Kontextuell bedingte obligatorische Endungslosigkeit: Monoflexion

Im Gegensatz zu lexikalischen und phonologischen Eigenschaften, die inhärente Ei-genschaften eines Nomens darstellen, sind morphosyntaktische Bedingungen für Endungslosigkeit kontextgebunden. Vor dem Hintergrund dieses Kontrasts ist es erwartet, dass sich die Effekte morphosyntaktischer Faktoren auf die Realisierung der Genitivflexion grundsätzlich von den Effekten lexikalisch-phonologischer Faktoren unterscheiden: Letztere führen zu (potentiell) absoluter Endungslosigkeit, während Erstere einen systematischen Wegfall der Genitivendung nur in bestimmten syntaktischen Kontexten auslösen. Der prototypische Fall kontextuell bedingter Endungslosigkeit liegt bei Personennamen mit sekundärem Artikel vor. Nach Auffassung vieler Grammatiker und Grammatiken muss hier das Genitiv-s obligatorisch wegfallen, wenn der Genitiv bereits anderweitig innerhalb der Nominalphrase (z.B. am Artikel oder an einem anderen Namensbestandteil) markiert ist. In allen anderen Kontexten muss der Name die s-Endung tragen. Bei Personennamen ist das Auftreten der Nullmarkierung also nicht allein durch eine Kombination lexikalischer und phonologischer Eigenschaften motiviert, sondern zusätzlich vom morphosyntaktischen Kontext bestimmt.

Wie bereits zuvor erwähnt, wird eine quantitative Analyse der relevanten Verhältnisse bei Eigennamen allerdings dadurch erschwert, dass wir keine Möglichkeit haben, zwischen Personennamen und anderen, z.B. geografischen Namen zu unterscheiden (es liegt lediglich die Information vor, ob es sich bei einem Nomen um einen Eigennamen handelt; auf eine Nachbesserung der Ergebnisse mittels einer semiautomatischen Annotation haben wir aufgrund des erheblichen Aufwands verzichtet). Bekanntlich ist die Tendenz zur Monoflexion bei unterschiedlichen EN-Typen unterschiedlich stark ausgeprägt. Während bei Personennamen Endungslosigkeit auch im Standard fast obligatorisch zu sein scheint, ist bei geografischen Namen mehr Variation zu beobachten (eine COSMAS-Recherche (W-gesamt, DeReKo 2012-II, 12.12..2013) zu des alten Europa vs. des alten Europas hat ein Verhältnis von 447 zu 162 zugunsten der endungslosen Variante ergeben):

(1)

Gewiss eine treffliche Überschrift für die poetisch-sentimentale Bühnenschau, mit der Heiner Goebbels die Gedankenwelt eines der universellsten Gelehrten des alten Europa in knappen Sentenzen und starken Bildern ( Szene und Lichtregie : Klaus Grünberg ) auf die Bühne des Schauspiels holt.
(M04/SEP.65152 Mannheimer Morgen, 18.09.2004; Herr Canetti geht hinter den Fenstern umher und gießt Blumen)

(2)

Auf diese Weise setzt sich der Rundgang fort. Ob Jugendstil-Schmuck, klassizistische Silberdosen, Art-Deco-Juwelen von Cartier oder friderizianische Miniaturen auf Elfenbein - die ganze Weltläufigkeit des alten Europas ist hier zu bestaunen.
(B06/NOV.80316 Berliner Zeitung, 10.11.2006, Ressort: Feuilleton; Wo Stühle Schnecken sind und Tische Krallen haben [S. 30]

Auch wenn keine Trennung in verschiedene Namenstypen möglich ist, kann man im Rahmen unserer Korpusstudie zumindest den starken Einfluss der Monoflexion sichtbar machen, indem man die Tendenz zur Endungslosigkeit bei Eigennamen ohne modifizierendes Adjektiv mit den relevanten Befunden zur Kombination von Adjektiv auf -en + Eigenname vergleicht (hier muss i.d.R. ein Artikel stehen):



NullendungApostrophoverte MarkierungToken insgesamt
Eigenname (ohne Adj.-en)10.255 (0,6%)1.575.605 (85,1%)1.851.176
Eigenname + Adj.-en33.711 (35,5%)231 (0,2%)61.009 (64,3%)94.950

Tabelle 1: Einfluss der Monoflexion bei Eigennamen

Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, hat sich der Anteil der Nullendungen bei Vorliegen eines modifizierenden Adjektivs im Vergleich zu der Situation bei Eigennamen ohne Adjektivattribut mehr als verdoppelt (laut Chi-Quadrat Test ist p > 0,0005; der Wert des standardisierten Pearson-Residuums liegt für die Kombination Adjektiv+Eigenname bei 158,3). Auch hier gilt natürlich, dass der große Anteil an anderen Namenstypen, die weniger stark der Monoflexion unterliegen (des alten Europa-s etc.), die Situation bei Personennamen verschleiert. Eine genauere Untersuchung ist leider auf der Basis der vorliegenden Annotation nicht möglich. So müssen weiterführende Fragen, die z.B. das laut Duden unterschiedliche Verhalten von maskulinen und femininen Personennamen oder den Kontrast zwischen Personennamen und geografischen Namen unter Monoflexion betreffen, zunächst unbeantwortet bleiben.

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Eric Fuß
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