Bedeutungsrelationen

Zwischen einem Verb und abhängigen Phrasen gibt es besondere Bedeutungsrelationen, die als Anzeichen für die Einstufung einer abhängigen Phrase als Komplement oder als Supplement gelten, nämlich die

  • Sachverhaltsbeteiligung
  • Mitwirkung an der Sachverhaltskonstitution
  • Sachverhaltskontextualisierung
  • Perspektivierung
  • autonome Kodierung


Sachverhaltsbeteiligung

Die Sachverhaltsbeteiligung wird am besten anhand eines Beispiels verdeutlicht: Mit dem Verb geben wird unter anderem ein Handlungsmuster bezeichnet, indem drei Argumente, auch Aktanten oder Mitspieler genannt, einbezogen sind. Diese sind notwendig, damit die Handlung zustande kommt.

- derjenige, der etwas gibt
- derjenige, dem etwas gegeben wird
- dasjenige, das gegeben wird

Man kann diese Handlung nicht anders denken als mit Hilfe dieser drei Argumente. Auch dann nicht, wenn aus irgendeinem Grund im aktuellen Satz eines von den Argumenten nicht ausgedrückt ist, wie in Er gibt immer nur Geld. Selbst dann kann man sich die Handlung des Gebens nicht ohne einen Empfänger vorstellen, und sei dieser noch so unbestimmt.

Eine Handlung bzw. ein Vorgang bzw. ein Zustand bilden mit den Argumenten, ohne die die Handlung nicht denkbar wäre, den Sachverhalt. Die Konkretisierungen in Form von Phrasen der an einem Sachverhalt beteiligten Argumente werden als Komplemente gesehen.
Herr von Ribbeck gab dem Jungen eine Birne.
An ein Mädchen gab Herr von Ribbeck eine Birne.
Den Kindern wurde von Herrn von Ribbeck eine Birne gegeben.

Ein Test, mit dem die Sachverhaltsbeteiligung des Denotats einer Phrase geprüft werden kann, ist der Folgerungstest. Die Phrasen, die erfolgreich durch den Folgerungstest gegangen sind, werden als starke Komplementkandidaten eingestuft. Deren Komplementstatus zeigt sich meist auch in besonderen Formrelationen wie Fixiertheit oder Rektion im engeren Sinne.

Mitwirkung an der Sachverhaltskonstitution

Auch die Sachverhaltskonstitution wird am besten anhand eines Beispiels verdeutlicht. Dazu werden drei weitere Verben des Besitzwechsels in die Überlegungen einbezogen: schenken, verkaufen, vermieten Auch mit diesen drei Verben wird auf Handlungen Bezug genommen, in die drei Argumente einbezogen sind, ohne die diese Handlungen nicht denkbar wären.

- derjenige, der etwas gibt / schenkt / verkauft / vermietet
- derjenige, dem etwas gegeben / geschenkt / verkauft / vermietet wird
- dasjenige, das gegeben / geschenkt / verkauft / vermietet wird

Herr Müller gab / schenkte / verkaufte / vermietete dem jungen Mann einen Wagen.

Anhand dieser drei Argumente allerdings kann man die Verben des Besitzwechsels nicht unterscheiden. Zur Darstellung ihrer unterschiedlichen Bedeutung kommt man ohne die folgenden zusätzlichen Inhaltsangaben nicht aus:

  • Im Vergleich zur Bedeutung von schenken implizieren die Bedeutungen von verkaufen und vermieten ein Entgelt, einen Preis.
  • Im Vergleich zu den Bedeutung von schenken und verkaufen impliziert die Bedeutung von vermieten eine Zeitdauer.
  • Gegenüber Preis und Zeitdauer verhjält sich geben unspezifisch: Man kann etwas umsonst oder für einen bestimmten Preis, für immer oder für eine bestimmte Zeitdauer geben.

Die allgemeinen, unspezifizierten Informationen (irgendein Preis, irgendeine Zeitdauer) sind Teil der Verbbedeutung. Sie werden mitunter in einem Satz durch Phrasen konkretisiert. Diese Phrasen leisten einen Beitrag zur Sachverhaltskonstitution, in dem sie die allgemeinen, unspezifizierten Informationen, die in den Verbbedeutungen angelegt sind, konkretisieren, etwa den Preis bei verkaufen, Preis und Zeitdauer bei vermieten oder auch den Ort in Sätzen wie Berlin liegt an der Spree. Diesen Phrasen wird ein gewisser Komplementcharakter zuerkannt, der durch weitere formale Indizien erhärtet werden kann.

Auch zur Feststellung der Sachverhaltskonstitution kann der Folgerungstest angewendet werden.

In diesem Bereich liegt die größte Variationsbreite bei der Entscheidung Komplement oder Supplement. Für die einen wie Helbig/ Schenkel haben nur die Phrasen Komplementstatus, die auch formal vom Valenzträger bestimmt sind, und zwar durch Fixiertheit oder Rektion im engeren oder im weiteren Sinn. Anderen wie Verben in Feldern und vor allem VALBU genügt es zu Feststellung des Komplementstatus, wenn die Phrase sachverhaltskonstituierend ist und damit durch das Verb impliziert wird. Wörterbücher wie das von Helbig/ Schenkel sind primär syntaktisch orientiert, Wörterbücher wie Verben in Feldern oder VALBU sind primär semantisch orientiert.

Sachverhaltskontextualisierung

Neben der Sachverhaltsbeteiligung und der Sachverhaltskonstitution können Denotate von Phrasen auch zur Sachverhaltskontextualisierung beitragen. Das ist der Fall, wenn mit dem Denotat einer Phrase eine kontextuelle Spezifikation zu dem vom Prädikat und seinen Argumenten entworfenen Sachverhalt dargestellt wird.

Ich jogge morgens vor der Arbeit im Wald.
Wir machen eine Stunde lang Aerobics.
Weil ich meine Brille vergessen hatte, konnte ich das Etikett nicht lesen.
Zur Freude der Kinder erzählte Onkel Jakob noch eine Geschichte.

Häufig handelt es sich um räumliche oder zeitliche Spezifikationen wie im Wald oder morgens vor der Arbeit eine Stunde lang. Es kann aber auch zum Beispiel ein Grund spezifiziert werden wie bei weil ich meine Brille vergessen hatte oder eine Folge wie bei zur Freude der Kinder. Die kontextuellen Spezifikationen werden nicht aus der Bedeutung der Verben hergeleitet. Phrasen, mit denen auf Sachverhaltskontextualisierungen Bezug genommen wird, fallen durch den Folgerungstest und sind Supplementkandidaten.


Zusammenfassend kann man bis hierher sagen, dass der Komplementcharakter einer Phrase kontinuierlich abnimmt, von der Sachverhaltsbeteiligtung, über die Sachverhaltskonstitution bis hin zur Sachverhaltskontextualisierung.


Perspektivierung

Beteiligtenrollen können verschieden perspektiviert werden. Bei dem einen Verb steht die eine Rolle im Vordergrund, bei einem anderen Verb eine andere. So sind drei Argumente am Sachverhalt, auf den bei laden und beladen Bezug genommen wird, mit den folgenden Rollen beteiligt:

- derjenige, der etwas auf ein Transportmittel bringt
- dasjenige, das auf ein Transportmittel gebracht wird
- dasjenige, worauf etwas zum Transport gebracht wird, also das Transportmittel

Der Bauer lädt Heu auf seinen Wagen.
Der Bauer belädt seinen Wagen mit Heu.

Wenn mit dem Verb laden auf den Sachverhalt Bezug genommen wird, steht das auf das Transportmittel Gebrachte stärker im Vordergrund als das Transportmittel. Wird mit beladen auf den Sachverhalt Bezug genommen, dann wird das Transportmittel mehr in den Vordergrund gerückt als das, was auf etwas gebracht wird.

Die Weglassbarkeit eines Komplementkandidaten nimmt mit abnehmender Perspektivierung zu. Umso mehr eine Rolle in den Vordergrund gerückt wird, desto wahrscheinlicher ist die Phrase, mit der sie ausgedrückt wird, fixiert.

Autonome Kodierung

Einige Phrasen haben eine eigenständige relationale Bedeutung, die sie in jeden Satz transportieren, und zwar unabhängig vom Verb, mit dem sie im Satz verbunden sind. Diese Bedeutung nennt man autonome satzsemantische Information. Die Ortsbestimmung in Mannheim trägt in den folgenden Beispielen immer die gleiche Information bei, nämlich dass etwas in Mannheim situiert ist.

Ich arbeite in Mannheim.
Ich wohne in Mannheim.
Der Wasserturm steht in Mannheim.
In Mannheim kann man leben.

Gleiches gilt für die Phrase aus Angst, die immer die gleiche Information transportiert.

Er floh aus Angst.
Die Tat geschah aus Angst.
Aus Angst wollte sie nicht mehr in die Schule gehen.

Im Gegensatz zu den Phrasen mit autonomer Satzinformation gibt es Phrasen, die ihre Satzinformation aus ihrer Verbindung mit einem Verb erhalten. Typischerweise sind dies rein kasusmarkierte Nominalphrasen wie in den folgenden Beispielen. Die Phrase dem Mann bekommt ihre spezifische Satzbedeutung im Zusammenspiel mit dem Verb, mit dem sie verbunden ist.

Er gab diesem Mann Geld.
Sie ist diesem Mann hörig.
Diesem Mann blüht eine saftige Strafe.
Tut es denn diesem Mann nicht Leid, dass er seine Frau geschlagen hat?

Neben den rein kasusmarkierten Phrasen erhalten auch bestimmte Präpositionalphrasen mit verblasster Präposition ihre Satzbedeutung im Zusammenspiel mit dem Verb.

Er sitzt auf einer Bank.
Er steht auf einer Bank.
Er liest auf einer Bank.

Die Präpositionalphrase auf einer Bank transportiert hier eine autonome satzsemantische Information. Im Gegensatz dazu ist die satzsemantische Information der folgenden Präpositionalphrase auf die Musik abhängig vom Verb.

Er steht auf die Musik von Sidney Bechett.
Auf die Musik von Sidney Bechett folgte ein Stück von Benny Goodman.

Ob eine Präpositionalphrase eine autonome Satzinformation transportiert oder ihre Satzinformation durch ihre Verbindung mit einem Verb erhält, ist nicht automatisch an ihrer Form erkennbar.

Die Katze liegt auf dem Sofa.
Die Katze liegt auf der Lauer.

Phrasen mit nicht autonomer satzsemantischer Information sind Teil einer Fügung (wie auf der Lauer liegen) oder Komplement eines Verbs. Ob eine Phrase mit autonomer satzsemantischer Information als Komplement oder Supplement eingestuft wird, hängt von weiteren Kriterien ab, etwa ob sie an der Sachverhaltskonstituierung teil hat oder wie stark sie fixiert ist.

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Autor(en)
Jacqueline Kubczak
Bearbeiter
Elke Donalies
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