Verbalkomplex

Verbalkomplexe

Der Verbalkomplex bildet zusammen mit den Komplementen und den Supplementen den Satz.
Im einfachsten Fall besteht der Verbalkomplex aus einer finiten Verbform (Beispiel (1)). Er kann aber auch aus mehreren Verbformen bestehen, von denen eine finit sein muss. In diesem Fall, der eigentlich erst die Bezeichnung Verbalkomplex rechtfertigt, weil er aus mehreren verbalen Elementen besteht, wird eine infinite Verbform oder eine Gruppe infiniter Verbformen durch ein finites Hilfsverb oder Modalverb zum Verbalkomplex vervollständigt (Beispiele (2)-(16)). Der Verbalkomplex ist bis an die Grenze der Verständlichkeit ausbaubar. Im Polnischen sind dreiteilige Verbalkomplexe keine Seltenheit, vierteilige Verbalkomplexe kommen allenfalls im Futur Passiv mit Modalverben vor (będzie musiał być zrobiony).
Das finite Hilfsverb oder Modalverb ist in deutschen Verberst- und Verbzweitsätzen oft durch andere Satzelemente vom Rest des Verbalkomplexes getrennt (Beispiele (2)-(15)), der in der Regel am Ende des Satzes steht. In Verbletztsätzen/Nebensätzen ist es das finite Hilfsverb oder Modalverb, das am Ende des Verbalkomplexes steht (Beispiel (16)):

Als funktionale Äquivalente genuin finiter Verbformen kommen im Polnischen noch zusätzlich in Frage die permanent unpersönlichen Verbformen (poln. bezosobnik, forma bezosobowa), die auf –no (robiono 'man machte'), -to (wykryto 'man bekam heraus'), -ło (powaliło 'etwas wurde zu Fall gebracht') ausgehen. In gewissen syntaktischen Fügungen sind es auch Infinitive (czuć 'es riecht nach', widać 'man sieht' und słychać 'man hört'), Modal- und Modalitätsprädikative (poln. predykatywy) mit satzgründender Bedeutung trzeba 'man muss', należy 'man soll', wolno 'man darf', czas 'es ist Zeit zu', szkoda 'es ist schade' und Kopulaelement to, das in generischen Sätzen dem deutschen sein entspricht. Satzgründende Infinitive und Modal- und Modalitätsprädikative können im Präteritum, im Futur und im Konjunktiv analytische Verbalkomplexe bilden, indem sie sich mit dem Hilfsverb być verbinden (trzeba było ‚man musste’, trzeba będzie ‘es wird nötig sein’, trzeba by było ‘es wäre nötig’).

(1) Hans schreibt gerade den Brief.
(2) Hat Hans gerade den Brief geschrieben?
(3) Hans wird gerade den Brief schreiben.
(4) Hans muss gerade den Brief schreiben.
(5) Hans wird bis morgen den Brief geschrieben haben.
(6) Hans muss gerade den Brief geschrieben haben.
(7) Hans hat gerade den Brief schreiben müssen.
(8) Hans hätte gerade den Brief geschrieben haben müssen.
(9) Hans wird bis morgen den Brief geschrieben haben müssen.
(10) Der Brief wird gerade (von Hans) geschrieben.
(11) Der Brief ist gerade (von Hans) geschrieben worden.
(12) Der Brief wird gerade (von Hans) geschrieben werden.
(13) Der Brief muss gerade (von Hans) geschrieben werden.
(14) Der Brief hätte gerade (von Hans) geschrieben werden müssen.
(15) Der Brief wird bis morgen (von Hans) geschrieben worden sein.
(16) ... weil der Brief bis morgen (von Hans) geschrieben worden sein muss.

Im Polnischen ist die Anordnung der Verbalkomplex-Bestandteile anders geregelt (wobei die thematisch-rhematische Satzperspektive eine erstrangige Rolle spielt). Man kann annehmen, dass in der so genannten Grundfolge die Verbalkomplex-Bestandteile in der Tendenz beisammen stehen, wobei die infiniten der finiten Verbform folgen. Eine abgewandelte Anordnung verbaler Elemente, gekoppelt mit der jeweils anderen, kontextuell richtigen Intonation, ergibt fast immer einen korrekten Verbalkomplex.

Die Hilfsverben sein (poln. być/bywać) , haben und werden (zostać/zostawać) beteiligen sich an der Bildung zusammengesetzter Tempus- und Genus-verbi-Formen.

In einem Satz wie z. B. Mam kupione bilety. ist zwar die Oberflächenstruktur mit einem deutschen Satz Ich habe die Karten gekauft. identisch, dennoch drücken die beiden Sätze in funktioneller Hinsicht unterschiedliche zeitliche Relationen aus.

Das Äquivalent des Verbs haben, poln. mieć , ist im Polnischen kein Hilfsverb.
Zum Ausdruck der vergangenen Sachverhalte werden im Polnischen synthetische und analytische Verbformen gebildet.

Warum hat er den Brief nicht rechtzeitig gelesen? [Die Zeit (Online-Ausgabe), 11.11.2004]
Dlaczego (on) nie przeczytał w porę tego listu?

Der Brief wurde nie abgeschickt. [Berliner Zeitung, 29.03.2004]
Ten list nie został nigdy wysłany.

Mit Modalverben wie dürfen, können (móc), mögen (chcieć), müssen (musieć), sollen (mieć), wollen (chcieć) werden Sachverhalte als möglich oder notwendig eingestuft:

Im Polnischen gibt es kein direktes Äquivalent des Modalverbs dürfen. Zum Ausdruck dieser Bedeutung verwendet man das unveränderliche Modalprädikativ można. Um die Bedeutung des Modalverbs mögen im Polnischen auszudrücken, werden unterschiedliche Äquivalente gebraucht.

Er kann wieder beruhigt durchatmen. [Berliner Zeitung, 05.02.2004]
(On) może znowu spokojnie oddychać.

Er muss dieses Amt nun niederlegen. [die tageszeitung, 10.02.2004]
(On) musi teraz złożyć swój urząd.

Der Verbalkomplex ist hinsichtlich der Kategorisierungen Tempus, Modus, Genus verbi, Person und Numerus bestimmt, im Polnischen dazu noch obligatorisch hinsichtlich des Aspekts und Genus.

Durch die Anbindung der Komplemente und Supplemente an den Verbalkomplex entsteht der Satz.

Der Verbalkomplex wird in folgenden Informationseinheiten behandelt:

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