Das Futurperfekt

(frz. futur antérieur, futur II)

Verbformen im Futurperfekt zeigen diese Sätze:

Wir werden bald den kältesten und längsten Winter seit fünfzehn Jahren gehabt haben.

Im Frühjahr wird der Handballspieler [...] seine Polizeiausbildung beendet haben. Dann wird Kaellman in seinem Heimatort Ekenäs, einer 20000 Einwohner zählenden Gemeinde, Dienst tun. [Frankfurter Allgemeine, 06.09.1997]

Es ist klar: Das Hohe Gericht wird gerade so machtlos gewesen sein, wie die Mafia unverschämt war.

Das Futurperfekt ist – wie alle zusammengesetzen Tempora – in zwei Schritten zu interpretieren:

Zunächst muss das Obertempus, nämlich die Tempusform des Hilfsverbs, ausgewertet werden. Als Futurform bestimmt diese eine Betrachtzeit, die sich entweder mit der Sprechzeit überschneidet oder nach dieser liegt. Im nächsten Schritt muss der Infinitiv Perfekt ausgewertet werden. Er greift die Betrachtzeit des Futurs als Orientierungszeit auf und setzt selbst eine neue Betrachtzeit, die vor dieser Orientierungszeit liegen muss:

Im Futurperfekt liegt die Betrachtzeit für den tempuslosen Satzrest vor der Betrachtzeit für das Futur.
Das Futurperfekt bringt die vergangene, zukünftige oder gegenwärtige Wahrscheinlichkeit (bezogen auf die subjektive Einschätzung des Sprechers) eines relativ zur Orientierungszeit vergangenen Ereignisses zum Ausdruck.

Beim Futurperfekt kann – wie beim Futur – eine temporale, zukunftsbezogene Verwendung (1) von einer modalen (epistemischen) Verwendung (2, 3) unterschieden werden. Beispiele:

(1) Morgen wird um 6 Uhr die Sonne aufgegangen sein.

(2) Karl wird gestern in München angekommen sein.

(3) "Freundchen, du wirst mir doch keine Schande gemacht haben!" [Strittmatter, Erwin (1963): Ole Bienkopp. Gütersloh, S. 360]

Zukunftsbezug:

Experten grübeln, wann das Europäische Schuldvertragsübereinkommen in Österreich in Kraft getreten sein wird. [Die Presse, 14.12.1998]

Vergangenheitsbezug aber modale Bedeutung:

Ganz sicher, es wird ihm gegangen sein wie all seinen Politikerkollegen, als sie endlich heimfahren konnten, um Kraft zu tanken. [Berliner Zeitung, 24.12.2003]

Gegenwartsbezug aber modale Bedeutung:

"(...) - doch, einen", wirst du gesagt haben. [Böll 1963, 247]
Das wirst du ja gehört haben, Kindchen, dass Großpapa als junger Mann bei uns im Quartier war und dass wir uns hier kennengelernt und verlobt haben. [Bergengruen 1950, 10]
Du wirst ihm die Wahrheit gesagt haben: "Kinder, Beichtstühle, Kinos, gregorianischen Choral und Clowns". [Böll 1963, 247]

In einer temporalen, nicht-modalen Verwendung dient das Futurperfekt der zeitlichen Situierung von Ereignissen wie in Beispiel (1). Bei Vergangenheits- (2) oder Gegenwartsbezug (3) liegt hingegen eine modale (epistemische) Tempusbedeutung vor. Das Temporaladverb gestern in (2) steht semantisch im Konflikt mit der zukunftsbezogenen Tempusbedeutung. Der Satz kann deshalb nur einen Vergangenheitsbezug mit modaler Bedeutung ausdrücken.

Das Futurperfekt kann – wie das vergleichbare historische Futur – in Kontexten mit 'historischem' Präsens verwendet werden. Es kann dann der zeitlichen Situierung von Ereignissen dienen, die aus Sicht der Sprechzeit in der Vergangenheit liegen, z. B.:

1968 wird Großbritannien das letzte europäische Land, in dem Nana Mouskouri zur festen Popgröße avanciert. Bis Mitte der Siebzigerjahre wird sie alle Länder erobert haben: auch die USA, Lateinamerika, Australien und selbst Japan. [die tageszeitung, 16.11.2002]

Beispiele künftiger Wahrscheinlichkeit des Vergangenseins von Ereignissen sind selten, was wohl daran liegen dürfte, dass anstelle der umständlichen Futurperfektform das einfachere Präsensperfekt gewählt werden kann:

In einem Jahr werden wir wohl all den Ärger vergessen haben. (Futurperfekt)
In einem Jahr haben wir wohl all den Ärger vergessen. (Präsensperfekt)

Historische Schilderungen binden, ausgehend vom historischen Präsens, auch ein Futur und ein Futurperfekt ein. Die zeitliche Versetzung der Ereignisse entspricht einer besonders lebendigen Vergegenwärtigung. Das Futurperfekt kennzeichnet dabei Ereignisse, die zu einem nach dem versetzten Erzählstandpunkt liegenden Zeitpunkt (dem das Futur entspricht) abgeschlossen sind.
Im Deutschen ist allerdings solche Akrobatik auf wenige stereotype Situationen beschränkt. Außerdem macht dem Futurperfekt das bequemere Präsensperfekt Konkurrenz, wie ja auch das Futur, nicht immer, aber oft, durch das futurische Präsens ersetzt werden kann. So könnte im Nana-Mouskouri-Beispiel der zweite Satz auch lauten:

Bis Mitte der Siebzigerjahre hat sie alle Länder erobert [...]

Im Französischen ist das Futurperfekt geläufiger, als "Vorzukunft" sogar obligatorisch. So ist es nicht möglich, in Sätzen wie

Je peindrai les radiateurs dès que je me serai procuré un pistolet.
- Ich streiche die Heizkörper, sobald ich mir eine Spritzpistole besorgt habe.
(wörtl.: besorgt haben werde)

das (frz.) futur antérieur durch das (frz.) passé composé zu ersetzen. Dies hängt zum einen mit der Rolle des passé composé zusammen, das im Französischen als Erzähltempus autonomer ist als im Deutschen und weniger als Vorzeitigkeitstempus zum Präsens empfunden wird, zum anderen damit, dass nur in bestimmten, idiomatisch geprägten Fällen das Präsens mit Futurbedeutung verwendet wird, schließlich damit, dass der Sinn für eine vom Lateinischen ererbte Zeitenfolge im Satz (consecutio temporum) stärker ausgeprägt ist.
Auch im Französischen ist im Rahmen historischer Erzählung mit versetztem Erzählerstandpunkt das Auftreten des Futurperfekts an bestimmte Texttypen gebunden, z. B. an biographische Kontexte. Im Deutschen findet man dort eher ein einfaches Futur:

Toute sa carrière n'aura été qu'une longue suite de succès.
- Seine ganze Karriere wird eine lange Kette von Erfolgen sein.

Übung: Futur Perfekt

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