Das Präteritum

(frz. prétérit)

Verbformen im Präteritum liegen in diesen Beispielen vor:

Natürlich wird auch kritisch gefragt, das ist ganz klar. Nur war halt bis jetzt eigentlich noch nicht Anlass da, um ah, um ah, kritisch zu fragen. [Franz Beckenbauer, Sommer 1994 in SDR3: Leute]

Die Burgl kümmerte sich nicht darum, daß sie nicht allein war mit dem Peter. Mochten sie's nur alle mitanhören, daß sie nicht einverstanden war mit den Wünschen des jungen Mannes. [Jung, Else (1965): Die Magd vom Zellerhof. Hamburg, S. 60.]

Der Weissmüller, was ich gar nicht wusste, mag, mochte keine Affen – nicht – der hasste Affen, und weil die, weil die immer Folgendes machten bei ihm, das machte dieser Affe an dem Abend auch, das ist mir aber erst nachher dann deutlich gemacht worden, sobald er einen Affen in den Arm nehmen musste, war das Tier offenbar so erregt, dass es ihn von oben bis unten bepinkelte. [Dieter Kürten/Wolfgang Heim, 1996 in SDR3: Leute]

Für das Präteritum gilt:

Die Betrachtzeit (frz. intervalle temporel observé) liegt vor der Sprechzeit (frz. moment de l'énonciation).

Das Präteritum drückt Vergangenheit relativ zur Sprechzeit aus.

Temporaladverbialia erlauben eine genauere Festlegung der Betrachtzeit:

Heute / Am 2. Januar 2009 herrschte Frost.

Das Präteritum eignet sich als "Erzähltempus" dazu, von Vergangenem zu erzählen. In längeren Sequenzen kann dabei eine Betrachtzeit durchgehend festgehalten werden:

(1) Ich hatte mich auf diesen Abend sehr gefreut, war todmüde und erwartete eine Art fröhlicher Zusammenkunft, mit viel gutem Wein, gutem Essen, vielleicht Tanz [...]; stattdessen gab es schlechten Wein, und es wurde ungefähr so, wie ich mir ein Oberseminar für Soziologie bei einem langweiligen Professor vorstelle. [Böll 1963, 22]

Die Betrachtzeit kann sich auch schrittweise weiterbewegen, und zwar vorwärts (Beispiel 2) oder rückwärts (Beispiel 3):

(2) Mir war elend, Maries wegen, die blass und zitternd da saß, als Kinkel die Anekdote von dem Mann erzählte, der fünfhundert Mark im Monat verdiente, sich gut damit einzurichten verstand, dann tausend verdiente und merkte, dass es schwieriger wurde, der geradezu in große Schwierigkeiten geriet, als er zweitausend verdiente, schließlich, als er dreitausend erreicht hatte, merkte, dass er wieder ganz gut zurechtkam und seine Erfahrungen zu der Weisheit formulierte: "bis fünfhundert im Monat gehts ganz gut, aber zwischen fünfhundert und dreitausend das nackte Elend". [Böll 1963, 23]

(3) Sie kam erst um zehn Uhr zur Feier. Davor stand sie zwei Stunden im Stau.

oder hier:

Die Schiebetür wurde geöffnet und entließ einen älteren Herrn, der sich seinen Hut von der Ablage im Wartezimmer nahm und Bernie höflich zunickte. [Pinkwart 1963, 17]

Schließlich gibt es Erzählsequenzen im Präteritum, in denen nicht nur eine Betrachtzeit unterstellt wird und auch keine einfache Abbildung der Abfolge der Sätze auf die Abfolge der entsprechenden Ereignisse möglich ist, sondern in welchen unterschiedliche Betrachtzeiten innerhalb der Sequenz angenommen werden müssen:

Aber es wurde nichts daraus: Max Valier fand bei einem seiner Experimente im Jahre 1930 den Tod; Fritz von Opel ging nach Amerika; Sander zog sich auf seine Wesermünder Pulverfabrik und seine bewährten Raketen-Leinenwurfgeräte zurück. [Gail, O. W. & Petri, W. 1958, 23]

In bestimmten Fällen tritt das Präteritum auch in Sätzen auf, die sich auf Ereignisse beziehen, die vorzeitig zu im Präsens berichteten Ereignissen liegen:

Es gibt darunter eine Art von glasiertem Tongeschirr, die der Forschung bis heute Rätsel aufgibt, weil sie bisher nur in Gellep gefunden wurde. [Pörtner 1964, 13]

Hier wird normalerweise das Präsensperfekt bevorzugt.

Eine ungewöhnliche aber dennoch konventionalisierte Verwendung des Präteritums liegt in folgenden Sätzen vor:

Was gab es morgen gleich im Theater?

Sie bekamen das Schnitzel?

Im ersten Beispiel ergibt sich ein offensichtlicher Widerspruch zwischen der Präteritumbedeutung und der Bedeutung des Temporaladverbs. Die Annahme, der Sprecher wolle mit der Äußerung dieses Satzes einen relevanten Gesprächsbeitrag leisten, lässt kooperative Hörer versuchen, die Äußerung nicht platt wörtlich zu interpretieren, sondern als Bezugnahme auf eine zu einem früheren Zeitpunkt getroffene Feststellung, etwa so:

Du hattest doch nachgesehen, was morgen im Theater kommt. Was war das noch gleich?

Beim zweiten Beispiel ergibt sich ein Widerspruch zwischen der Äußerung und der Situation, in der der Gast offensichtlich noch kein Schnitzel hat oder hatte. Hier bezieht sich die Frage auf eine vorherige Bestellung.

In oberdeutschen Dialekten wird an Stelle von Präteritum meist Präsensperfekt gebraucht, allerdings eher in der gesprochenen als in der geschriebenen Sprache. Entsprechende Äußerungen werden dabei von den Sprechern durchaus als standardsprachlich empfunden (Präteritumsschwund). Feinsinnige Interpretationen der Verwendung von Präteritum und Präsensperfekt sind deshalb nur angebracht, wo Grund zu der Annahme gegeben ist, dass der Sprecher beide Tempora mit Bedacht unterscheidet.

Bei der Übertragung eines französischen Textes ins Deutsche, noch stärker aber bei der Übertragung eines deutschen Textes ins Französische stellt sich die heikle Frage der für die einzelnen Verbformen passenden Zeitform. Dies ist auf die grundsätzliche Asymmetrie der deutschen und französischen Zeitsysteme zurückzuführen. Diese Asymmetrie lässt sich vielleicht am deutlichsten am Beispiel des deutschen Präteritums veranschaulichen, das je nach Kontext mit einer französischen Verbform im (frz.) passé composé (= PC) (1a), (frz.) passé simple (= PS) (1b), (frz.) imparfait (= IMPFT) (1c); (frz.) plus-que-parfait (= PQP) (1d), wenn nicht sogar im (frz.) subjonctif (1e) wiedergegeben werden kann bzw. muss:

(1a)
Ich war noch nie in Paris.
- Je n'ai jamais été à Paris.

(1b) Er verließ Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt.[...]
- Il quitta Nazareth, et vint demeurer à Capernaüm, située près de la mer. [...] (Mt. 4,13)

(1c) [Plötzlich wachte sie auf.] Es war halb drei.
- Il était deux heures et demie.


(1d) [Diderot war 32, ohne Stellung, ohne festes Einkommen [...], als er von seinem Verleger den Auftrag erhielt, die Cyclopedia des Engländers Ephraim Chambers ins Französische zu übertragen, gegebenenfalls leicht umzuarbeiten.] Auf welches Projekt er sich schließlich einließ, merkte er, als er sich an die Arbeit machte. [Mit einer bloßen Übersetzung oder einem flüchtigen Neuarrangement konnte es nicht getan sein.]
- Ce n'est que lorsqu'il se mit au travail qu'il comprit l'ampleur du projet dans lequel il s'était lancé.


(1e) Ein paar Minuten vergingen noch, bevor sie sagte, meine Geschichte sei nicht sehr glaubwürdig.
- Il s'écoula encore quelques minutes avant qu'elle ne dise que mon histoire n'était pas très crédible.


Beispiele (1a-e) lassen erkennen, dass französische Zeit- und Modusformen "Regeln" unterschiedlicher Natur unterliegen: Zum einen wird die Form eines Verbs durch bestimmte grammatische Zwänge festgelegt (z. B. wird in einem mit avant que eingeleiteten Nebensatz immer ein Verb im (frz.) subjonctif verwendet). Zum anderen hängt die Zeitform der Verbvorkommen, die keinem grammatischen Zwang unterliegen, davon ab, wie sich die in der jeweiligen Äußerung dargestellten Prozesse/Vorgänge/Sachverhalte in das schon Gesagte/Erzählte einfügen.
Besonders in narrativen Texten/Sequenzen muss bei jeder Verbform überlegt werden, ob die über sie vermittelte Information zum Fortschreiten der Erzählung beiträgt oder aber kontextualisierende (z. B. ergänzende/präzisierende, veranschaulichende oder erklärende) Elemente hinzufügt. Nur Verbformen, die in irgendeiner Weise zum Fortschreiten der Erzählung beitragen, können im PC (mit Sprecherbezug) oder PS (ohne Sprecherbezug) verwendet werden.

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