Illokution und kommunikative Funktion

Intentionen sprachlicher Ausdrücke

Sprachliche Ausdrücke können systematisch dazu verwendet werden, bei Kommunikationspartnern bestimmte Intentionen bezüglich der Inhalte zu verwirklichen. So kann der Satz Hoffentlich regnet es bald mit dem epistemischen Modus der Hoffnung, es möge bald regnen, als Wunschäußerung interpretiert werden, und zwar als eine Wunschäußerung, die für den Adressaten ohne Konsequenzen für sein Verhalten bleibt, weil der als Tatsache erwünschte Sachverhalt (es möge bald regnen) nicht von ihm zu einer Tatsache gemacht werden kann. Die Absicht des Sprechers ist hier, dass der Adressat diesen Wunsch zur Kenntnis nimmt.


Hoffentlich regnet es bald.Wunschintention


Dagegen kann bei Imperativsätzen wie Komm doch mal her! der Wunsch nach Realisierung des beschriebenen Sachverhalts als Aufforderung an den Hörer interpretiert werden, den Sachverhalt zu einer Tatsache zu machen.


Komm doch mal her!Aufforderungsintention


Bei Imperativsatz-Äußerungen ist im Unterschied zu Äußerungen von Sätzen mit hoffentlich durch den Verbmodus Imperativ die Intention des Sprechers grammatikalisiert und damit Bestandteil der grammatisch determinierten Bedeutung. Das muss aber nicht so sein. Die Intention des Sprechers kann auch vom Hörer via Schlussmechanismen in Abhängigkeit vom Verwendungskontext zu interpretieren sein wie etwa die Aufforderungsintention des folgenden Satzes.

Hoffentlich kommst du bald mal!

Die Aufforderung ist hier als indirekt anzusehen und nicht Bestandteil der grammatisch determinierten Satzbedeutung: Der Hörer kann sie erschließen, da nur er den Wunsch des Sprechers realisieren kann.

Neben der Aufforderungsintention sind weitere Typen von Intentionen anzunehmen, die der Sprecher mit der Äußerung eines Ausdrucks verknüpft, wie die Intention, den Adressaten zu einer Antwort auf eine Frage zu bewegen (Regnet es?) oder die, den Adressaten von der Wahrheit einer Aussage, also von der Wahrheit des Inhalts eines Urteils, zu überzeugen (Es regnet!).


Regnet es?Antwortintention
Es regnet!Überzeugungsintention


Die Intention des Sprechers bezüglich des Adressatenverhaltens gegenüber dem propositionalen Gehalt eines geäußerten Ausdrucks, die Äußerungen dieses Ausdrucks in einer konkreten Kommunikationssituation zugeschrieben werden kann, nennen wir die kommunikative Funktion. In der Fachliteratur werden hierfür auch die Termini illokutive Kraft oder illokutive oder illokutinäre Rolle oder illokutive Funktion verwendet.

Kommunikative Funktion und epistemischer Modus

Die kommunikative Funktion einer Ausdrucksäußerung darf nicht mit deren epistemischem Modus verwechselt werden. Der epistemische Modus ist eine Bewertung einer Proposition durch den Sprecher, die unabhängig von der Rolle definiert ist, die der Sprecher dem Hörer bezüglich dessen Verhalten beimisst.

Zwischen epistemischem Modus und kommunikativer Funktion besteht allerdings ein enger Zusammenhang. Wir nehmen an, dass eine kommunikative Funktion höchstens Äußerungen solcher Ausdrücke zukommt, für die ein epistemischer Modus zu interpretieren ist, der die bei der Äußerung aktuelle Einstellung des Sprechers zum propositionalen Gehalt des jeweiligen Ausdrucks darstellt. So kommt dem Satz das Kind weiß das, wenn er eingebettet ist wie in Sie glaubt, das Kind weiß das, keine kommunikative Funktion zu, weil ihm dabei auch kein epistemischer Modus zukommt. Der Sprecher drückt nämlich nicht seine aktuelle Einstellung zur Proposition aus. Vielmehr wird die Einstellung einer durch sie bezeichneten Person beschrieben. Für dieses Vorkommen des Satzes das Kind weiß das kann nicht die Intention des aktuellen Sprechers, also die kommunikative Funktion, so interpretiert werden, dass der Adressat den von dem Satz beschriebenen Sachverhalt für eine Tatsache hält, wie sie für denselben Satz abzuleiten ist, wenn er zum Beispiel in folgendem Kontext verwendet wird.

[Das kannst du mir glauben:] Die Eltern wollen sich scheiden lassen, und das Kind weiß das.

Welcher Art die Beziehungen zwischen epistemischen Modi und kommunikativen Funktionen sprachlicher Äußerungen sind, muss im Rahmen einer Theorie der sprachlichen Interaktion geklärt werden. Aus welchen epistemischen Modi unter welchen Bedingungen welche kommunikativen Funktionen sprachlicher Äußerungen abzuleiten sind, ist ein empirisches Problem, das noch nicht hinreichend bearbeitet ist. Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass die kommunikative Funktion der Äußerung eines Ausdrucks nicht primär durch die Grammatik festgelegt ist - mit Ausnahme der Imperativsätze.

Wir nennen eine Einheit aus epistemischer Minimaleinheit und ihrer kommunikativen Funktion in Anlehnung an einen Sprachgebrauch aus der Sprechakttheorie, aber etwas abweichend von diesem, Illokution.



Illokution

Illokutionen sind neben Propositionen und epistemischen Minimaleinheiten ein Spezialfall dessen, was wir als propositionale Strukturen bezeichnen. Die Äußerung der Hauptillokution eines Satzes entspricht einer kommunikativen Minimaleinheit.

Konnektoren unterscheiden sich auch danach, welchen Typ von propositionaler Struktur sie als Argument nehmen können. So kann der Adverbkonnektor nämlich Illokutionen als Argumente haben.

Morgen ist Institutsratssitzung. Da sollst du nämlich hingehen und deinen Chef vertreten.

Hier nennt der Satz, der den Konnektor nämlich enthält, einen Grund dafür, dass der Sprecher dem Hörer mitteilt, dass am Tage nach der Äußerung eine bestimmte Institutsratssitzung ist. Dies liegt am Adverbkonnktor nämlich, ohne den die Äußerung des Satzes keine Begründungsäußerung wäre. Mit einem nämlich-Satz kann man das Ziel der vorangegangenen Äußerung begründen, nämlich dass der Hörer den Inhalt dieser vorangegangenen Äußerung kennt.

Für den begründenden Konnektor denn dagegen ist eine solche Bezugnahme auf die Illokution nicht möglich: Dieser kann Propositionen oder epistemische Minimaleinheiten, aber keine Illokutionen als Argumente haben.

* Morgen ist Institutsratssitzung, denn da sollst du hingehen und deinen Chef vertreten.

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Autor(en)
Eva Breindl
Bearbeiter
Elke Donalies
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