Informationsstruktur des Mittelfeldes
Hier wird der Beitrag des Mittelfelds zur Informationsstruktur von Sätzen beschrieben. Aus zwei Gründen ist das Mittelfeld für die Informationsstruktur besonders wichtig: Wegen der relativen Unfestigkeit der Abfolge besonders im Mittelteil des Mittelfelds kann dieser besonders gut zur kommunikativen Gewichtung genutzt werden. Und zweitens finden sich im Mittelfeld meist mehr Stellungseinheiten als in den anderen Stellungsfeldern. D. h. das Potenzial an Umstellungen und damit an kommunikativer Strukturierung ist größer als in den anderen Feldern.
Hintergrund-/Vordergrund-Grenze
Die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundbereich im Mittelfeld kann an folgendem Beispiel illustriert werden:
(1) (Warum findet Karl seinen Geldbeutel nicht?)
[...], | weil er seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | gestern am Bahnhof verloren hat. | |
Hintergrund | Vordergrund |
(1) | […], mert | a pénztárcáját | valószínűleg | tegnap a pályaudvaron elvesztette. |
(1') | […], mert valószínűleg | tegnap a pályaudvaron elvesztette. |
(1’) weil er ihn wahrscheinlich gestern am Bahnhof verloren hat.
Das modal abschwächende Satzadverb wahrscheinlich in Beispiel (1) lässt sich weder dem Hintergrund (grau hinterlegt) noch dem Vordergrund (gelb) zuordnen. Abtönungspartikeln, assertive und modal abschwächende Satzadverbialia sind nicht Teil des informativen Gehalts, sie beziehen sich auf den Sprecher bzw. auf die Interaktion der Kommunikationsteilnehmer. Sie markieren im Mittelteil des Mittelfeldes die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten, sofern sie keinen eigenen Gewichtungsakzent tragen, der sie selbst als Vordergrundeinheiten kennzeichnet (vgl. Karl hat ihn wahrscheinlich verloren, sicher ist das aber nicht.). Negative Satzadverbialia wie nicht, die den rechten Innenrand des Mittelfeldes einleiten, sind hingegen fast immer Teil der Vordergrundinformation:
(2) (Wo hat Karl seinen Geldbeutel verloren?)
Er hat seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | nicht am Bahnhof | verloren. |
[…],a pénztárcáját | valószínűleg | nem a pályaudvaron | vesztette el. |
Der rechte Satzklammerteil kann wie in (1) zum Vordergrund oder wie in (2) zum Hintergrund gehören oder sogar die einzige Vordergrundeinheit sein, z. B.:
(3) (Was ist gestern am Bahnhof mit Karls Geldbeutel passiert?)
Karl hat seinen Geldbeutel gestern am Bahnhof | wahrscheinlich | verloren. | (...d. h. er wurde nicht gestohlen.) |
Karl a pénztárcáját | tegnap | a pályaudvaron | valószínűleg | elvesztette. |
Die Grenzmarkierung zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten muss immer im Zusammenhang mit der Intonation gesehen werden. Falls nicht anders angegeben, wird in den vorliegenden Beispielen immer von einer unmarkierten Lesart ausgegangen, die den Gewichtungsakzent (rot markiert) auf eine Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze legt.
Die typische Informationsstruktur im Mittelfeld, bei der der Gewichtungsakzent auf einer Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze liegt, sieht so aus:
Im Ungarischen können wir nicht von Vorfeld- und Mittelfeldlinkspositionen sprechen, sie fließen nämlich ineinander. Wird im Ungarischen nicht der ganze Satz, sondern nur ein Satzelement wie in (2) am Bahnhof negiert, geht dieser Phrase die Negationspartikel voran und die ganze Konstruktion steht unmittelbar vor dem verbum finitum. Ist die verbale Prädikation in Fokusposition, so steht die Verbalpartikel in unmittelbarer Präverbposition (3). Diese Fokusposition ist mit dem deutschen rechten Innenrand vergleichbar.
Vergleicht man die Fokusposition im Deutschen und im Ungarischen, kommt man zu dem Schluss, dass das Element in Fokusposition in beiden Sprachen in direkter präverbaler Stellung zu stehen hat, mit dem Unterschied, dass sich diese Fokus-Verb-Gruppe im Deutschen dem Satzende zustrebt, während sie sich im Ungarischen im Satz frei bewegen kann.
Übung: Hintergrund - Vordergrund
Änderung der Informationsstruktur
Änderungen in der Informationsstruktur können sowohl im Bereich der weniger stellungsfesten Einheiten im Mittelteil als auch im Bereich der besonders stellungsfesten Einheiten an den Innenrändern vorkommen. Ihre Auswirkungen auf die kommunikative Gewichtung innerhalb des jeweiligen Satzes können je nach Stellungsvariabilität der zu verschiebenden Einheit schwach oder stark sein.
Eine schwache Änderung der Informationsstruktur erfolgt, wenn weniger stellungsfeste Einheiten aus dem Hintergrund in den Vordergrund und umgekehrt verschoben werden, z. B.:
(4) (Was ist Karl gestern am Bahnhof passiert?)
Karl hat gestern am Bahnhof | wahrscheinlich | seinen Geldbeutel verloren. |
(Mi történt tegnap Károllyal a pályaudvaron?)
Károly tegnap
a pályaudvaron valószínűleg elvesztette a pénztárcáját.
(4') (Was ist mit Karls Geldbeutel passiert?)
Karl hat seinen Geldbeutel | wahrscheinlich | gestern am Bahnhof verloren. |
(Mi történt Károly pénztárcájával?)
Károly a pénztárcáját
tegnap valószínűleg elvesztette a pályaudvaron.
Eine schwache Änderung der Informationsstruktur (ohne Zuhilfenahme besonderer intonatorischer Mittel) kann besonders gut durch Nach- bzw. Voranstellung von nicht-pronominalen Komplementen vorgenommen werden, da diese generell weniger stellungsfest sind. Die folgenden Beispiele zeigen Abweichungen von den Prinzipien der Stellung der Komplemente im Mittelfeld in Verbindung mit einer leichten Änderung der Informationsstruktur.
Subjekt im Vordergrund:
Bei Sätzen im Passiv mit Subjekt (werden- bzw. sein-Passiv mit Subjekt) erscheint das Passivsubjekt (fett) – an sich ein typisches Hintergrundelement – häufig direkt vor dem rechten Innenrand, also im Vordergrundbereich (a). Das Passivsubjekt kann aber auch im üblichen Hintergrundbereich stehen (b):
(a) In Deutschland sterben jeden Tag durchschnittlich drei Menschen, weil Organe von Spendern fehlen.
Mit einer neuen Kampagne sollen nach Angaben der Bundesapothekerkammer nun | rund eine Million Spender geworben werden. | [dpa, 22.09.2008] |
A szövetségi gyógyszerészeti kamara adatai szerint új kampánnyal | mintegy egy millió donort kell megnyerni. |
(b) Seit die ägyptische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat im Jahr 1979 das historische Friedensabkommen mit Israel in Camp David unterzeichnete,
wird das Land am Nil von den USA | massiv finanziell unterstützt. | [Berliner Zeitung, 27.07.2006] |
Azóta hogy az egyiptomi kormány Anwar al-Sadat, akkori elnök idején 1979-ben Camp Davidben aláírta a történelmi békeszerződést Izraellel,
az Egyesült Államok | anyagilag nyomatékosan támogatja | a nílusi országot. |
Bei Existenzverben, z. B. existieren, bestehen, sich befinden, stattfinden, entstehen, erscheinen:
(c) Doch gibt es sie noch, die Langeweile? Zu warten, bis etwas passiert? Viel zu selten! Dabei kann man im besonderen bei Kindern beobachten,
dass aus Langeweile | ein sehr kreativer Prozess entsteht. | [St. Galler Tagblatt, 04.08.1998] |
[...] És hát különösképpen gyerekeknél lehet megfigyelni, hogy unalomból | nagyon kreatív folyamat indul el. |
Dativkomplement im Hintergrund:
Bei relationalen Verben (z. B. anpassen, gegenüberstellen, unterordnen, vorziehen) kann die typische Abfolge der Kasuskomplemente, nämlich Akkusativkomplement (Einordnungsgröße) » Dativkomplement (Orientierungsgröße) (wie in (d)) umgestellt werden. Die Orientierungsgröße (fett) wird dann dem Hintergrund zugeordnet (d'):
(d) | Er stellte die Erfolge der ersten 100 Tage | dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahre | gegenüber. |
(d') | Er stellte dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahre | die Erfolge der ersten 100 Tage | gegenüber. |
(d) | Az első 100 nap sikereit | az utolsó 16 év mozdulatlanságával és reformképtelenségeivel | állította szembe. |
(d') | Az utolsó 16 év mozdulatlanságával és reformképtelenségével | az első 100 nap sikereit | állította szembe. |
Träger belebter Rollen im Vordergrund:
Bei Transaktionsverben (z. B. geben, überreichen, aushändigen) geht es um die Änderung der üblichen Abfolge belebt >> unbelebt (vgl. Stellung der Komplemente im Mittelfeld), wobei dann das Dativkomplement (fett) als typischer Träger einer belebten Rolle nach dem unbelebten Akkusativkomplement steht:
(e) Ein 23jähriger Postbediensteter stahl in den vergangenen Jahren im Postamt Hernals insgesamt acht Kreditkarten und übergab sie seinem Komplicen, einem 29jährigen Arbeitslosen.
Der wiederum händigte das "Plastikgeld" | einem weiteren Mittäter | aus, |
der damit bei Juwelieren Schmuck kaufte. Das Trio ist in Haft. [Neue Kronen-Zeitung, 13.08.1994]
(e) | Az pedig | egy további tettesnek | szolgáltatta ki a mágneskártyát. |
(e') | Az pedig a mágneskártyát | egy további tettesnek | szolgáltatta ki. |
(f) Er [Melzow] zog von Ort zu Ort in westlicher Richtung und war 1945 in Thüringen angelangt, als dieses Land von den Amerikanern besetzt wurde. [...]
Nachdem die Amerikaner Thüringen | den Russen überlassen hatten, | setzte sich Melzow alias Schneider nach der Bizone ab. |
Miután az amerikaiak Thüringiát | átengedték az oroszoknak, […]. |
[Pinkwart, Heinz (1963): Mord ist schlecht für hohen Blutdruck, 176]
Das ist aber nicht möglich, wenn das Akkusativkomplement (fett) eine Vordergrundeinheit (und meist indefinit realisiert) ist (g). Die Abfolge (g') ist allenfalls im Kontrastfall mit starkem Gewichtungsakzent (den hungernden Ägyptern) möglich:
(g) Später liefern die Amerikaner den hungernden Ägyptern | Weizen. | [Bildzeitung, 09.06.1967] |
(g') *Später liefern die Amerikaner Weizen | den hungernden Ägyptern. |
(g) Később az amerikaiak az éhező
egyiptomiaknak búzát szállítanak.
(g’) Később az
amerikaiak az éhező egyiptomiaknak szállítanak
búzát.
(g’’) Később az amerikaiak búzát szállítanak
az éhező egyiptomiaknak.
Alle durch Umstellung erzeugten Änderungen der kommunikativen Gewichtung können auch durch Verlagerung des Gewichtungsakzents erreicht werden. Akzentuierungen, die von denen in sachlich-neutraler Rede üblichen abweichen, evozieren den Kontrast zu einem im Vortext erwähnten Sachverhalt (vgl. Wortstellung und Intonation). Es gibt also zur Gestaltung der Informationsstruktur eine stellungsorientierte und eine intonatorische Möglichkeit.
- Der Sprecher kann das Element mit dem stärksten Informationsgewicht an das Ende des Mittelfelds setzen, wobei dann der Gewichtungsakzent automatisch und nicht in besonderer Weise markierend hinzutritt.
- Der Sprecher kann ein Element im Hintergrundbereich (z. B. am Anfang des Mittelfelds) mit einem besonderen Gewichtungsakzent hervorheben.
Wird/werden mit dem verbalen Prädikat auch noch ein oder weitere Elemente fokussiert, steht/stehen dies/e postverbal (4 und 4’). Im Antwortsatz auf eine Frage steht im Ungarischen jeweils das neue Element in Fokusposition vor dem verbum finitum, unabhängig davon wie viele und welche Elemente am Satzanfang stehen:
Ki veszítette el tegnap a pályaudvaron a
pénztárcáját?
Wer hat gestern am Bahnhof den Geldbeutel
verloren?
Péter veszítette el tegnap
a pénztárcáját a pályaudvaron.
Péter hat gestern am Bahnhof
den Geldbeutel verloren.
Tegnap Péter veszítette el
a pénztárcáját a pályaudvaron.
Tegnap a pályaudvaron Péter veszítette el a pénztárcáját.
Unter den Vordergrundelementen gibt es auch im Ungarischen eine gewisse Hierarchie: Am stärksten betont sind Fragepronomina und die Negationspartikel; sie müssen direkt vor dem konjugierten Verb stehen; diesen gehen Quantitätsausdrücke voran und die Verbalpartikel folgt in diesem Fall dem konjugierten Verb. Z. B.:
[A vizsgázó megbukott,] mert sok kötelező olvasmányt
nem olvasott el (VP).
[Der Prüfling ist
durchgefallen,] weil er viele der Pflichtlektüren nicht gelesen
hat.
Anders als im Deutschen haben die ungarischen Pronomina keine topologische Tendenz im Satz, sie werden genauso platziert wie Nomina; die Unterschiede zwischen den beiden Sprachen sind umso schwerwiegender, da die Pronomina im Ungarischen häufig morphologisch realisiert werden (s. auch oben 1’):
(Miért nem utazott Péter Bécsbe?)
(Warum
ist Peter nicht nach Wien gefahren?)
Mert elveszítette a pénztárcáját.
Weil
er seinen Geldbeutel verloren hat.
Übung: Schwache Änderung der Informationsstruktur
Eine starke Änderung der Informationsstruktur liegt vor, wenn es Stellungsveränderungen im prinzipiell viel festeren Vordergrundbereich gibt, der den rechten Innenrand des Mittelfeldes (grün) abdeckt. Ein Beispiel für die Besetzung des rechten Innenrandes:
(5) | Bisher hat Griechenland die Partner | nicht | konkret | um Hilfe | gebeten. | [Financial Times Deutschland (online), 26.03.2010] |
negatives Satzadverbiale | >> | Verbgruppenadverbiale | >> | Präpositivkomplement |
(5) Görögország a partnerektől eddig nem kért konkrét
segítséget.
(5’) Görögország eddig nem kért konkrét
segítséget a partnerektől.
(5’’) Görögország eddig a partnerektől
nem kért konkrét segítséget.
Wenn diese Vordergrundabfolge verändert wird, ändert sich auch die Informationsstruktur. Dies lässt sich beispielhaft an der Stellung der Negationspartikel nicht zeigen. Der spezifische Wirkungsbereich der Negationspartikel, d. h. der Fokus, kann entweder verlagert (6b) oder aufgespalten (7b) werden:
Verlagerung des Fokus (eckige Klammer), z. B.:
(…) hogy ma nem jön.
(6b) (...) dass er nicht [heute] kommt.
(…) hogy nem ma jön.
Die Folge der Verlagerung ist, dass eine Hintergrund- zur Vordergrundeinheit wird. Damit kann durch Umstellung und intonatorische Hervorhebung mehr kommunikatives Gewicht auf eine bestimmte Einheit gelegt werden.
Besonders effektiv ist die Aufmerksamkeitslenkung bei einer Kontrastnegation:
Dann endlich das Dossier, und es stellte sich heraus, daß gar
nicht Hanna gemeint war, sondern eine Emigrantin gleichen Namens, [...].
[Frisch, Max (1966): Homo faber, 56]
Aztán végül a dosszié, és kiderült, hogy
egyáltalán nem Hanna volt az ügyben érintve, hanem egy azonos nevű emigráns nő,
[…]
Aufspaltung des Fokus (fast immer in Verbindung mit so):
(7b) (...) weil es mir dort [so besonders] nicht [gefallen hat].
(7b) (…), mert [olyan jól] ott nem éreztem magam.
Denn Marianne Pohl [...] will für uns sichtbar werden lassen, was wir ohne sie wahrscheinlich [so] nicht [gesehen hätten]. [Mannheimer Morgen, 19.4.1988, 24]
amit nélküle így nem láttunk volna.
[...] dass der scheidende und milde aufgelegte SPD-Vorsitzende Willy
Brandt [so unrecht] nicht [hat], wenn er der Regierung unterstellt, [...].
[nach Mannheimer Morgen, 5.6.1987, 2; im Original
Verbzweitsatz]
[…] hogy a leköszönő és finom beállítottságú Willy Brandt SPD elnök [olyan nagyon] nem tévedhet, ha […]
s. auch Topologische und intonatorische Aufspaltung.
Bei Satznegation liegt im Ungarischen die Betonung auf der Negationspartikel, bei Satzgliednegation auf dem Satzglied. Ähnlich ist das ganze Satzglied betont im Falle von Kontrastnegation.