Satzklammer und Stellungsfelder
Hier wird zunächst definiert, was unter Stellungseinheiten zu verstehen ist, dann folgt eine Beschreibung der Satzklammer und Stellungsfelder, in denen die Stellungseinheiten vorkommen, und schließlich werden die Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil dargestellt.
Stellungseinheiten
Die Wörter in einem Satz werden beim Sprechen oder beim Schreiben linear angeordnet. Mehrere zusammenhängende Wörter können eine Phrase (blau gekennzeichnet) oder einen Verbalkomplex (rot) bilden. Normalerweise steht das, was inhaltlich und grammatisch eng zusammengehört, beieinander und bildet eine Stellungseinheit (eckige Klammern):
[Die ganze Mannschaft ]
[fuhr ] [nach dem
Spiel ] [in das abgelegene "Landhaus
Bachmair" ].
(...), [weil ] [er ] [den Vorschlag ]
[abgelehnt hatte].
Aber das ist nicht immer so:
[Er ] [hatte ] [den Vorschlag ]
[abgelehnt ].
[An die Parteispitze ] [gewählt
] [wurde ] [einstimmig ] [der frühere
Fraktionsvorsitzende ].
[Er
] [lehnte ] [den Vorschlag ] [ab ].
[Zeit ] [hatte] [er ]
[immer ] [viel
].
Wegen dieser Möglichkeit, zusammengehörige Elemente getrennt zu positionieren, entspricht eine primäre Komponente des Satzes (d. h. ein Komplement, Supplement oder der Verbalkomplex) nicht automatisch auch einer Stellungseinheit. Im letzten Beispiel sind Zeit und viel zusammen ein Akkusativkomplement, das aber auf zwei Stellungseinheiten verteilt ist.
Satzklammer
Die deutsche Satzklammer – im Polnischen gibt es nämlich keine hinsichtlich der Form und Funktion vergleichbare Erscheinung – besteht aus einem linken und einem rechten Satzklammerteil. Der linke Satzklammerteil (lSkl) ist immer besetzt, der rechte (rSkl) je nach Satztyp obligatorisch oder fakultativ. Fakultativ ist er in Verberst- (1, 2, 3) und Verbzweitsätzen (4, 5) besetzt, obligatorisch in Verbletztsätzen (6, 7):
lSkl | rSkl | ||||
(1) | Holst | du mir bitte den Mantel? | — | ||
(2) | Hast | du den Mantel | abgeholt? | ||
(3) | Holst | du den Mantel | ab? | ||
(4) | Gestern | war | ich in Köln. | — | |
(5) | Er | hatte | — | gewusst, | dass sie in Köln war. |
(6) | ... | , ohne dass | wir es | gemerkt hatten. | |
(7) | Wer | es nicht | hat glauben wollen, | ... |
Die Beispiele (1) - (5) zeigen, dass der linke Satzklammerteil im Deutschen in Verberst- und Verbzweitsätzen immer nur durch ein Verb, und zwar in einer finiten Form, besetzt sein kann. In (6, 7) ist der linke Satzklammerteil durch ein einen Verbletztsatz einleitendes Element besetzt, das aber nicht immer aus nur einem Wort bestehen muss (6).
Die Besetzung des rechten Satzklammerteils ist viel komplexer und unterliegt bestimmten Abfolgeregularitäten. Ist er besetzt, wird er ausschließlich durch ein (2, 3, 5) oder mehrere verbale Elemente (6, 7), zu denen auch die Präverben ("trennbare Verbpräfixe") zählen (3), realisiert. Im Verbletztsatz bildet das einleitende Element den linken Klammerteil und der gesamte Verbalkomplex – also auch das finite Verb – den rechten.
In Verberst- und Verbzweitsätzen, in denen nur der linke Satzklammerteil realisiert ist (Beispiel 8), kann der fakultative – d. h. potenziell realisierbare – rechte Satzklammerteil als 'virtuell' bezeichnet werden. Seine Position ist fest, die Besetzung der Stellungsfelder bleibt von seiner Nicht-Realisierung bzw. Realisierung (durch die Bildung eines mehrteiligen Verbalkomplexes) unberührt (9):
lSkl | rSkl | ||||
(8) | Es | geriet | einiges aus den Fugen | — | in diesen Tagen. |
(9) | Es | ist | einiges aus den Fugen | geraten | in diesen Tagen. |
Zur Bezeichnung der „Satzklammer“ finden sich auch andere Termini wie beispielsweise "Verbalklammer" oder "Satzrahmen". In ProGr@mm wird der Ausdruck „Satzklammer“ als angemessener betrachtet und entsprechend auch verwendet, weil der linke Satzklammerteil nicht zwingend durch eine Verbform belegt sein muss.
Besetzungsmöglichkeiten der Satzklammer:
Polnisch, wie die meisten slawischen Sprachen, ist keine Klammersprache. Es ist daher angemessener, von einem topologisch-strukturellen „verbozentrischen“ Satzaufbau und entsprechend vom „linken“ (=präverbalen) und „rechten“ (=postverbalen) Feld bezüglich des frei verschiebbaren Finitum (hier fett markiert) zu sprechen.
Wczoraj wieczorem w naszym mieście ogłoszony | został | stan klęski żywiołowej. |
(wörtlich: Gestern Abend in unserer Stadt bekanntgegeben wurde der Notzustand.)
linker Satzklammerteil | rechter Satzklammerteil | |||
Verberstsatz Verbzweitsatz | finite Verbform | … | (Partizip II, Infinitiv, Präverb) | |
Verbletztsatz | Subjunktor, Relativ-Element | … | (Partizip II, Infinitiv), finite Verbform |
lSkl = linker Satzklammerteil, rSkl = rechter
Satzklammerteil V-1 = Verberst-, V-2 = Verbzweit-, V-L = Verbletztsatz Vfin = finite Verbform, Vinf = infinite Verbform, V-L Einl. = Verbletztsatz einleitendes Element |
|
Stellungsfelder
Die Stellungsfelder ergeben sich aus der relativen Position zum linken und rechten Satzklammerteil. Aufgrund der Satzklammer ergeben sich im Deutschen die drei Stellungsfelder Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld:
Vorfeld | lSkl | Mittelfeld | rSkl | Nachfeld | |
(10) | Der zweifache Europameister | hat | heute nicht so gut | gespielt | wie sonst. |
(11) | Gestern | ist | er wesentlich schneller | gelaufen | als heute. |
(12) | Unsere Mannschaft | siegt. | — | — | — |
(13) | Er | reiste | letzten Dienstag | ab. | — |
(14) | Wollen | sie morgen früh | abreisen? | — | |
(15) | Mach | mal ein bisschen schneller! | — | — | |
(16) | weil | er heute nicht so gut | gespielt hat | wie sonst. | |
(17) | die | gestern in besserer Laune | gewesen ist. | — |
Zu den einzelnen Stellungsfeldern:
Vorfeld
Beispiel:
(18) Der zweifache Europameister Björn Lukas aus Laurenburg wird den Besuchern die Techniken des Kickboxens demonstrieren. [Rhein-Zeitung, 07.03.2006]
Mittelfeld
Beispiele:
(19) Die Steueraffäre um gestohlene Bankdaten bewegt die Gemüter.
(20) Darf sich der Staat auf Geschäfte mit Kriminellen einlassen, um der Steuergerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen?
(21) Oder muss er ein paar Millionen sausen
lassen, weil es die Moral
gebietet? [heute.de, 01.02.2010]
Nachfeld
Beispiele:
(22) Wolltest du nicht einen Impfstoff
entwickeln, der aussterbende Tierarten im Amazonasgebiet vor
fremden Viren schützt? [die tageszeitung, 10.01.2007]
(23) "Ich
habe eigentlich das ganze Turnier über nicht so gut gespielt wie sonst" [Nürnberger Zeitung,
07.09.2007]
(24) "Die Spannung tut mir gut. Sie gibt
mir die Energie, um gewinnen zu können. [die tageszeitung, 04.06.2005]
(25) Die Welt hält die Luft an, und mancher Realpolitiker
spricht von einem schlechten Witz. Was von dem, was dieser Präsident
versprochen hat, konnte er erreichen in der eben neun Monate
währenden Amtszeit? [zeit.de, 10.10.2009]
Im Unterschied zum Vorfeld in Verbzweitsätzen gilt das Nachfeld als strukturell fakultative Position (s. Wortstellung im Nachfeld). Seine Besetzung ist aber unabhängig vom Vorhandensein des rechten Satzklammerteils, wie die Beispiele (8) und (9) oben zeigen.
Vorfeld | lSkl | Mittelfeld | rSkl | Nachfeld |
Es | geriet | einiges aus den Fugen | — | in diesen Tagen. |
Es | ist | einiges aus den Fugen | geraten | in diesen Tagen. |
Außenfelder
Folgende Beispiele illustrieren die Besetzung im linken Außenfeld (26) und im rechten Außenfeld (27):
(26) Also, mit den amerikanischen Wörtern in der
deutschen Sprache kann es gelegentlich böse Missverständnisse
geben! [Mannheimer Morgen, 29.01.2008]
(27)
Sie sagten doch zu, uns zu
helfen, Herr Müller!
Detailliertere Informationen zum linken und rechten Außenfeld befinden sich in der Einheit Außenfelder.
Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil
Die Abfolge der verbalen Elemente im rechten Satzklammerteil bildet die hierarchische Ordnung der Teile des Verbalkomplexes ab:
Er wird ans Telefon gerufen worden sein.
Noch deutlicher wird das in Verbletztsätzen, da bei diesen der gesamte Verbalkomplex im rechten Satzklammerteil steht. Im Extremfall können das vier Verbformen sein, deren richtige Anordnung auch für Muttersprachler nicht immer ganz unproblematisch ist. Dabei gilt im Deutschen, mit bestimmten Ausnahmen, die Regel "Finitum am Ende":
Beispiele für die Abfolge der Verbformen im Passiv im rechten Satzklammerteil von Verbletztsätzen:
|
Das Finitum kann ein Hilfsverb (vgl. auch die Beispiele im Passiv), modal gebrauchtes Vollverb oder Modalverb sein (finite Verbteile rot, infinite fett markiert), z. B.:
(...), obwohl es sie gewaltig geärgert hatte.
(...) , bevor sie abgefahren sind.
(...), weil er damals viel zu arbeiten schien.
(...), weil es ihr natürlich auch geschenkt worden sein kann.
Bei zusammengesetzten Tempusformen von Modalverben, deren Partizip II durch den Infinitiv Präsens ersetzt wird ("Ersatzinfinitiv"), folgen zwei (oder drei) Infinitive im rechten Satzklammerteil aufeinander. In diesen Fällen steht die finite Form des Hilfsverbs haben am Anfang des gesamten Verbalkomplexes:
(...), weil er nicht hat kommen
dürfen.
*(...), weil er nicht kommen dürfen hat.
(...), weil er nicht
hat kommen dürfen sollen.
Ossietskys 80. Geburtstag, den er am 3. Oktober hätte feiern können, ging unbemerkt vorüber. [H. Pross, Söhne der Kassandra, 99]
Bei Komplementen, die als Infinitive realisiert werden (s. Überblick über die Komplementklassen und ihre Realisierungsformen), kann die Abfolge der Infinitive und der finiten Verbform innerhalb des rechten Satzklammerteils bzw. um diesen herum variieren:
Bei den finiten Formen des Hilfsverbs werden kann fakultativ umgestellt werden:
(...), dass sie das Flugzeug landen sehen wird.
(...), dass sie das Flugzeug wird landen sehen.
Bei den finiten Formen der Modalverben ist die Umstellung bei drei Infinitiven möglich:
(...), weil Sonja ihn kommen sehen haben will.
(...), weil Sonja ihn
will kommen sehen haben.
(...), weil Sonja ihn
will haben kommen sehen.
Tendenziell wird bei zwei Infinitiven das finite Modalverb nicht vorangestellt, wenngleich dessen Voranstellung in literarischen Texten durchaus belegt ist:
(...), weil Berghoff ihn scheitern sehen wollte.
Vorgestern noch hätte er es nicht für möglich gehalten, [...] daß er noch einmal den Strom des Lebens, der Freude, der Jugend so voll und drängend durch sein Blut könnte strömen fühlen. [H. Hesse, Narziß, 245; zit. nach Bech (1983), 66]
Weiterführende Literatur: Bech (1983), Vogel (2009).
Derartige Restriktionen gelten nicht für das Polnische.