Stellung der Komplemente im Mittelfeld
Unter Komplementen werden hier Verbkomplemente verstanden (s. auch Primare Komponenten des Satzes: Komplemente).
Die Abfolge der Komplemente im Mittelfeld wird durch mehrere Prinzipien geregelt, wonach die Komplemente nach ihrem syntaktisch-semantischen Status, ihrer morphologischen Realisierungsform und ihrer semantischen Rolle in verschiedene Stellungsklassen eingeteilt werden konnen. Diese ubergeordneten Prinzipien mussen berucksichtigt werden, um die Stellungsklassen kasusbestimmter Komplemente nach ihrer syntaktischen Funktion (als Subjekt, Akkusativ-, Dativ- oder Genitivkomplement) zu bestimmen und in einer Gesamtabfolge der Komplemente darstellen zu konnen.
Bezogen auf eine konkrete satzformige Au?erung gelten fur die Prinzipien der Wortstellung im Mittelfeld folgende Bedingungen:
- sie stellen mehr oder weniger stark ausgepragte Tendenzen dar, keine festen Stellungsregeln
- sie sind nicht isoliert zu betrachten: eine Stellungseinheit kann mehreren Stellungsklassen gleichzeitig zugeordnet werden
- sie konnen sich gegenseitig im Zusammenspiel verstarken oder in Konkurrenz zueinander treten
Neben den hier erlauterten Stellungsprinzipien sind immer auch die Intonation und die Informationsstruktur der Satze zu berucksichtigen. Im Satz hangt die Stellung der Komplemente auch von der Stellung der Supplemente ab, die Interaktion dieser primaren Komponenten wird in der Gesamtabfolge der Komplemente und Supplemente im Mittelfeld behandelt.
Wie bereits gesagt, kann im ungarischen Satz kein Mittelfeld festgestellt werden (vgl. z. B. Wortstellung im Mittelfeld). Au?erdem gibt es im Ungarischen z. T. andere Komplementklassen als im Deutschen (vgl. Komplemente und ihre Leitformen; Uberblick uber die Komplementklassen und ihre Realisierungsformen).
Ahnlich wie im Deutschen wird die Abfolge der Komplementklassen auch im Ungarischen nicht von festen Stellungsregeln, sondern von mehr oder weniger deutlichen Tendenzen bestimmt. Generell kann festgestellt werden, dass bei der Stellung der ungarischen Komplemente kommunikative Aspekte die wichtigste Rolle spielen: Fokussierte Elemente stehen unmittelbar vor dem finiten Verb.
Stellungsklassen
Kernkomplemente
Komplemente lassen sich nach ihrem syntaktisch-semantischen Status (s. Komplemente und ihre Leitformen) in zwei Stellungsklassen einteilen :
- Kernkomplemente: Subjekt, Akkusativ-, Dativ-, Genitiv- und Prapositivkomplement
- Nicht-Kernkomplemente: Pradikativ-, Adverbial- und Verbativkomplement
| Kernkomplemente (+KRN) | Nicht-Kernkomplemente (?KRN) |
| Subjekt
(Ksub): Bei dieser Katastrophe hat er seine Familie
verloren. Akkusativkomplement (Kakk): Viele Jahre lang hat er seine Frau betrogen. Dativkomplement (Kdat): [...],weil er dem Personalchef unverantwortbare Zusagen gemacht hatte. Genitivkomplement (Kgen): Wir alle gedenken seiner tiefen Menschlichkeit mit gro?er Verehrung. Prapositivkomplement (Kprp): Ich hatte zunachst uber seine Antwort nicht genauer nachgedacht. | Pradikativkomplement
(Kprd): Schlie?lich wurde er
Handballtrainer. Adverbialkomplement (Kadv): Wir lagen vor Madagaskar. Verbativkomplement (Kvrb): Die Reform hat endlich zu wirken begonnen. |
Die folgenden Beispiele zeigen die Abfolge von Kernkomplementen (+KRN) und
Nicht-Kernkomplementen (?KRN) im Mittelfeld (die Satzklammerteile sind farbig, Komplemente
fett markiert):
(1a) Nach ihrem Studium der Geschichte und Romanistik wurde Gisela Friedrich(+KRN) Lehrerin(?KRN). [Frankfurter Rundschau, 16.05.1997]
(1b) "Kansa" hei?t auf Finnisch(+KRN) "das Volk"(?KRN) und ist das aktuelle Kunstprojekt des finnisch-deutschen Kunstlerpaares Goller-Masalin aus Holzwiesen. [Rhein-Zeitung, 09.02.2008]
(2) Um kurz vor 17 Uhr standen lange Schlagen(+KRN) vor den Kassen(?KRN). [Mannheimer Morgen, 02.11.2004]
(3) Meine zwei Kinder sind schon erwachsen. Aber wenn wir sie(+KRN) einkaufen(?KRN) geschickt haben, haben wir immer nachgesehen, ob sie aufpassen. Wir haben gesagt: Auch wenn eine Ampel existiert, mu?t du links, rechts, noch mal links gucken. [die tageszeitung, 02.08.1997]
Nicht-Kernkomplemente stehen i. d. R. am rechten Rand des Mittelfelds. Zu dieser Stellungsklasse zahlen auch die nicht-verbalen Teile von Nominalisierungsverbgefugen (im Beispiel grun markiert), z. B.:
(4) Er hat dem Kandidaten(+KRN) kritische Fragen gestellt.
Nicht alle Realisierungsformen von Komplementklassen sind mittelfeldfahig. Satzformige Realisierungen scheiden z. B. fur die Mittelfeldstellung aus oder sind nur stark markiert moglich.
Dass dies ein Trugschluss ist, hat die einschlagige
Forschung schon lange bewiesen. [Die Zeit (Online-Ausgabe),
24.01.2008]
*Die einschlagige Forschung hat, dass dies ein Trugschluss ist, schon
lange bewiesen.
+KRN > ?KRN
Die interne Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Kernkomplemente, d. h. nach welchem Prinzip linearisiert wird, wenn mehrere Komplemente mit verschiedenen syntaktischen Funktionen (Ksub/Kakk/Kdat/Kgen) zusammen vorkommen, lasst sich anhand der folgenden Beispiele illustrieren:
(5) Der EU-Bildungsrat beschloss in Brussel die Auszubildenden (Kakk) den Studenten (Kdat) gleichzustellen. [Berliner Zeitung, 19.11.2005]
(6) Deshalb ordnet die alte Poetik (Ksub) das Epigramm (Kakk) der lyrischen Gattung (Kdat) zu.
(7) Carol verdachtigt ihren Nachbarn (Kakk) des Mordes (Kgen) und uberzeugt ihren Gatten davon. [Mannheimer Morgen, 22.06.1998]
(8) Heute morgen gegen 9 Uhr hat er (Ksub) sich (Kakk) dem Richter (Kdat) in Frankfurt gestellt.
Da Genitiv- und Dativkomplemente nie zusammen vorkommen, bilden sie eine einzige Stellungsklasse. Es gilt generell folgende Regel fur die Abfolge kasusbestimmter Kernkomplemente:
Prapositivkomplemente tendieren gegenuber den anderen (kasusbestimmten) Kernkomplementen dazu, weiter rechts im Mittelfeld zu stehen:
Vollig neu ist, da? die CD (Ksub) [...] vom Brieftrager (Kprp) ins Haus gebracht wird [...] [Vorarlberger Nachrichten, 27.03.1997].
Weitere Stellungsklassen
Obwohl die Reihenfolge der Komplemente in den folgenden beiden Beispielen von der oben formulierten Regel abweicht, handelt es sich in beiden Fallen dennoch um eine unmarkierte Mittelfeldfolge. In (9) werden die Komplemente teilweise durch Pronominalphrasen realisiert (vgl. auch (8)). In Beispiel (10) ist das Subjekt unbelebt:
(9) Im Streit um den Fahrpreis hat ein
29-jahriger in St. Peter einen Taxifahrer beleidigt und verprugelt [...]: Als
ihm (Kdat) der Fahrer
(Ksub) folgte,
schlug ihn
(Kakk) der 29-Jahrige (Ksub) mit
der Faust (Kadv) ins Gesicht (Kadv).
[N?rnberger Nachrichten, 25.10.2005]
(10) Gelingt dem smarten Rheintaler (Kdat) nun die Revanche (Ksub)? [St. Galler Tagblatt, 18.03.2008]
Als Erklarung mussen weitere Stellungsprinzipien herangezogen werden, die morphologische Realisierungsformen und die semantischen Rollen der Komplemente berucksichtigen:
Personalpronomina
Die Stellung der Komplemente im Mittelfeld wird auch durch unterschiedliche morphologische Realisierungsformen bestimmt. Komplemente, die durch bestimmte pronominale Subklassen realisiert werden, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Stellungsfolge von anderen Realisierungsformen, wie z. B. Nominalphrasen (das Geld) oder Pronominalphrasen mit Vertretern anderer pronominaler Subklassen (dieser, meine, jemand):
- Kommunikanten-Pronomina (Sprecher- und Horer-Pronomen): ich, wir; du, ihr, Sie + Flexionsformen
- anaphorisches Personalpronomen: er, sie, es + Flexionsformen
- gebundenes Personalpronomen (Reflexivpronomen): sich
- generalisierendes Personalpronomen: man
Zur gleichen Stellungsklasse gehoren im Mittelfeld auch die nicht-phorischen (?phor) Verwendungsweisen der Form es (Korrelat- und fixes es), die keine Komplemente realisieren, sondern als reine Stellungseinheiten zu betrachten sind (vgl. Beispiel 13).
Die folgenden Beispiele zeigen unmarkierte Abfolgen von Personalpronomina
(fett) und Nicht-Personalpronomina:
(11) [?], obwohl sie (Ksub) ihm (Kdat) das Geld (Kakk) versprochen hatte.
(12) Ob sich der Beschenkte auch lieb gefreut hat, berichten wir im nachsten Jahr. Wenn es (Kakk) uns (Kdat) jemand (Ksub) verrat. [Frankfurter Rundschau, 19.12.1998]
(13) In einem ostenglischen Kustenort hat es(?phor) Fische (Kakk) geregnet. [Mannheimer Morgen, 08.08.2000]
Es hat sich (Kdat) niemand (Ksub) getraut, ihm die Wahrheit zu sagen.
Ich verstehe nicht, warum man (Ksub) uns (Kdat) das (Kakk) nicht vorher gesagt hat.
Sie hatte nur hoflich gefragt, ob er (Ksub) ihr (Kdat) das Geld (Kakk) einige Tage fruher zuruckgeben konnte.
Die Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Personalpronomina illustrieren folgende Beispiele:
(14) Das ist eine Geschichte fur sich. Ich kann sie (Kakk) Ihnen (Kdat) nicht erzahlen.
(15) Dr. Wenzel brachte mir das Manuskript. Nach Fertigstellung brachte ich (Ksub) es (Kakk) ihm (Kdat) in seine Wohnung (Kadv).
(16) Buschor mauserte sich zum Guru dieser Neuerung in Europa [?]. Vor drei Jahren entsann man (Ksub) sichakk seiner (Kgen) vor den Zuricher Regierungswahlen. [Die Zeit, 31.05.1996]
Auch bei der Realisierung als Personalpronomina ist im Mittelfeld (Ksub >) Kakk > Kdat/gen die typische, d. h. unmarkierte Abfolge. Dabei ist ? anders als bei den nominalen Realisierungen ? die Kasusform entscheidend, das Belebtheitsprinzip, das im folgenden Abschnitt erlautert wird, spielt keine Rolle.
Neben den bisher formulierten Stellungsprinzipien kann auch ein weiteres sehr allgemeines und auf verschiedenen Ebenen wirksames Prinzip beschrieben werden:
Die Wirkungsweise dieses Prinzips lasst sich im Mittelfeld anhand der Abfolge der Personalpronomina illustrieren. Es bezieht sich zum einen auf die Anzahl der Silben und zum anderen auf die Lange der Vokale pronominaler Formen: Zweisilbige Formen (alle Genitiv-Formen, Dativ-Plural/-Distanzform ihnen) stehen nach einsilbigen Formen (alle anderen Formen). Dem Prinzip kurz >> lang entspricht auch die Stellung bestimmter Realisierungsformen von Komplementen, z. B. die Nachstellung von Nominalphrasen und Prapositionalphrasen gegenuber Pronominalphrasen. Dies ist aber gro?tenteils auch durch die anderen Stellungsprinzipien erklarbar: Die langeren Formen entsprechen i. d. R. den weiter rechts stehenden pronominal realisierten kasusbestimmten Kernkomplementen (zweisilbilge Pronomina) und Nicht-Kernkomplementen (z. B. Prapositiv- und Adverbialkomplement).
Das Prinzip kurz >> lang wurde schon als "Gesetz der wachsenden Glieder" von Otto Behaghel (1932) beschrieben und besagt, "da? von zwei Gliedern, soweit moglich, das kurzere vorausgeht, das langere nachsteht."
Belebtheit
In den unmarkierten Mittelfeldfolgen der Beispiele (17) bis (20) weisen die Komplemente unterschiedliche semantische Rollen in Bezug auf Belebtheit (bzw. einen hoheren Grad von Handlungsfahigkeit) auf. Die Trager belebter Rollen (+bel) sind handlungsfahig und stehen haufig voran, die Trager unbelebter Rollen (-bel) sind meistens nachgestellt. Tendenziell gilt das nicht nur fur Lebewesen, sondern auch fur (von Menschen geschaffene) Institutionen (19, 20):
(17) Das neue Streikgesetz solle den Arbeitern(+bel) das Streikrecht(?bel) nehmen und sie vom Demokratisierungsproze? ausschlie?en. [die tageszeitung, 27.10.1989]
(18) Dessen Schwagerin schilderte dem Richter (+bel) den Sturz der Frau, der zu Nasenbein- und Rippenbruch fuhrte,(?bel) anders: [...]. [Neue Kronen-Zeitung, 27.01.2000]
(19) Ich habe der Firma Radiophon(+bel) das Gerat(?bel) zuruckgeschickt.
(20) (...), weil dem Parlament (+bel) der Gesetzentwurf (?bel) nicht rechtzeitig vorlag.
Sehr haufig kommt dieses Prinzip auch bei dreiwertigen Verben mit Dativ- und Akkusativkomplement wie geben, schenken, senden, uberlassen, gewahren, verkaufen, leihen, wegnehmen, stehlen, entziehen, verweigern und ubermitteln, mitteilen, erzahlen, gestehen, berichten, schildern, vorschlagen (Mitteilungsverben) zur Geltung.
+bel > ?bel
Einige Beispiele fur die Abfolge von nominalen Komponenten im Mittelfeld:
Ich habe dem Kunden+bel das Ersatzteil?bel zugeschickt.
Sie konnen heute dem Gastgeber+bel Blumen?bel auch in durchsichtigem Papier ubergeben.
Schon als Medizinstudent waren Salk+bel die Ungereimtheiten der gangigen Impfstofftheorie?bel aufgefallen. [Zeit, 3.5.1985, 82]
Gesamtabfolge der Komplemente
Die grammatisch determinierte Mittelfeldfolge der Komplemente in sachlich-neutraler Rede ist in der folgenden Ubersicht zusammengefasst:
Die mogliche Stellung von pronominalem Kakk/dat vor nominalem Ksub ist der grafischen Klarheit zuliebe hier nicht berucksichtigt.
Im Ungarischen werden das pronominale Subjekt und Akkusativobjekt oft nicht explizit, sondern nur durch Suffixe am finiten Verb realisiert, was ein wichtiger Unterschied im Vergleich zum Deutschen ist (vgl. z. B. Verbflexion, Flexion nach Person und Numerus ). Z. B.:
Anna Ksub liest die Zeitung Kakk.
Anna Ksubaz ujsagot
Kakk olvassa.
Sie Ksub liest sie Kakk.
Olvassa.
Zur Stellung des ungarischen Subjekts, Akkusativ- und Dativkomplements vgl. Gesamtabfolge der Komplemente und Supplemente im Mittelfeld.
Im Ungarischen gibt es kein Genitiv- und Prapositivkomplement, deutsche Genitiv- und Prapositivkomplemente werden im Ungarischen in Form von Vertretern anderer Komplementklassen realisiert (vgl. Das deutsche Genitivobjekt im Ungarischen und Das deutsche Prapositivkomplent im Ungarischen).
Die Abfolge der ungarischen Aquivalente der deutschen Nicht-Kernkomplemente hangt in erster Linie ebenfalls von kommunikativen Aspekten ab, wobei jedoch das Pradikativkomplement in den meisten Fallen in der unmittelbaren Umgebung des finiten Verbs und oft vorangestellt vorkommt:
A szorgalmas diak tegnap faradt volt.
Der flei?ige Student war gestern
mude.
Ein ahnliches Prinzip wie das von Otto Behaghel formulierte ?Gesetz der wachsenden Glieder? kann bezuglich der ungarischen Wortstellung nicht formuliert werden.
Ubung: Komplemente: syntaktische Funktion

