Semantische Regeln der Genuszuweisung
Mein Opa hatte mir nichts hinterlassen
als Briefe
auf malizianisch, verblichene Fotos
[...] und ein Motorrad der Marke
Indian.
Das Indian - wie er sein Motorrad stets nannte,
weil er
mit seinem malizianischen Sprachgefühl einfach
nicht begreifen konnte,
wieso
man den weiblichen Artikel vor den
männlichen Markennamen eines sächlichen Produkts
setzte.
Antonio
Skármeta
Regeln, die die Genuszuweisung semantisch begründen, sind meist "Kraut und Rüben" (Heringer 1995, 205): So nennt etwa Wegera 1997, 86f als typisch für das Neutrum "Buchstaben und Wörter aller Wortarten", "Metalle" und "Städtenamen", für das Maskulinum "Personen männlichen Geschlechts", "Menschen, Berufe und Ränge ohne expliziten Bezug auf das Geschlecht", "Tageszeiten", "Himmelsrichtungen, Winde, Niederschläge" und "Mineralien, Erden und Gesteine".
Semantisch begründete Genuszuweisungen haben aber allerlei weitere Nachteile.
- Wie bei den morphophonischen Regeln auch haben zu viele Regeln memorierunfreundliche Ausnahmen: So bezeichnen etwa die Mitternacht, die Nacht zwei von ja nur 7 Tageszeiten (Morgen, Vormittag, Mittag, Nachmittag, Abend, Mitternacht, Nacht), sind aber nicht maskulin. Die Kohle bezeichnet ein Gestein, ist aber ebenfalls nicht maskulin.
- Zu viele Regeln "scheinen in ihrer Effizienz eher bescheiden: Wochentage 8 Fälle, Monate 12, Jahreszeiten 5 (mit Lenz), Himmelsrichtungen 4, Kontinente 5, Niederschläge ?? Wer dafür Regeln lernt, ist selber Schuld, möchte man sagen. Aber Zynismus ist vielleicht nicht angebracht" (Heringer 1995, 212).
- Zu viele Regeln arbeiten mit semantischen Klassifizierungen, die nur schwer nachzuvollziehen sind: "Wissen Sie eigentlich, was alles Mineralien sind? Vielleicht kreuzen Sie mal an: Quarz, Kiesel, Marmor, Granit, Basalt, Lehm, Klinker, Riesel, Diamant, Achat, Pechblende, Uran, Jaspis, Bauxit, Borax, Glimmer" (Heringer 1995, 206).
Zwei immer wieder diskutierte semantisch begründete Regelkomplexe sollen dennoch genauer betrachtet werden.