Das Futur

(frz. futur)

Verbformen im Futur zeigen diese Sätze:

Uiii, das wird schwer werden! [Harry Rowohlt, 1998 SWR 1: Leute]

Nein, die Kollegen bei der Tagesschau, die wird das mit Sicherheit überraschen. Die wussten das na..., die wissen das eigentlich bis heute nicht, es sei denn, sie haben das Buch schon gelesen. [Jörg Wontorra, 1997 in SDR3: Leute]

Und wenn Sie jetzt anfangen zu spekulieren, was wird sein, wenn wir unser Ziel nicht erreicht haben, machen Sie einen Fehler. [Wolfgang Schäuble, 1998 in SWR1: Leute]

Die Form aus werden + Infinitiv unterscheidet sich von "echten" einfachen Tempusformen zwar schon dadurch, dass sie analytisch gebildet wird. Eine Einordnung unter die einfachen Tempora lässt sich jedoch kombinatorisch rechtfertigen:

Analog zu den zusammengesetzten Tempora Präsensperfekt und Präteritumperfekt gibt es auch ein Futurperfekt. Die "werden-Umschreibung" beim Futur verhält sich bezogen auf diese Kombinationsmöglichkeit ähnlich wie Präsens und Präteritum.

Das Futur ist – anders als das Präteritum und das Präsens – nicht in allen Fällen rein temporal zu interpretieren. Futursätze können als Aussage über ein Ereignis, das zu einem nach ihrer Äußerung liegenden Zeitpunkt mit Sicherheit (bezogen auf die subjektive Einschätzung des Sprechers) oder wahrscheinlich bzw. möglicherweise eintreten wird, interpretiert werden:

Hans wird morgen in Köln sein.

Hingegen mit dem Satz

Hans wird jetzt in Köln sein.

wird alleine die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses zum Ausdruck gebracht. Das Temporaladverb jetzt steht semantisch im Konflikt mit der zukunftsbezogenen Tempusbedeutung. Der Satz kann deshalb nur einen modalen Gegenwartsbezug ausdrücken.

Beim Futur überschneidet sich die Betrachtzeit mit der Sprechzeit oder sie liegt nach ihr.
Das Futur drückt Prognostizierung für die Zukunft oder aber gegenwärtige oder künftige Wahrscheinlichkeit bezogen auf die subjektive Einschätzung des Sprechers aus.

speed80

In den meisten Fällen wird durch den Kontext oder durch Temporaladverbialia klar, ob die Aussage Gegenwarts- oder Zukunftsbezug hat.

In Texten, in denen das historische Präsens Verwendung findet, kann das Futur eine auf dieses Präsens bezogene Zukunft ausdrücken, die aus Sicht der Sprechzeit in der Vergangenheit liegt ('historisches' Futur). Z. B.:

Sich selbst als "Schäfer an der Pleiße" ironisierend, geht Goethe in Dichtung und Wahrheit nicht gerade zimperlich mit seinem Ego der Leipziger Zeit um. Nüchtern und lakonisch wird er in den Tag- und Jahresheften zusammenfassen: "Aufenthalt in Leipzig. Bedürfnis einer beschränkten Form zu besserer Beurteilung der eigenen Produktionen wird gefühlt; [...]". [Frankfurter Rundschau, 14.08.1999]

Auch im Französischen gibt es dieses "historische" Futur als futur "historique" oder futur "d'anticipation ou de perspective". Historische Erzählung, die die Geschichte durch "versetzt" gebrauchte Tempora vergegenwärtigt, ist dort sogar sehr beliebt:

En 1643, Louis XIV devient roi, et son règne sera le plus long de notre histoire.
1643 wird Ludwig XIV. König, und seine Regierungszeit wird die längste unserer Geschichte sein.

Sätze mit Zukunftsbezug:

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut, in der wir untergegangen sind, gedenkt, wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, auch der finsteren Zeit, der ihr entronnen seid. [Bertolt Brecht, 13. 12. 1953, An die Nachgeborenen]

(...) - "nur die Ruhe", sagte er, "das wirst du schon erfahren." [Böll 1963, 79]

"Nimm dieses alles, laufe nach Gerresheim, dort steht noch immer die hellerleuchtete Straßenbahn, steige ein und fahre dich mit meinem Geschenk in Richtung Fürstenwall zum Polizeipräsidium, erstatte Anzeige, und schon morgen wirst du deinen Namen in allen Zeitungen buchstabiert finden!" [Grass 1964, 482]

Sätze, die gegenwartsbezogene Vermutungen ausdrücken:

Hier war eben kein rechter Boden für diese Geschichten, in unserem Kreise gab es damals nur zwei oder drei polnische Gutsbesitzer, die Bauern waren meistens Rechtgläubige, und katholische Leute fand man selten; wie das jetzt ist, das wirst du besser wissen als ich. [Bergengruen 1950, 11]

Aber selbst wenn es nicht die Medaille gewesen ist, die ich ihm damals umhängte, - darin, dass ich sie in einer so auffallenden Art gefunden hatte, darin musste doch für mich ein Hinweis auf Jerome liegen, das wirst du zugeben, und ich wusste nur nicht, wie er zu deuten war. [ebd., S. 39]

"Ich würde ja nicht abreisen", sagte ich, "wenn es nicht feststehen würde, dass das Kind gerettet ist, das wirst du mir glauben." [Frisch 1966, 175]

Schließlich finden sich auch Beispiele für den Ausdruck bloßer Wahrscheinlichkeit, ohne dass ein klarer Gegenwarts- oder Zukunftsbezug vorliegt:

Dein Mann wird sonst wahnsinnig, und das wirst du nicht wollen.
"Schön und gut, aber mit deinen Bienen wirst du die Welt nicht umkrempeln (...)!" [Strittmatter 1963, 31]

Den Tempora Futur und Präsens ist gemeinsam, dass mit ihrer Hilfe zukunftsbezogene Aussagen formuliert werden können. Es zeigen sich jedoch auch Unterschiede:

Angesichts einer bestimmten Stellung auf dem Schachbrett äußerte ein Zuschauer:

Tobias wird die Schachpartie in wenigen Zügen gewinnen. (Futur)
Tobias gewinnt die Schachpartie mit Sicherheit in wenigen Zügen. ('futurisches' Präsens)

Mit beiden Sätzen gibt der Sprecher zu verstehen, dass Tobias die Schachpartie in Zukunft wahrscheinlich gewinnen wird und dass dies wahrscheinlicher ist als die anderen möglichen Ergebnisse (Remis, Niederlage). Mit der präsentischen Variante wird jedoch ein höherer Grad an subjektiver Wahrscheinlichkeit verbunden. Ein Beobachter, der in der Stellung auf dem Schachbrett eine offensichtliche Gewinnchance für Tobias entdeckt hat, wird eher den zweiten Satz äußern. Ein hinreichender Grund für eine Äußerung des ersten Satzes könnte hingegen schon in einer groben Abschätzung der Stellung oder in einer Vermutung über die Spielstärke von Tobias (relativ zu der seines Gegners) liegen. Oder aber, es handelt sich, bei anderer Intonation, um eine sehr entschiedene, apodiktische Prognose.

In Analysen, die Beziehungen zwischen Tempora in komplexen Sätzen berücksichtigen (consecutio temporum), wird unterschieden zwischen einem Obertempus Futur, das über ein eigenes von ihm abhängiges Tempus, nämlich Futurperfekt (frz. futur antérieur), verfügt, und einem anderen Typ Futur, der als "Nachgegenwart" selbst abhängiges Tempus bezüglich des Obertempus Präsens ist. (Siehe hierzu auch: Tempora in komplexen Sätzen: das Prinzip.) Beide Sprachen, Deutsch und Französisch, erfüllen dieses Schema, allerdings nicht so, dass es genaue Entsprechungen gäbe.
Im Deutschen gibt es das werden-Futur (= werden + Infinitiv) und das "futurische Präsens", ein Präsens, das im Verein mit einem materialisierten oder nur erschließbaren Kontexthinweis Futurbedeutung erhält. Der Kontexthinweis ist unerlässlich, da sonst eine Zweideutigkeit (Gegenwarts- oder Zukunftsbedeutung?) bestehen bleiben kann:

Ich weiß, dass Professor Berger den Kurs leitet.
[Wann? Immer? Heute? Jetzt gerade? Erst im nächsten Semester?]
Daher: Ich weiß, dass Professor Berger morgen / im nächsten Semester den Kurs leitet.

Das Französische dagegen hat ein echtes synthetisches (frz.) futur simple (1) sowie ein (frz.) futur proche, eine Art "Nahzukunft", die im Deutschen anders, etwa durch Adverbien, wiedergegeben werden muss (2):

(1) La nouvelle gare sera entièrement souterraine.
Der neue Bahnhof wird vollständig unter der Erde liegen.

(2) Pierre va revenir (dans un instant).
Peter kommt gleich wieder.

Es ist schon des Öfteren beobachtet worden, dass Formen, die eine präsentische Komponente aufweisen, einen Präsensbezug herstellen. Folglich müssten solche Formen, insofern sie Futurisches betreffen, einer Nachgegenwart entsprechen.
Für das Französische ergibt sich ein eindeutiges Bild: Das synthetische Futur ist Obertempus eines eigenständigen, von der Sprechergegenwart getrennten Zukunftsbereichs:

Quand je serai revenu, je m'occuperai personnellement de votre cas.
Wenn ich zurück bin
(wörtl.: zurückgekommen sein werde), kümmere ich mich persönlich um Ihre Sache (werde ich mich ... kümmern).

Das (frz.) futur proche dagegen wird mit dem Präsens des Verbs aller (= gehen) gebildet, suggeriert Nähe, und hat sich damit als Nachgegenwart, für den Blick aus der Sprechergegenwart in eine als nah empfundene Zukunft, qualifiziert. In der Tat tritt es vorwiegend in präsentischen Kontexten auf, kann aber auch mitsamt Obertempus in den Vergangenheitsbereich verschoben werden:

Je sais qu'on va se revoir. - Ich weiß, dass wir uns bald wiedersehen (werden).
Je savais qu'on allait se revoir. - Ich wusste, dass wir uns bald wiedersehen würden.

Im Deutschen ist die Situation weniger eindeutig. Das futurische Präsens scheint für die Rolle der Nachgegenwart prädestiniert, aber auch das werden-Futur stützt sich auf eine präsentische Form, nämlich auf die des Hilfsverbs werden. Letztlich ist die Rollenverteilung in vielen Fällen nicht eindeutig bestimmbar, denn beide können im Umfeld des Präsens erscheinen. Auch für die Rolle des futurischen Obertempus ergibt sich, dass sie von beiden Formen, dem Futur und dem futurischen Präsens, eingenommen werden kann, zumal beide ein Abgeschlossenheits-Sekundärtempus besitzen (Futur II bzw. Präsensperfekt). Dennoch scheint das werden-Futur eher dafür prädestiniert.

Das werden-Futur kann einerseits Affinität zum Modalbereich aufweisen, also eine vorsichtige bis gewagte Einschätzung ausdrücken, was das französische futur simple aber ebenso leistet:

Dr. Morel wird den Patienten retten. - Le Docteur Morel sauvera le patient.

Es kann im anderen Extrem eine entschiedene, ja apodiktische Voraussage befördern. Nur diese zweite, rein temporale Funktion teilt es mit dem futurischen Präsens. Diese Funktion kann durch die Intonation und/oder Adverbien und andere Zusätze emphatische Verstärkung erhalten:

Das werd' ich dir heimzahlen, da kannst du Gift drauf nehmen!
Das zahl' ich dir heim, da kannst du Gift drauf nehmen.
- Je te le ferai payer, ça, tu peux en être sûr.

Im Französischen verbinden sich Hoffnungen, Versprechungen und Drohungen mit dem (frz.) futur simple, das Deutsche neigt in solchen Fällen eher zum Präsens:

J'espère / Je te promets / Je te jure que Davidov ne jouera plus dans cette équipe.
- Ich hoffe / verspreche dir / schwöre dir, dass Davidov nicht wieder in dieser Mannschaft spielt.
Mais bien sûr que nous irons en Chine!
- Und ob wir nach China fahren!

Auch das Futur als Höflichkeitsform ist eine typisch französische Erscheinung:

Je vous demanderai de patienter quelques minutes dans le couloir.
- Ich möchte Sie bitten, ein paar Minuten in der Vorhalle zu warten.

... ebenso wie jene weniger höfliche Variante der Befehlsform:

Vous me classerez ces dossiers selon l'urgence!
- Diese Akten ordnen Sie mir der Dringlichkeit nach!
Tu ne tueras point.
- Du sollst nicht töten.

Befehle in Futurform sind im Deutschen relativ selten, dafür aber sehr autoritär:

Das wirst du nicht tun! Du wirst dich jetzt sofort beim Nachbarn entschuldigen!

In manchen Fällen ist das werden-Futur schon rein formal unumgänglich, da das Präsens, selbst mit zukunftsbezogenem Adverbiale, Gegenwartsbedeutung behält.

Du meinst, Leo kann das Turnier gewinnen - Das wird sich zeigen!
*Das zeigt sich. - Das zeigt sich nächsten Samstag.

Auch dem futurischen Präsens kann die Vorzugsstellung zukommen, sogar im Französischen, dort allerdings eher als Antizipation der Verwirklichung der angekündigten Handlung (1, 2) und mit Beschränkung auf bestimmte Gebrauchsweisen (mündliche Sprache) oder Themen (3, 4):

Meine Tochter? Die geht für ein Jahr nach Australien.
- Ma fille? Elle va passer une année en Australie.

(1) Avancez, avancez, je vous suis.
- Gehen Sie nur, gehen Sie nur, ich folge Ihnen.

(2) Paul, tu viens m'aider? - Oui, attends, j'arrive!
- Paul, hilfst du mir mal? - Ja, ich komme sofort!

(3) Ce soir, nous allons au théâtre.
- Heute Abend gehen wir ins Theater.

f4) Je pars la semaine prochaine. Je reste deux jours à Rome, puis je vais á Naples.
- Ich fahre nächste Woche. Ich bleibe zwei Tage in Rom und fahre dann nach Neapel.

Hier ist aber bereits die Grenze zur Idiomatik erreicht. In Kollokationen und Phrasemen ist oft das Tempus von der Verfestigung mitbetroffen, und zwar individuell in jeder der beiden Sprachen:

Vous pensez pouvoir faire avancer mon dossier? - Je verrai.
- Denken Sie, dass Sie meiner Sache ein bisschen nachhelfen können? - Mal sehen.
Est-ce que quelqu'un a déposé une lettre pour moi? - Je vais voir.
- Hat jemand einen Brief für mich abgegeben? - Ich schau gleich mal nach.
Du wirst dich noch wundern.
- Tu vas avoir des surprises.
Wir werden das Kind schon schaukeln.
- On va goupiller ça.

Übung: Futur

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