Adverbialia als Supplemente

andere Bezeichnungen:

Umstandsbestimmung, modifizierende Angabe (frz.: circonstant)

Adverbialia sind eine syntaktische Klasse und üben im Satz bestimmte Funktionen aus: Sie können primäre Komponenten des Satzes sein, in dieser Funktion sind sie meistens Supplemente (Satzadverbialia oder Verbgruppenadverbialia), unter besonderen Umständen können sie aber auch Komplemente (Adverbialkomplemente) sein.
Das am häufigsten verwendete Beispiel für ein Adverbiale, das für einen korrekten Satz des Deutschen notwendig ist, also die Funktion eines Komplements erfüllt, ist das Adverbialkomplement, das vom zweiwertigen Verb wohnen gefordert wird. Dieses kann situativ sein:

Die bekannte Künstlerin wohnt in Mannheim.

oder modal:

Die bekannte Künstlerin wohnt sehr komfortabel.
Die bekannte Künstlerin wohnt allein.

Dass es sich in beiden Fällen um Komplemente handelt, ist durch den Reduktionstest leicht nachzuweisen, der zu einem grammatisch nicht korrekten, da nicht vollständigen Satz führt:

* Die bekannte Künstlerin wohnt.

Wird ein solcher bereits mit einem Komplement ausgestatteter Satz zum Beispiel durch einen temporalen Zusatz in Form einer Präpositionalphrase erweitert, dann handelt es sich bei dieser zusätzlichen adverbialen Angabe um ein Supplement, da die temporale Angabe nicht vom Verb gefordert wird, d. h. für einen korrekten Satz des Deutschen nicht notwendig ist:

Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem in Mannheim.
Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem sehr komfortabel.
Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem allein.

Sollten beide Komplementtypen, also ein modales und ein situatives, im Satz vertreten sein (unabhängig davon, ob auch ein Supplement vorhanden ist):

Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem sehr komfortabel in Mannheim.
Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem allein in Mannheim.

so ist zu entscheiden, welches von beiden das obligatorische und welches das fakultative ist. Bei dieser Entscheidung hilft die Akzentuierung, die für den Grad der Rhematizität ausschlaggebend ist. Folgt man der Regel, dass der Teil des Gesagten, der für den Adressaten als besonders relevant fokussiert ist (Vordergrund/Rhema) formal durch Mittel wie z.B. dem Gewichtungsakzent markiert wird, so ist das Komplement, das den Gewichtungsakzent trägt, als das fakultative anzusehen. Das schwächer akzentuierte ist dagegen als das obligatorische anzusehen. In den hier angeführten Beispielen kann jedes der beiden Komplemente je nach Akzentuierung (rot markiert) jede der beiden Funktionen ausüben:

Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem allein (Kadv.fak.) in Mannheim (Kadv.obl.).
Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem allein (Kadv.obl.) in Mannheim (Kadv.fak.).

In bestimmten Grenzen können die Komplemente auch so angeordnet werden, dass das fakultative im hinteren Mittel- oder im Nachfeld, also auf eine fokussierte Position verschoben wird. Diese markierte Linearisierung kann unterstützt werden z.B. prosodisch durch eine Pause oder lexikalisch durch eine Gradpartikel:

Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem in Mannheim ··· [Pause] allein.
Die bekannte Künstlerin wohnt seit längerem in Mannheim völlig allein.

Ein Viertel der Bevölkerung Schleswig-Holsteins wohnt dort.
[die tageszeitung, 12.02.2005]

Das Referat beginnt um 20 Uhr.
[die tageszeitung, 10.01.2003]

Am Mittwoch ist der DAX um fast 100 Punkte gestiegen.
[Mannheimer Morgen, 07.02.2003]

Adverbialia können durch unterschiedliche Ausdrucksformen realisiert werden:
Adverbien bzw. Adverbphrasen (1), Adjektive bzw. Adjektivphrasen (2), Nominalphrasen (3), Präpositionalphrasen (4), Adjunktorphrasen (5), Subjunktorsätze (6) und Infinitivkonstruktionen (7).

(1) Übermorgen gehen die Mediziner aus Protest bundesweit auf die Straße.
[Hamburger Morgenpost, 16.01.2006]

Viele Leute lassen sich sehr gern etwas vorlesen.
[Berliner Zeitung, 16.06.2004]

(2) Thomas Mann und Marzipan sind untrennbar mit Lübeck verbunden.
[Die Welt (Online-Ausgabe), 15.12.2007]

Ganze Ortschaften und ein Flughafen mussten komplett neu gebaut werden.
[die tageszeitung, 23.08.2005]

(3) Meines Wissens hat das nichts mit dem Thema zu tun.

(4) In der Öffentlichkeit wird mit Genuß eine Senkung der Verwaltungskosten in der Sozialversicherung gefordert.
[Die Presse, 16.09.2000]

(5) Und er hatte trainiert wie ein Berserker.
[die tageszeitung, 13.05.2004]

(6) Das war ein Schritt nach vorne, obwohl es nicht die Grundvoraussetzungen brachte.
[die tageszeitung, 08.01.2005]

(7) Der Priester geht an einem Schwerverletzten vorbei, anstatt zu helfen.
[Mannheimer Morgen, 18.06.2004]

Adverbialia als Supplemente beziehen sich auf unterschiedliche Einheiten. Einerseits können sie sich auf ganze Sätze beziehen und charakterisieren die Satzbedeutung näher. Sie sind in diesem Fall Satzadverbialia:

Ein ukrainischer Nachwuchssportler ist bei einem Turnier in Charkow tödlich verletzt worden.
[Berliner Zeitung, 15.03.2004]

Andererseits können sie sich auf den Verbalkomplex bzw. auf den Verbalkomplex und damit verbundene Komplemente unterhalb der Satzebene beziehen und gehören in diesem Fall der Klasse der Verbgruppenadverbialia an:

Tattoos glänzen wunderschön auf der Haut.
[Mannheimer Morgen, 07.08.2004]

Anna schiebt den Kinderwagen, als wäre sie in Australien.
[die tageszeitung, 02.03.2004]

Folgendes Schema soll die unterschiedlichen Bezugsebenen der Verbgruppenadverbialia und Satzadverbialia veranschaulichen:

Ein ukrainischer Nachwuchssportler ist tragischerweise bei einem Turnier in Charkow tödlich verletzt worden.

Um die einzelnen Adverbialtypen korrekt zuweisen zu können, müssen die Ebenen des Satzgebäudes eindeutig unterschieden werden: Äußerung, Satz, Verbgruppe (einschließlich Komplemente), Verbalkomplex.
Probleme bereitet zunächst die Definition der "Verbgruppe". Sie ist als variable Größe konzipiert, die das Verb und unterschiedlich viele Komplemente umfasst. V0 ist die voll gesättigte Verbgruppe, in der als "verbfernstes Komplement" auch das Subjekt enthalten ist.
Als V0 ist die Verbgruppe dann also Äquivalent des "Satzes": V0 = S.
Auf dieser Ebene ist der adäquate Modifikator das Satzadverbiale:
"Vollständig gesättigte Verbgruppen V0 können mittels Satzadverbialia modifiziert werden."

Wie sind dann Verbgruppenadverbialia von Satzadverbialia zu unterscheiden?

Im Kapitel "Verbgruppenadverbialia als Supplemente" heißt es, Verbgruppenadverbialia modifizieren "den Verbalkomplex oder die Einheit aus Verbalkomplex und den dazu gehörigen Komplementen (unterhalb der Satzebene, d.h. ohne das Subjekt [Ksub]), also bis zur Stufe V1 der Verbgruppe, aber unter Ausschluss der Stufe V0 (die ja der Satzebene entspricht)."
Folglich erweist es sich als unzweckmäßig, die 0-Ebene (und damit das Subjekt) in die Verbgruppe einzubeziehen, denn dadurch würden Verbgruppe und Satz deckungsgleich, Satzadverbialia und Verbgruppenadverbialia wären nicht mehr unterscheidbar.
Der Ausschluss der Stufe V0 aus der Verbgruppe ist aber gleichbedeutend mit einer Beschränkung der Verbgruppe auf die traditionelle VP oder das "Prädikat" der binären Satzanalyse, die ja einen Satz definiert als Ergebnis der Verbindung einer Subjekt-NP mit einer VP (die alle anderen Komplemente enthält). Aus dieser Sicht wird die Größe "Satz" definiert auf der Basis der Größe "Proposition". Es muss also hier die Ebene der Proposition zwischengeschaltet werden. Damit wird die binäre Struktur der Proposition als Grundlage des "Satzes" in das verbzentrierte System harmonisch eingearbeitet.
So ist es möglich, ein Verbgruppenadverbiale deutlich als einen Modifikator des Prädikats, das gleichbedeutend ist mit jeder, das Subjekt ausschließenden Verbgruppe zu bestimmen und von Satzadverbialen, die sich auf den Satz einschließlich des Subjekts beziehen, zu unterscheiden. Die unter dem Stichwort "Verbgruppe" angegebenen Beispiele zu Verbgruppenadverbialen bestätigen dies:

gehen schnell, gießt wie aus Kübeln, läuft wie am Schnürchen

Eine Sondergruppe der Satzadverbialia, nämlich die modalen Satzadverbialia mit ihren Untergruppen, sowie die Abtönungspartikeln, zeigen durch ihr Verhalten (Zugriff auf den Wahrheitswert und die Äußerungsweise des Satzes) und ihre Stellung im Satz, dass sie den anderen Satzadverbialen auf Äußerungsebene vorgeschaltet werden müssen.

Gehen wir aus von folgendem Beispiel:

Leider verschleuderte er meistens leichtsinnig sein Geld.

In einer ersten Annäherung ergibt sich folgende Hierarchie der Adverbialzuweisung:

# Leider > {meistens > [leichtsinnig > (er verschleuderte sein Geld)]} #

Zeichenerklärung:
#...# = begrenzt die Äußerung, die bestimmte sich auf den "ganzen Satz" beziehende Satzadverbialia enthält (modale Satzadverbialia und Abtönungspartikeln)
{...} = begrenzt den Satz, der alle anderen Satzadverbialia enthält
[...] = begrenzt die Formation, die die Verbgruppe und die sich auf sie beziehenden Verbgruppenadverbialia enthält
(...) = begrenzt die Verbgruppe
> = "bezieht sich auf / hat als Skopus"

Nach Zwischenschaltung der Ebene "Proposition" erscheint das Subjekt als extrapoliert:

# Leider > {meistens > [er (leichtsinnig > "... verschleuderte sein Geld")]} #

Führt man nun in den Satz als Verbgruppenadverbiale einen Subjunktorsatz mit als ob ein:

Leider verschleuderte er meistens sein Geld, als ob er im Lotto gewonnen hätte.

so erhält man:

# Leider > {meistens > [er (als ob ... im Lotto gewonnen hätte > " ... verschleuderte sein Geld")]} #

Dies genau stellt das Schema dar.

Es zeigt sich, dass die hierarchischen Ebenen im Satzgebäude wesentlich durch die Zuordnung der verschiedenen Adverbialtypen unterscheidbar werden.

Satzadverbialia und Verbgruppenadverbialia werden in vielen Grammatiken nicht unterschieden. Es gibt dort nur eine Adverbialia-Klasse.

Die Duden-Grammatik spricht von Kommentaradverbialia und bezeichnet damit Satzadverbialia und von Situativadverbialia, wenn Verbgruppenadverbialia gemeint sind.

(1a) Otto hat seinen Freund klugerweise / glücklicherweise / freundlicherweise nicht mitgebracht. (72005, 794 §1188)
(1b) Meines Erachtens / Für mein Gefühl ist das falsch. (72005, 794 §1188)
(2) Sie brachte das Paket gestern. (72005, 794 §1189)

Die zwei Adverbialgruppen können wiederum semantisch subklassifiziert werden:
Semantische Subklassen der Satzadverbialia
Semantische Subklassen der Verbgruppenadverbialia
Allerdings ist die Klassenbildung nach semantischen Kriterien in allen Bereichen der Sprachwissenschaft stets schwierig. Eine klare Grenzziehung zwischen den einzelnen Klassen ist nicht immer möglich. Aus diesem Grunde sind die semantischen Subklassen nur als Annäherung zu verstehen. Andere Klassenbildungen sind durchaus möglich. Für eine semantische Feinanalyse sind die Frageformen zur Bestimmung der semantischen Adverb-Subklassen hilfreich.

Engel unterscheidet in seiner "Deutschen Grammatik" folgende Subklassen der Adverbialia: direktiv, final, graduativ, instrumental, kausal, komitativ, konditional, lokal, modifikativ, temporal.

Bei Helbig/Buscha finden wir: final, kausal, konditional, konsekutiv, konzessiv, lokal, modal, temporal.

Übung: Supplementtypen und ihre Ausdrucksformen

Übung: Adverbialia und Satzbedeutung

Übung: VG-Adverbialia als Komplemente oder Supplemente?

Übung: Verbgruppenadverbialia oder Satzadverbialia?

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