Auxiliarer Charakter der Modalverben
Für den auxiliaren Charakter der Modalverben sprechen die Valenzübertragung und die Auswirkungen der adverbialen Modifikation bzw. der Negation.
Valenzübertragung
Das Modalverb gibt alle syntaktischen und semantischen Eigenschaften des Infinitivs, auf dem es operiert, an den Verbalkomplex weiter (vgl. Valenzübertragung und Konversion). Dafür spricht u. a., dass jede beim Vollverb mögliche Passivvariante auch beim Modalverb möglich ist:
(1a) An diese Sache muss ernsthaft herangegangen werden.
(2a) Er muss das Buch geschenkt bekommen.
(3a) Ihm kann geholfen werden.
Auch die Möglichkeit, subjektlose Verben wie etwa frieren in mich friert oder regnen in es regnet durch ein Modalverb zu erweitern, ohne dass nun etwa ein Subjekt eingefügt werden müsste, spricht für die hier vorgeschlagene Analyse:
(5) Es kann heute noch regnen.
Besonderheiten bei adverbialer Modifikation bzw. Negation
Der auxiliare Charakter der Modalverben bei der Konstitution des Verbalkomplexes wird dadurch unterstrichen, dass eine zweifache adverbiale Modifikation durch Adverbialia ähnlicher Bedeutung, also eine bezogen auf den Infinitiv und eine auf das Modalverb, kaum möglich erscheint.
aber:
(2) Er lernte mit einiger Mühe, gut Englisch zu sprechen.
Allerdings sind Modalverbkomplexe offener für mehrfache und/oder bezugsvariable Adverbialia als Hilfsverbkomplexe. Graduierende und negierende Adverbialia sind dabei überwiegend modalverbbezogen:
(4) Er konnte sich nicht so recht auf das Spiel konzentrieren.
Man kann bei (3) und (4) fragen: Was kannst du kaum/konnte er nicht so recht?
Aber auch Bezug auf den Infinitiv ist möglich, vor allem in kontrastierender Position, wobei die Negationspartikel durch Gewichtungsakzent hervorgehoben wird:
(6) Eine zufällige Erscheinung kann sein, kann aber auch nicht sein.
Kombination von graduierendem oder negierendem Modalverb-Adverbiale und Infinitiv-Adverbiale liegt vor in:
Weiteres Indiz für den auxiliaren Charakter der Modalverben ist, dass bei modalverbbezüglicher Negation die in einfachen verbalen Konstruktionen üblichen Verwendungsregeln für kein, nichts, niemand usw. gelten.
aber:
(8a) Es kann nicht sein/Es ist nicht möglich, dass ich jemanden sehe.
(9a) Ich esse nichts.
Modalverbnegation verhält sich hier wie Negation von Verben mit Infinitivergänzungen in kohärenter Konstruktion (Ich wage niemanden anzusprechen. Ich hoffe niemanden zu verletzen), nicht wie die Negation einer übergeordneten Konstruktion mit es kann sein/es ist möglich.