also im Vordergrundbereich (a). Das Passivsubjekt kann aber auch im üblichen Hintergrundbereich stehen (b):
(a) In Deutschland sterben jeden Tag durchschnittlich drei Menschen, weil Organe von Spendern fehlen.
Mit einer neuen Kampagne sollen nach Angaben der Bundesapothekerkammer nun | rund eine Million Spender geworben werden. | [dpa, 22.09.2008] |
(b) Seit die ägyptische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat im Jahr 1979 das historische Friedensabkommen mit Israel in Camp David unterzeichnete,
wird das Land am Nil von den USA | massiv finanziell unterstützt. | [Berliner Zeitung, 27.07.2006] |
Bei Existenzverben, z. B. existieren, bestehen, sich befinden, stattfinden, entstehen, erscheinen:
(c) Doch gibt es sie noch, die Langeweile? Zu warten, bis etwas passiert? Viel zu selten! Dabei kann man im besonderen bei Kindern beobachten,
dass aus Langeweile | ein sehr kreativer Prozess entsteht. | [St. Galler Tagblatt, 04.08.1998] |
Dativkomplement im Hintergrund:
Bei relationalen Verben (z. B. anpassen, gegenüberstellen, unterordnen, vorziehen) kann die typische Abfolge der Kasuskomplemente, nämlich Akkusativkomplement (Einordnungsgröße) » Dativkomplement (Orientierungsgröße) (wie in (d)) umgestellt werden. Die Orientierungsgröße (fett) wird dann dem Hintergrund zugeordnet (d'):
(d) | Er stellte die Erfolge der ersten 100 Tage | dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahre | gegenüber. |
(d') | Er stellte dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahre | die Erfolge der ersten 100 Tage | gegenüber. |
Träger belebter Rollen im Vordergrund:
Bei Transaktionsverben (z. B. geben, überreichen, aushändigen) geht es um die Änderung der üblichen Abfolge belebt >> unbelebt (vgl. Stellung der Komplemente im Mittelfeld), wobei dann das Dativkomplement (fett) als typischer Träger einer belebten Rolle nach dem unbelebten Akkusativkomplement steht:
(e) Ein 23jähriger Postbediensteter stahl in den vergangenen Jahren im Postamt Hernals insgesamt acht Kreditkarten und übergab sie seinem Komplicen, einem 29jährigen Arbeitslosen.
Der wiederum händigte das "Plastikgeld" | einem weiteren Mittäter | aus, |
der damit bei Juwelieren Schmuck kaufte. Das Trio ist in Haft. [Neue Kronen-Zeitung, 13.08.1994]
(f) Er [Melzow] zog von Ort zu Ort in westlicher Richtung und war 1945 in Thüringen angelangt, als dieses Land von den Amerikanern besetzt wurde. [...]
Nachdem die Amerikaner Thüringen | den Russen überlassen hatten, | setzte sich Melzow alias Schneider nach der Bizone ab |
[Pinkwart, Heinz (1963): Mord ist schlecht für hohen Blutdruck, 176]
Das ist aber nicht möglich, wenn das Akkusativkomplement (fett) eine Vordergrundeinheit (und meist indefinit realisiert) ist (g). Die Abfolge (g') ist allenfalls im Kontrastfall mit starkem Gewichtungsakzent (den hungernden Ägyptern) möglich:
(g) Später liefern die Amerikaner den hungernden Ägyptern | Weizen. | [Bildzeitung, 09.06.1967] |
(g') *Später liefern die Amerikaner Weizen | den hungernden Ägyptern. |
Alle durch Umstellung erzeugten Änderungen der kommunikativen Gewichtung können auch durch Verlagerung des Gewichtungsakzents erreicht werden. Akzentuierungen, die von denen in sachlich-neutraler Rede üblichen abweichen, evozieren den Kontrast zu einem im Vortext erwähnten Sachverhalt (vgl. Wortstellung und Intonation). Es gibt also zur Gestaltung der Informationsstruktur eine stellungsorientierte und eine intonatorische Möglichkeit.
- Der Sprecher kann das Element mit dem stärksten Informationsgewicht an das Ende des Mittelfelds setzen, wobei dann der Gewichtungsakzent automatisch und nicht in besonderer Weise markierend hinzutritt.
- Der Sprecher kann ein Element im Hintergrundbereich (z. B. am Anfang des Mittelfelds) mit einem besonderen Gewichtungsakzent hervorheben.
Übung: Schwache Änderung der Informationsstruktur
Eine starke Änderung der Informationsstruktur liegt vor, wenn es Stellungsveränderungen im prinzipiell viel festeren Vordergrundbereich gibt, der den rechten Innenrand des Mittelfeldes (grün) abdeckt. Ein Beispiel für die Besetzung des rechten Innenrandes:
(5) | Bisher hat Griechenland die Partner | nicht | konkret | um Hilfe | gebeten. | [Financial Times Deutschland (online), 26.03.2010] |
negatives Satzadverbiale | >> | Verbgruppenadverbiale | >> | Präpositivkomplement |
Wenn diese Vordergrundabfolge verändert wird, ändert sich auch die Informationsstruktur. Dies lässt sich beispielhaft an der Stellung der Negationspartikel nicht zeigen. Der spezifische Wirkungsbereich, d. h. der Fokus, der Negationspartikel kann entweder verlagert (6b) oder aufgespalten (7b) werden:
Verlagerung des Fokus (eckige Klammer), z. B.:
(6b) (...) dass er nicht [heute] kommt.
Die Folge der Verlagerung ist, dass eine Hintergrund- zur Vordergrundeinheit wird. Damit kann durch Umstellung und intonatorische Hervorhebung mehr kommunikatives Gewicht auf eine bestimmte Einheit gelegt werden.
In der norwegischen Entsprechung dieser Beispiele kann die Informationsstruktur nur durch intonatorische Hervorhebung verändert werden, nicht durch Veränderung der Stellung des Negationsadverbs:
(5') Inntil nå har ikke Hellas direkte bedt partnerne om hjelp.
(6a') (...) at han ikke kommer i dag.
(6b') (...) at han ikke kommer i dag.
Aufspaltung des Fokus (fast immer in Verbindung mit so):
(7b) (...) weil es mir dort [so besonders] nicht [gefallen hat].
Denn Marianne Pohl [...] will für uns sichtbar werden lassen, was wir ohne sie wahrscheinlich [so] nicht [gesehen hätten]. [Mannheimer Morgen, 19.4.1988, 24]
[...] dass der scheidende und milde aufgelegte SPD-Vorsitzende Willy
Brandt [so unrecht] nicht [hat], wenn er der Regierung unterstellt, [...].
[nach Mannheimer Morgen, 5.6.1987, 2; im Original
Verbzweitsatz]