Vorfeldbesetzung durch Komplemente
Vertreter aller Komplementklassen können im
Vorfeld erscheinen. In ca.50% der Aussagesätze steht das Subjektkomplement im Vorfeld (Hoberg 1981). Stehen andere Komplemente im Vorfeld, hängt es von
der Mitteilungsabsicht des Sprechers/Schreibers ab. Es kann sich um andere individuelle oder
textsortenspezifische stilistische Gründe handeln.
Im Normalfall ist im Vorfeld nur eine
Stellungseinheit vorhanden, die durch ein Komplement oder Supplement besetzt ist. In markierten
Fällen können auch mehrere Komplemente oder Supplemente im Vorfeld auftreten.
Obwohl alle
Komplementklassen im Vorfeld stehen können, gibt es auch Ausdruckseinheiten von Komplementklassen,
die nur eingeschränkt vorfeldfähig sind, z. B. die Pronomina es, man,
sich.
Komplementklassen im Vorfeld
Im Vorfeld können Vertreter aller Klassen von Komplementen stehen: Kasuskomplemente (Subjektkomplement (1), Akkusativkomplement (2), Dativkomplement (3), Genitivkomplement (4)) , Präpositivkomplemente (5), adverbiale Komplemente (6), Prädikativkomplemente (7) und Verbativkomplemente (8):
(Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010)
(2) Den letzten Anstoß für das Nein der Sozialdemokraten zum B-Plan gab ein Hinweis der Planerin.
(Braunschweiger Zeitung, 31.12.2009)
(3) [...] die Geschichten von japanischen Kühen aus Kobe [...]. Denen sagte man nach, sie würden von Mönchen oder Geishas massiert, bekämen Sake und Bier zu trinken und dürften Mozart oder Koto hören.
(Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010)
(4) Des Risikos dort war sie sich wohl bewusst.
(die tageszeitung, 10.02.2005)
(5) Auf den jetzt erwarteten Zwischenbericht der Anwältin soll später noch ein weiteres, ein abschließendes Dokument folgen.
(Süddeutsche Zeitung, 16.02.2010)
(6) In "Chinatown" rund um die Via sarpi leben etwa 20 000 Chinesen, die Hälfte davon ist illegal hier.
(Süddeutsche Zeitung, 17.02.2010)
(7) Zentral sei der vierte Punkt: der Wiederaufbau.
(Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010)
(8) Zu wirken begann sie als Verlegerin in Berlin, in einem kleinen, aber zielbewußten, zumal für skandinavische Literatur sich engagierenden Unternehmen, dem Gemini-Verlag.
(Frankfurter Allgemeine, 16.11.2005)
Zu weiteren Realisierungsformen der Komplementklassen.
Mehrere Komplemente im Vorfeld
Selten treten zwei oder gar drei Komplemente ins Vorfeld. Diese Formen müssen als markiert angesehen werden:
[Die Rheinpfalz, 20.08.2007]
Außerdem kann als dritte Stellungseinheit die infinite Verbform des Verbalkomplexes hinzutreten:
es, man, sich
Pronomina sind prinzipiell mögliche und häufige Vorfeldeinheiten, nur bei es, man und sich gibt es bestimmte Beschränkungen.
es
Das anaphorische Personalpronomenes kann nur als Subjekt (1), aber nicht als Akkusativkomplement (2) im Vorfeld stehen:
(Rhein-Zeitung, 29.12.2008)
(Niederösterreichische Nachrichten, 28.05.2007)
→ * Es hatte er in einer Mappe deponiert, die auf dem Beifahrersitz seines Lieferwagens lag.
Auch das sogenannte fixe es, das als semantisch leeres formales Subjekt (3) oder als semantisch leeres formales Akkusativkomplement (4) bei bestimmten Verben auftreten kann, kann im Vorfeld ebenfalls nur im Nominativ stehen:
(Die Rheinpfalz, 09.07.2009)
(Die Südostschweiz, 06.03.2006)
→ * Es hätten Frösche gut gehabt mit ihren Schwimmhäuten zwischen den Zehen.
Das expletive/Platzhalter-es stellt gegenüber dem anaphorischen Personalpronomen und dem fixen es einen Sonderfall dar: Als eine reine Stellungseinheit ohne syntaktische (Komplement- oder Supplement-) Funktion füllt es nur die in einer V-2-Struktur vorgesehene Vorfeldposition, damit andere Einheiten in eine für die Informationsgewichtung angemessenere Position gestellt werden können:
(die tageszeitung, 31.08.1988)
man
Ein dem anaphorischen es vergleichbares Verhalten zeigt auch das generalisierende Personalpronomen man. Als Subjekt kann man das Vorfeld besetzen (11), die Suppletivformen im Dativ (einem) (12) und Akkusativ (einen) (13) können aber nicht in das Vorfeld gerückt werden:
(Nürnberger Zeitung, 06.03.2007)
(Hannoversche Allgemeine, 08.07.2008)
→ * Einem muss nicht immer die Last der Welt auf den Schultern liegen.
(Vorarlberger Nachrichten, 21.12.2000)
→ * Einen kann das ganz schön nervös machen.
sich
Das Reflexivum sich und die entsprechenden Formen der Persondeixis (mir, mich usw.) können nur als Komplement und meist mit Kontrastakzent im Vorfeld stehen:
(Berliner Zeitung, 09.09.2005)
(15) "Aber wir müssen nichts bedauern, denn wir haben nie Scheiße gemacht. Jedenfalls nicht für das Publikum. Uns haben wir ziemlich viel angetan, aber nie anderen."
(die tageszeitung, 25.01.1992)
Das lexikalische sich ist als obligatorischer Teil des Verbs (sich schämen, sich bedanken) immer unbetont und nicht vorfeldfähig:
Es, man, sich verhalten sich also in Bezug auf die Vorfeldstellung sehr ähnlich. Das hängt damit zusammen, dass sie, anders als die anderen Pronomina, keine Phrasen bilden können. Nur die Pronomina, die Kopf einer Phrase sein können, sind in allen Kasus vorfeldfähig.